30.05.2004

Zauberberg. (Reisebeicht zum Mountain-Cup in Villard de Lands)

Ganz ruhig. Ich bin nicht größenwahnsinnig geworden. Nur weil ich ab und zu eine Email mit Reiseberichten sende, fühle ich mich nicht gleich als Thomas Mann. Ob wohl mir gerade auffällt, dass größenwahnsinnig eine sehr schöne deutsche Übersetzung für Size-Queen ist.


Villard de Lands ist ein Ort der vieles hinter sich hat und das Neue wenig schätzt. 1500 Meter über dem entfernt, was so an die Küsten Europas plätschert. Am Beginn der Französischen Alpen. Ein Wintersport-Dorf 80 km von Grenoble entfernt. Mitt in in einem anderen Leben, so um 1968, als Teil der damaligen Olympischen Spiele. Dieses Dorf ist für 5 Tage das, was bei Asterix und Obelix, das Dorf der Verrückten heißt. Über 140 Eisläufer- und tänzer, aus mehr als 14 Staaten. Von sehr bemüht bis sehr talentiert. Alles Erwachsene, die bescheuert genug sind für einen Sport, wo jeder sagt: „Du bist zu alt; Du bist zu dick; Du bist zu...“, ihren Urlaub, viel Geld, manche Träne und einige ihre Gesundheit zu investieren.

Die Grenze zwischen Talent und großem Mut ist hier sehr fließend.

Ein großen Hallo und die wildesten Reunion-Situationen gab es für die, die sich von den Gay Games Eiskunstlauf-Wettbewerben in Amsterdam und Sydney kannten. Und übertriebenes Cruising für die anderen: „Ist jemand hier, den ich lecker finde? Oder sogar jemand, der mich toll findet?“

Der Mountain-Cup, oder auch Cup de la Montaigne, ist zwar ein Heten–Turnier. Aber mein Trainer Phil hat mir erklärt, dass das nur heißt, dass die Frauen nicht lesbisch sind. Obwohl... Tina und Laura sind ja auch...

Aber egal WAS im Schlafzimmer so passiert, es gibt hier eine klare Hackordnung. Als erstes ist zu sagen, dass zu wenig bei fast allen Läufern und sicherlich bei all allen Läuferin im Schlafzimmer passiert. Aber neben dieser Feldstudie der Sublimierung, ist zu sagen, das hier von dem 22-jährigen-Segelohr-Littauer-still-in-the-closet bis zur 62-jährigen-Eis-Oma alles auf dem Eis läuft.

Die Hackordnung orientiert sich eindeutig an den Läuferischen-Fähigkeiten. Je besser mann läuft, desto eher wird mann gegrüßt. Je schlechter mann ist, desto eher muss mann sich mit einem „Oh, you are skating TOO“ zufrieden geben. Aber ich will nicht zu viel Lästern, denn zu dem Dorf der Verrückten gehöre ich ja auch.

Aber kommen wir mal zum Zauberberg. Nach 10 Stunden Autofahrt von Köln nach Grenoble, gingen die letzten 85 Kilometer, über gefährlichste Serpetienen, mit Kurven die enger und gefährlicher sind als die kantigsten Bewegungen von Richard Gere in American Gigolo. Und nicht genug das die strenge Dunkelheit der Alpen den „Aufstieg“ noch gefährlicher machte, begrüßte uns auch noch eine weitere Naturgewalt, das Gewitter. Und das, wo wir auch als Gefahrenguttransport durchgegangen wären. Neben dem Übergepäck, war alleine schon die Sammlung an Haarpflegeprodukten von Phil Grundwasser bedenklich. Zusätzlich hatten wir als Requisite für meine Eisshow, auch noch eine 1,5 große indische Göttin „Shiva“ auf dem Rücksitz. So das wir uns bei diesem starken Regen, bei unserer großen Erschöpfung und der kargen Landschaft der Berge (die nur im Lichtkegel von unserem betagtem Ford Passat zu sehen war) fühlten, wie eine Mischung aus Grabräubern und Mördern aus einem Argatha-Christe-Krimi.

Wir fuhren in das verlasse Dorf Villard de Lands und begannen sehnsüchtig mit der Suche nach unserem Hotel in diesem verwaisten Phantasialand. Phil hat es ausschließlich nach dem Namen ausgesucht: „Grand Hotel de Paris“ Und dann sahen wir auch zum ersten mal den Namen auf einem baufälligem Western-Salon, auf einem dreckigen Parkplatz. In Phil und mir brach eine Welt zusammen. Weder Grand, noch Paris! Nach dieser Schrecksekunde viel uns aber auf, dass dies nur der Wegweiser zum Hotel war.

