Davide aus dem Louvre. |
Ich bin mir ganz sicher. Er ist es. Ich kann nicht
wirklich gut sehen. Das Spiel aus Licht und Schatten ist an dieser Art von
Plätzen immer mehr versprechend, als eindeutig. Aber meine ganze Seele zittert.
Also muss es doch er sein. Er steht da, so wie nur er steht. Die Junx machen
genau das mit ihm, wie er sie immer choreographiert. Ich scanne seinen Körper,
sein Gesicht und seinen Schwanz. Ja, das muss er sein. Ganz bestimmt. Keine
Ahnung warum er gerade jetzt genau hier ist. Was treibt ihn zum CSD nach Paris?
Was treibt ihn ausgerechnet zu derselben Zeit wie mich in den Keller des l'Impact?
Kaum kann ich atmen. Noch mich bewegen. Wie der Hase stehe
ich vor der Schlange, wie hypnotisiert bin ich starr in diesem Darkroom-Labyrinth.
Ich verfluche meine Fähigkeit, in der Dunkelheit gut
sehen zu können, sowie, mir Bewegungen von Menschen gut merken zu können.
Alles an Geilheit, das ich noch vor einem Meter hatte,
ist geflohen vor diesem Bild. Dem Bild von meiner Ex-Liebe hier in der
Dunkelheit, wie er sich gerade dieses Labyrinth Untertan macht.
Meine Seele zittert.
Wenn man verlassen wird, gibt das einem ja die beste
Entschuldigung, alle Drama-Queens aus der persönlichen Songlist auf dem iPhone
auf Endlos-Schleife zu stellen. Aber wiedersehen? Hier? Nein, das
braucht man nicht! Nicht hier auf dem Hochaltar der schwulen Lust. Sei es
nun aus Dampf oder, wie hier, aus Dunkelheit.
Aber ich bin es selbst Schuld. Ich habe gleich zwei der Goldenen Schwulen Regeln gebrochen.
Aber langsam. Wie kam es zu dieser Begegnung? Ich bin
in Paris und es ist Pride Weekend. An einem der Tage vor diesem Treffen saß ich
im Open-Cafe und sehe, wie sich die Menschenmassen, die von der Parade zurück kommen,
in mein geliebtes Marais Viertel ergießen. Hier beim Pride von Paris erlebe ich
die endgültige Pervertierung des Pride-Gedankens. Oder warum sollten wir stolz
sein, wenn vier billige Transen für Geld auf einem teuren Pick-up-Wagen
stehen, der voll mit Werbung ist und mitten auf der schwulsten Kreuzung von
Paris steht. Nicht nur, dass sie alle Menschenmassen und den sonstigen Verkehr
blockieren, sondern auch, dass sie, wie ein überlanger Werbeblock für eine
Brauerei, schlechte Biersorten anpreisen. Aber die Krönung ist es, dass sie noch
kleine Give-Aways unters Volk schmeißen. Schnell ist ihr Wagen umrundet vom
gierigen Volk, das nach jedem Fächer und nach jedem sonstigen hingeschmissenen Give-Away
schnappt. Und dann sehe ich über meinem Café-au-lait hinweg, wie sich die Heten
schlagen und prügeln um diese Fächer, die ihnen von den schlechten Transen vor
die Füße geschmissen wurde .
Heten schlagen sich um schwule Fächer mit
Bierwerbung. Was für eine Ironie. Dafür sind die Mädels damals in der
Christopher Street nicht auf die Barrikaden gegangen. Dafür nicht.
Das Open-Cafe ist im Marais. Das "Marais" heißt
übersetzt "Sumpf". Und das war er auch, und das ist er auch. Heute ist das Marais
ein Teil der Innenstadt von Paris und liegt ganz grob gesagt, zwischen Centre Georges
Pompidou und Place de la Bastille. Es ist gleichzeitig das schwule und das
jüdische Viertel von Paris. Es ist eine Shopping-Wunderwelt, weil es hier
unzählige kleine Boutiquen und Shops gibt, ohne die großen Handelsketten. Viele
kleine Restaurants. Echtes Stadtleben, wie es in dieser Reinform kaum noch zu
finden ist. Wenn es stimmt, dass Paris mit all seinem Schmutz und seiner
Schönheit die geilste Hure Europas ist, dann ist das Marais der Ursprung dieser
Sage.
Seerosen von Claude Monet Musée de l’Orangerie |
Vor dem großen Keller-Ereignis hatte ich schon meine Highlights
von Paris abgearbeitet. Denn zu jedem meiner Paris-Besuche gehört ein Besuch im
Musée de l’Orangerie. Es ist in dem Jardin des Tuileries und beherbergt Werke
des Impressionismus, des Spätimpressionismus und der École de Paris. Hier sehe
ich mir immer in einem 360-Grad-Raum die acht Seerosenbilder von Claude Monet an.
