Sein Haar ist weicher als alle Kissen auf denen ich je
gelegen habe. Mein Kopf liegt sanft auf seinem Haupt. Und zum ersten Mal seit
einer Woche berühren wir uns in der der Öffentlichkeit. In dieser einen Woche
Istanbul hatte er es tunlichst vermieden mich in der Öffentlichkeit zu berühren.
Jetzt hier auf der Fähre von Istanbul City zu den Prinzen-Inseln, schien es ihm
wohl wie exterritoriales Gebiet zu sein. Alle die Nähe und Wärme, die er mir
sonst nur hinter verschlossenen Türen gab, scheint jetzt auch vor anderen
Menschen möglich.
Selten bin ich Harmonie näher gewesen wie jetzt. Mein Kopf
liegt auf seinem, wir spielen uns gegenseitig unsere liebsten und intimsten
Songs aus unseren Paylisten vor und nutzen einen gemeinsamen Kopfhörer dafür.
Der Wind geht stark über die Fähre hinweg, so dass er sich noch enger an mich
anschmiegt. Kein Wort ist notwendig, keine Erklärung ist erforderlich. Die
Musik ist unser Gespräch. In dieser Woche hatten wir unaufhörlich mit einander
Gas gegen. Von dem Moment wo er in mein Hotelzimmer kam ging ein Expresszug,
ein ICE, ein TGV los, in dem wir beiden in einem Abteil gefangen waren.
Nummer meines Hotelzimmers |
Onur war noch keine 30 Sekunden in meinem Zimmer, als jemand
wie besessen an meine Hotelzimmertür klopfte. Oder besser gesagt sie fast
einritt. Ich brauch kein Türkisch zu sprechen und auch nicht mit den
Gepflogenheiten der Altstadt von Istanbul vertraut zu sein, um zu wissen was er
uns sagen will. Die höffliche Variante seiner Botschaft ist: „Kein Herrenbesuch
auf dem Zimmer!“
Zimmertelefon |
Und so gehen wir, ohne uns zu kennen, gemeinsam durch die
Gassen der Altstadt spazieren. Zwar auf dem Europäischen Teil von Istanbul,
aber doch den Gesetzten des Orient unterworfen. Dieses gemeinsame Spazieren
sollte eine Woche nicht aufhören. Onur zeigt mir eine Woche all das was kein
Fremdenführer einen in Istanbul zeigen kann. All die versteckten Cafés,
Underground Parties und sonstigen Plätze jenseits des Istanbuler Mainstream. Alles
was rein Schwul ist in Istanbul hatte mich nicht wirklich überzeugt. Aber diese
Einführung von Onur nahm mit in eine metrosexuelle Welt, von überraschender Internationalität, die mir mehr
als gefällt.
Alle gemeinsame Extrovertiertheit am Tag und in der Nacht
bei Ausgehen, wandelten wir in intensivste und intimste Gemeinsamkeit, wenn wir
allein waren.
Nach einer Woche voller Ausgehen und Lärm haben wir
beschlossen die Stadt für einen Ausflug zu verlassen. Deswegen sitzen wir auf
dieser Fähre. Deswegen genieße ich jetzt umso mehr seine scheue Berührung.
Deswegen kommt uns die Stille an Bord so stark vor.
Wir fahren zu einer der Prinzeninseln. Dies sind fünf Inseln
im Mamara Meer vor Istanbul. Kleine Inseln die gerne von den Städtern für einen
Tagesausflug genutzt werden und von den reichen Istanbulern mit Sommerresidenzen
überzogenen ist. Allerdings vor einer schon lang vergangen Zeit.
Ich wärme mich an seinem Körper und ich merke wie eine Frage
in mir hoch kommt. Ich habe mich schon lange dazu entschieden, Menschen mit denen
ich eine Beziehung eingehe, als die Menschen zu sehen, die mein
Unterbewusstsein ausgewählt hat für mich. Ausgewählt als die Menschen, bei
denen ich genau das lernen kann, was ich gerade genau brauche um meine
persönliche Entwicklung voran zu bringen. Wohl wissend das nicht ICH also mein
Bewusstsein, sondern mein Unterbewusstsein dies entscheidet. Und auch wohl
wissend, dass die Weißheit meines Unterbewusstsein, was es denn ist, was ich
brauche, so viel größer ist, als die meines Bewusstseins. Und ich hatte
gelernt, dass ich wie die meisten Menschen sehr blind und taub bin, dieses
Angebot des anderen Menschen zu verstehen und aufzunehmen. Sogar im Gegenteil,
mir immer wieder viel einfallen lasse, warum das denn so doof ist, was mir
dieser Mensch dort anbietet, spiegelt und schenkt.