Das Dorf lag zwar selbst zum fuße eine 2000’ners, hatte aber noch einen kleinen vorgelagerten Hügel. Und dort lag in der verregneten und rabenschwarzen Nacht unser Hotel. Eine Mischung aus Norman Bates Estate aus Psycho und dem glorreichen Charme des besten Hauses am Platz zur Olympiade 1968. Es verweigerte sich geschickt allen bekannten Architekturstilen und hat doch Charakter. Es war viel zu schön um als simples Berghotel durchzugehen und doch zu klein für ein Chalet. Und es war ganz wunderbar. Mit einer gewagten Eingangstreppe die ganz unfassbar, frühes Denver-Clan mit spätem Luis IV verband.

Und um diesen Hügel war etwas das ich schon Jahre nicht mehr kannte. ABSOLUTE Stille. Weder bedrohlich, noch voller Spannung. Einfache Stille.

Und so machten wir uns dran, unser Hutschachteln, Schlittschuhe und 32.000 T-Shirts auszuladen. Der Bell-Boy des Hotels (na ja, er ist mehr Rentner, als Boy) war ja sicherlich einiges gewöhnt. Aber als ich in dieser Gewitternacht meine 1,5 m große indische Göttin, die Denver-Clan Treppe hoch getragen habe, hat ihn wahrscheinlich nicht viel zurückgehalten die Polizei anzurufen.

Am nächsten Morgen wollten Phil und ich sofort erblinden, weil wir aus unseren Betten und durch das Fester die schönste Berglandschaft sahen und nie wieder was anders auf unsere Netzhaut lassen wollten. Außer vielleicht knackige Eisläufer...

Bald machten wir uns auf ins Dorf und trafen auf den entsprechenden Kaffeeterrassen viele der schon angereisten Eisdivas. Und ein Deja vu erfasste mich. Denn überall bildeten sich kleine Grüppchen und tuschelten. Vor Jahren hatte ich das schon mal bei dem Tod von Lady Diana beobachtet. Damals weinten alle fürchterlich und kollektiv. Diesmal zupfen jeder für sich an seinem/ihren T-Shirt legte die Haare zurecht und überprüfte den Batteriestand bei der Digicam. „Hast Du schon gehört? Richard Gere soll in hier sein!“

Aber im Verlauf der 5 Tage konnten sowieso Wünsche waren werden. So wie früher, als junger heranwachsender Homosexueller. Als mann aus dem Quellekatalog oder der Neuen Revue, aus dem Lesezirkel der Eltern, die Herren-Unterwäsche-Anzeigen ausgeschnitten und gesammelt hat.

In Villard de Lans war an einem Wochenende ein Schwimm-, Rad- und Eiskunstlauf-Wettbewerb, sowie ein Car-Oldtimer-Treffen. Mann brauchte sich also nur die Brust, die Beine, den Po und das Geld zusammensetzten und mann hatten sich den perfekten Mann gebastelt....

Ach ja, neben meinem 2. Platz, tollen Eisküren, viel Drama und viel Trash, gab es auch fantastische Gespräche über Analsex bei Lesben und wunderbare Gesichten, wie zum Beispiel die über ein Regenbogen-Eislauf-Kleidchen, das es bis zum lesbische Museum für Sport geschafft hat.

Es lebe die Sublimierung!

Entschuldigung, ich meinte: Es lebe der Sport!




Villard de Lands 30. Mai 2004

22.05.2004

Maiglöckchen. (Kölner Nachtreisebericht)

Es sind nicht viele. Aber doch genug, das sie eine konstanten Klangteppich abgeben. In allen Räumlichkeiten klingelt es leise vor sich hin. Manchmal leise, mal werden sie lauter wenn sie näher kommen.

Der leise Ton eines einzelnen Glöckchen beruhigt mich sehr. Hier an diesem Ort allein zu sein, schein mir doch sehr ... beängstigend. Und so ganz kann ich mich auch nicht entscheiden. Sind die Maiglöckchen jetzt eher so etwas wie die Rum-Tonne um den Hals eines Lawinen-Bernerdieners oder doch eher so was wie die Signal-Glocke bei einer Heiligen Kuh.

Aber Eines nach dem Anderen. Ich betrat also die neue große Mai-Wiese Kölns. Und natürlich tummelten sich alle Archetypen. Das war das Maiglöckchen jung und unverbraucht. Mann hatte Angst das jeder Windzug zu stark für es ist. Und dar war auch schon das ältere Maiglöckchen. Meistens mit dickem Stängel und eher liegend, als wirklich aufrecht stehend. Und auch das unnahbare Maiglöckchen war da.

Ganz und gar nicht mag ich die Maiglöckchen, die sich regelmäßig im Herbst mit größtem TamTam von der Wiese in die Ehe verabschieden. Alle Brücken zu Wiese werden dabei theatralisch abgebrochen. Mann löscht alle Profile, nicht ohne sich vorher lauthals zu verabschieden. Schnell werden noch alle Versuchungen verdammt, die mann denn Sommer über noch so gefrönt hat. Ich lese dann immer die Texte im Profil: „Endlich habe ich IHN gefunden! Nach langem suchen, habe ich den idealen Mann an meiner Seite. Kommende Woche ziehen wie zusammen!“ Ich wünsche Euch genauso viel Glück.“

Da kotze ich!

Zum einen löschen diese Archetypen von Maiglöckchen nur eines Ihrer Profile. Und zwar das mit dem Facepic. Die anderen 27 bleiben mal sicherheitshalber noch in Petto. Und weil mann ja nicht unhöflich ist, kann mann die Fuck-Buddies in den ersten Monaten auch nicht sofort vor die Tür setzten.

Trifft mann diese Maiglöckchen in der Stadt und mann fragt sie wie es Ihnen denn so geht, schreien Sie einem entgegen, wie das Hässliche Entlein in dem Film „Muriels Hochzeit“: „MARRIED !!!“

Mir kommen dies Maiglöckchen immer wie Indische Frauen vor, die nach der Tod Ihres Mannes freiwillig und froh gelaunt mit auf den Scheiterhaufen gehen. Zu mindestens machen sie so eine Aufstand, wenn Sie im Herbst die Wiese verlassen.

Ich bin ja immer wieder gerne höflich. Ganz besonders gerne im Mai. Wenn diese Maiglöckchen auf die Wiese zurück kommen. Dann grüße ich ja überschwänglich. Erkundige mich intensivst nach dem verbleiben des Göttergatten. Und bin fürchterlich erschüttert über die Trennung.

Soziologisch-Stammesrituell versteh ich das Handeln dieser Maiglöckchen ja. Sie wollen das gleich haben, wie die Heten-Glöckchen. Eine Hochzeit ist das einzige Ritual, das so viel ungeteilte Aufmerksamkeit, Glück und Wohlwollen verheißt.
Von den vor Glück weinenden Mammis, über die bisher so verhassten Nachbarin, bis zur unbekannten Brötchen-Verkäuferin. Alle strahlen einen an und fragen verheißungsvoll: „ Wann ist denn der glückliche Tag?“ Selbst der Vater, um dessen Aufmerksamkeit und Liebe mann schon sein Leben lang gebuhlt hat, legt stolz den Arm auf die Schulter des Sohnes und strahlt einen mit den Worten an: „Gute Partie, mein Sohn!“

Wenn dann sogar die alten Saufkumpanen noch ankommen und sich umständlich dafür entschuldigen, dass sie einen nicht mehr zum Zug durch die Gemeinde einladen, weil mann ja jetzt Verantwortung trägt. Weiß jeder Bräutigam welchen Fehler er begannen hat.

Nichts desto trotz wird mann bei der Hochzeit vor Liebesbeweise von allen Seiten überschüttet und wird wohl nie mehr so ein starkes Gefühl haben. Ein Gefühl des am rechten Platz seins. Des Angekommen seins. Ein Gefühl das Richtige und weithin akzeptierte zu tun.

Kurz und gut: ein Ritual, das dem Paar, der Sippe und der Nachbarsippe deutlich macht: Lass die Finger von diesem Paar!

So viel gesellschaftliche Anerkennung will natürlich auch unser Maiglöckchen haben! Nur das funktioniert leider nicht.

Soziologisch-Stammesrituell hat unser Maiglöckchen nämlich vergessen das dieses Ritual der Arterhaltung dient. Und egal wie sehr es sich um die Historische Aufarbeitung der aktuellen „Dolce & Gabbana Kollektion“ verdient gemacht hat, neue kleine Maiglöckchen werden daraus nicht.