Jetzt spüre ich die Frage in mir hoch kommen, was es denn
ist was uns Menschen auswählen lässt mir denn wir „nur“ Sex wollen oder „nur“
eine Affäre. Das die eine Gruppe nicht deckungsgleich ist mit den anderen, war sogar
mir aufgefallen. Selbst bei allen Ausnahmen und schleichenden Übergängen bei
dieser Regel.
Ich fange an mit seinem Haar zu spielen. Schau auf die links
Seite, auf die Asiatisch Seite von Istanbul. Für lange Zeit hatte ich mich mit
dem „Innern Kind“ beschäftigt. Eine Konstruktion von Psychologen, laut deren
Auffassung st das „Innere Kind“ ein Platz ist, in der eigenen erwachsenen
Psyche, in dem die Wünsche, die Sehnsüchte, die Bedürfnisse und nicht zu letzt
auch die Verletzungen der eigenen Kindheit weiter auch im erwachsenem Leben
existieren.
Das fatale daran ist, dass dieses „Innere Kind“ HEUTE
maßgeblich für unser Verhalten in Beziehungen, bei Konflikten und bei dem Thema
LIEBE ist. Das „Innere Kind“ sitzt am Ruder des kleinen Boots, das durch die
Stromschnellen des Liebesflußes fährt.
Onur war so eine Sehnsucht. Entschlossener Tänzer, eher
weich als hart, mehr spontan als geplant, besser im ausweichen, als im
konfrontieren,
Ich gebe ihm einen Kuss und atme aus. Die Fähre nährt sich
unserm Ziel der Insel „Heybeliada“. Die Anlegestelle ist schon zu erkennen.
Direkt daneben ist ein kleiner Sommerpalast. Er ist direkt an das Wasser
gebaut.
Eine Woche lang war ich von meinem „Innern Kind“ – Onur - wie gefangen gewesen, habe nicht wirklich
andere Schönheiten in der Stadt wahrgenommen. Aber jetzt bin ich der Situation
erlegen. Je näher wir der Anleger stelle kommen, verstehe ich das Ausmaß dessen
was mich dort vor dem Stadtschloss so einnimmt. Es ist ein Schloss, dass von
der Türkischen Marine als Internat für den Nachwuchs genutzt wird. Hier sind
14-21 jährige Kadetten fein säuberlich in 5 Kompanien vor dem Schloss
angetreten. Alle in Jogging Uniformen. Alle sind das, was ich einen „Frühblüher“
nenne. Das sind Männer aus dem Mittelmeerraum, die mit 16 aussehen wir 26. Mit
26 aber wie 36 aussehen und mit 36 wie 56 aussehen werden.
Mein Atmen stockte und ich war mehr als erregt. Ich dachte
das dieses Aufgebot vor mir so etwas ist, wie ein Programm das mann sich in
einem Holodeck laden würde, wenn es die Star-Trek-Technologie wirklich geben
würde.
Kaum ein Fuß auf der Insel gelten für Onur die Regel des
exterritorialen Gebiets nicht mehr. Er hält wieder den gebührenden Abstand. Ich
reiße mich zusammen und verstecke meine Begierde für die Türkische Marine
mühevoll vor mir und Onur.
Wir mieten zwei Fahrräder und fahren von dem Dorf das die
Anlegestelle umgibt, langsam um die kleine Insel herum und erobern uns
langsam den wunderbaren Kieferwald und
sehen die am Wegesrand die Sommerresidenzen aus vergangenen Zeiten. Alle aus
Holz. Manche renoviert manche nicht. Aber alle sehen aus
Pippilangstrumpfhäuser. Und wenn ein Pferd aus ihnen heraus gekommen würde, bin
ich nicht im Geringsten davon überrascht.
Die kleine Strecke geht tatsächlich um die Insel herum und
steigt dabei immer mehr an, und führt unausweichlich zum höchsten Punkt der
Insel. Das Fahrrad auf dem ich sitze macht mir fürchterlich deutlich wie
deutsch ich bin. TÜV und Stiftung Warentest würden sicherlich dieses Exemplar
als abschreckendes Beispiel für ihre internen Ausbildungen gut nutzen können.
Kaum funktionierende Bremsen, kein Rücktritt und das Lenkrad war nicht wirklich
fest mit dem Rahmen verbunden.
Das glückliche Lachen von Onur, der mir in jeder Kurve einen
sehnsüchtigen Blick zurück wirft, entschädigte mich aber sehr.