Und die Mammis weinen zwar, aber Ihr Blick sagt eher so was wie: „Was werden die Nachbarn sagen?“ Und die Brötchen-Verkäuferin wird jeden Morgen einen ansehen und einen Gesichtsausdruck haben, wie „Ich habe es ja gleich gewusst. Wer jeden morgen Vollkornbrötchen und Orangenmarmelade kauft, der muss ja...“

Normalerweise wird ja auch die Sippe im Umkreis von den nächsten drei Blocks mit allen nötigen und unnötigen Informationen versorgt. Was trägt die Braut drunter? Mit wem hatte Sie vorher schon was? Wie viel Geld kostet die Hochzeit? Wie viel zahlen davon die Schwiegereltern? Diese Informationen diffundieren schnell möglichst durch die Sippe, indem die Bräutigam-Mutter dies unter dem Siegel der Verschwiegenheit der besten Freundin erzählt. So geht es am schnellste.

Bei unserem Maiglöckchen wir die Mutter aber schweigen, die beste Freundin der Mutter bekommt keine Siegel zu sehen und auch sonst ist es sehr ruhig in der Sippe.

Der Vater nimmt das Maiglöckchen zu Seite und sagt “Hättest Du damit nicht warten können, bis Deine Mutter und ich unter der Erde liegen?“

Und die lieben Saufkumpanen sprechen einen diskret darauf an, ob mann dem Bräutigam nicht die restlichen Eintritte der Zehnerkarte der Phoenix abkaufen kann.

Und weder die Nachbarn, noch die Sippe und erst recht nicht die Nachbarsippe, geben nur ein Funken Respekt auf dieses Paar. Im Gegenteil. Einen schwul-verheirater Mann fehlt noch in vielen Sammlerkollektionen!

Und aufgrund dieser schlechten Startbedingungen, treffe ich dann diese Maiglöckchen immer und immer wieder an diesem Ort. Das Profil ist stillschweigend wieder online gestellt. Der Profiltext trägt in jeder Zeile und in jedem Wort eine Trauerband. „Und das war sowieso nicht der Richtige.“ (Vielleicht klappt es ja mit dem Ritual einer Witwe?)

Dieser Ort, das ist die Richard-Wagner-Str. 12. Voll mit Maiglöckchen. Die neue Wiese ist hier seit vielleicht drei Monaten auf. Und als zweit Sauna der Phoenix-Gruppe in Köln, eine willkommene Abwechslung in der hiesigen Saunalandschaft.

Voller Neugier gehen die Maiglöckchen hier hin und entdecken die zwei Ebenen. Die großen, langen Gänge sind recht dunkel und viele Abzweigungen sorgen für ein verwirrendes Ambiente. Eine freie Fläche ist ja auch recht ernüchternd und weniger vielversprechend.

Berühmtheit hat die Sauna bereits jetzt für seine erfischende Political INcorrectness. Die Dampfsauna ist als Tempel der Lust nicht nur die größte in Köln, sondern auch mit einer Diskriminierungsspalte versehen. Das Labyrinth geht zwar klassisch im Kreis, aber am weitesten vom Eingang entfernten Punkt steht ein Mauervorsprung sehr nahe an der Wand. So das mann nur weitergehen kann, wenn mann unter 100 Kilo hat. Gerade mal 30 Zentimeter ist diese Spalte breit. Und es macht einen heiden Spaß zu sehen, wer und wie, sich dort alles durchzwängt. Böse Zungen behaupten das gehört zum Artenschutz der Maiglöckchen. So das junge schlanke Maiglöckchen sich schützen können, vor den großen fetten Maiglöckchen.

Neue Sauna, neue Rituale. Jeder Gast bekommt am Eingang seinen Schlüssel. Nicht wie sonst an einem gewöhnlichen Schwimmbadband, sondern an einem schmalen Gummiband befestigt. Wahrscheinlich bei Gummi-Grün am Neumarkt engros eingekauft. So das der Schlüssel, beim Gehen in diesem schönen Wonnemonat Mai, immer wie ein kleines Glöckchen klingelt!

Und wie verwirrend das Ambiente auch immer sein mag, der liebliche Ton der Maiglöckchen weißt einem immer den Weg. Der Ton kommt mal näher, mal wird er wieder schwächer. Mal ist er aufdringlich, mal rhythmisch. Nur wenn auf der Wiese Stille ist, mag mann das so gar nicht als Maiglöckchen.


Köln, 22.05.04