Je weiter wir aufstiegen, desto weniger Häuser sind da und
desto dichter wird der Kiefernwald. Wenn es notwendig gewesen wäre hätte mich
der Duft dieser Kiefern endgültig verzaubert oder zu mindestens entspannt.
Kaum merklich höre ich was. Jemand kommt auf zu. Es sind mehrere. Erst denke ich, dass ich es mir einbilde. Onur ist fast 20 Meter vor
mir und schaut nicht zurück. Aber dann erkenne ich, dass ich mich nicht
täusche. Einer der Kompanien joggt um die Insel. Und kaum das ich es ändern
kann, sitze ich auf dem Fahrrad und die Kompanie umschließt mich und läuft
einfach weiter. Wie ein Stein den mann ins Wasser wirft schlage ich Wellen in
die Kompanie. Wenn Sehnsucht auf Begierde trifft. Und Duft und Bilder zu
Wirklichkeit werden. Dann sollte man ein verkehrstüchtiges Fahrrad haben.
Unfähig zu bremsen und unfähig zu lenken, fahre ich gegen einen Baum. Onur
kommt zurück und lacht mich aus.
All der Aufstieg rund um die Insel, all die visuelle Qual und das schmerzende Knie bekomme ich jetzt belohnt. Onur sitzen auf einer der beiden Bänke auf dem Gipfel der Insel. Hinter uns der dichte Kiefernwald. Vor uns die langsam fahrenden Schiffe auf dem Mamara-Meer und die untergehenden Sonne. In dieser Einsamkeit legt sich Onur mit seinem Kopf auf meinem Schoss und schaut gleichzeitig mich und den Himmel an.
Seine Hand streichelt gerade meine Wange. Ein Zärtlichkeit
und Intimität die ich mir für mich nicht größer vorstellen kann. Umso
schlimmer, ja körperlich schmerzvoll ist es für mich, als er sie so schnell
zurück zieht, wie eine Hand von einer heißen Herdplatte. Die perfekte Harmonie,
die Stille des Moments und die Romantik der Natur um uns, wird jäh zerrissen,
von einer weiteren Kompanie, die an uns vorbei joggt.
Nur langsam entspannt sich Onur, ist aber nicht ganz in der
Lage sich wieder der Schönheit des Moments hinzugeben. Wir erzählen ein wenig.
Träumen davon auf einer dieser Schiffe mitzufahren die vor uns auf dem Meer
dahin gleiten. Wir überlegen uns, welches Ziel wir wohl am liebsten hätten.
Auf der Insel hatten wir bis auf die Kadetten kaum Menschen
gesehen. Und überhaupt war hier alles wohltuend ruhig. Umso lauter hörten wir
die Äste die brechen, als ein Mann aus dem Wald zu uns kommt.
Das sind die Momente wo mann erkennt wie sehr mann zuhause
sich in Sicherheit fühlt und wie wenig sich Onur sicher in Istanbul als
schwuler Mann fühlt. Der Mann kam wie aus einer anderen Zeit. Wir sind zwar in
der Türkei und knapp 7000 Meilen von San Francisco entfernt. Doch war er ein original
Hippie. Seine Haare, seine Kleidung, der Joint in seinem Mund. Alles war original.
Er setzt sich neben uns auf die zweite Bank und fragt uns, ob er etwas üben
dürfte auf seiner Gitarre. Um genau zu sein, seiner Cura, das ist die kleinste
Form der türkischen Langhalslauten Saz. Ein Zupfinstrument das mit seinen sechs
Saiten sofort das Gefühl von Orient als Musik schenkt.
Onur beruhigt sich wieder von dem Schreck. Akzeptiert den Hippie
als Außenstehenden, so wie er sich
selbst sieht. Vielleicht hat ihm aber auch geholfen, dass der Hippie den Joint
mit im teilt. Onur legt seine Kopf wieder in meiner Schoß und ich schau
verträumt wieder zu untergehenden Sonne. Im Film würde jeder sagen wie kitschig
ist das denn: „Natur. Meer. Sonnenuntergang. Und jetzt auch noch Live-Musik!“
Ich gebe mich aber den Klängen der Saz hin und freue mich über den Moment. Was
ist das? Seit wann kenne ich Türkische Lieder? Ich kenne doch diesen Song. Oh
my god! Das kann es jetzt nicht sein.
Das glaubt mir niemand! Der Hippie spielt mit dem Joint im Mund und den
Sonnenuntergang vor sich den Song: „Moonriver!
Kaum ist der Hippie weg, bläst mir Onur noch einen auf der
Bank. Und das im Angesicht der untergehenden Sonne.