Diese Raum und diese acht Bilder verschmelzen zu einem Gemälde, das ganz
und gar um mich herum ist und ich bin
mitten in ihm. Ich sitze lieber wie ein frisch Verliebter für eine Stunde in
dieser Rotunde, als einen ganzen Tag im Louvre zu laufen.
Zu den Highlights gehört auch das Palais de Tokyo. Es
wurde im Jahr 1937 vollendet und wird heute genutzt als Museums- und Ausstellungsgebäude
für moderne Kunst am rechten Ufer der Seine. Es ist als neoklassizistisches Gebäude in sich klar
und einfach und ist als solches schon ein Erlebnis. Der eine Flügel wird für
Zeitgenössische Kunst genutzt und ist baufällig und runtergekommen. Der andere
Flügel beherbergt das Museum für Moderne Kunst der Stadt und ist voll
renoviert. Diese Gegensätze in einem Haus sind voller Spannung. Die
Architektur, die Kunst und der Blick auf die Seine machen diesen Ort immer sehr
magisch für mich.
Und wie jedes Jahr habe ich versucht, in die alte Oper
von Paris zu kommen, die Opéra Garnier. Diesmal ist es mir gelungen, und ich
fand einen atemberaubend schönen und prunkvollen Bau vor. Schade, dass die
Inszenierung des Ballets, die an diesem Abend gezeigt wurde, so altbacken war, dass
ich in der Pause gegangen bin.
Aber zurück in den Keller des l'Impact. Diese „Bar“
hatte immer nur als Party geöffnet und das Motto ist auch immer gleich: Naked.
Ich finde das ganz wunderbar, weil das bei allen möglichen Motti zu den Motti
gehört, die am wenigsten Attitüde und am wenigsten Zieckereien hervorbringt.
Die FKK-Bewegung war nicht umsonst als politische Bewegung in Deutschland
gestartet und hat sich schon immer als Instrument der Demokratisierung der
Gesellschaft verstanden. Und selbst wir Schwulen brauchen dieses Instrument.
Leider hatte ich am Vortag eine solch tolle Nacht bei dieser Party gehabt, dass ich heute gleich wieder hin bin. Das geht nie gut. Diese goldene Regel sollte
mann immer befolgen. Sensationelle Parties kann mann nicht direkt wiederholen.
Und nun stehe ich hier wieder nackt im Keller. Und
meine Seele zittert. Ich atme durch und schiebe den Schmerz beiseite. Er kommt
auf mich zu, und ich fange an zu verstehen, dass er es gar nicht ist. Er ist nur
der ideale Ersatz für meine Sehnsucht nach ihm. Er sieht aus wie er, und er
verhält sich wie er. Er hat auch seine Sprache und seine Nationalität. Seinen
Körper und seine Art des Sex'. Und seine Unabhängigkeit und seinen Freiheitssinn.
Was dann folgt, ist ein wenig wie die Geschichte mit dem
Mann, der vom Inspektor gefragt wird, wie es gekommen ist, dass seine Frau gestorben
ist. Und er antwortet, dass es Notwehr war. Und der Inspektor sagt, dass er es verstehen
kann, wenn er sie mit dem Messer getötet hätte. Aber nur bei einem Einstich und
nicht bei fünfzig. Ich hatte kein Messer und ich hatte keine fünfzig Mal. Ich
hatte nur fünf mal Sex mit ihm über den Abend verteilt und weiß jetzt, was
psychologischer Masochismus ist.
Historische Achse in Paris |
Nach all dieser Kunst und diesen Nachtgeschichten sitze
ich hier inmitten des Jardin des Tuileries an einem der kleinen Teiche. Dieser
Garten gehört zum Louvre und war damals nur dem König vorbehalten. Heute ist er
einer der beliebtesten Gärten der Stadt. Ich sitze in einem der vielen kleinen
Stühle, die zum Ausruhen verleiten und genieße die Ruhe und die Sonne des Juli-Tages. Einige Menschen lesen, einige spazieren, andere wieder nutzen den
kleinen Vergnügungspark, der zum Garten gehört. Ich sitze an diesem kleinen
Teich und damit mitten auf einer berühmten Achse. Sie fängt mit dem Louvre an
und geht über den Place de la Concorde, den Triumphbogen bis zu La Défense. Diese städtebauliche Achse durch ganz Paris ist in der ganzen Welt beneidet und Unter
den Linden in Berlin ist eine Kopie davon. Hier hatten die französischen Könige
in ihrem Größenwahn ihre Macht über die Natur und ihren Glauben an die Macht
demonstriert.
Und ich sitze hier und höre Musik und versuche zu
verstehen, was in dieser Nacht mit mir passiert ist in diesem Darkroom. Versuche
in Worte zu fassen, wie ich mich gefühlt habe bei dieser Psycho-Maso-Nummer.
Aber die zweite Regel sagt, dass man seinen Ex erst dann überstanden hat, wenn
es einen neuen Mann im Leben gibt. Und nicht vorher. Und voller Pathos und
Melancholie drehe ich mein iPhone lauter und höre die Worte von Rosenstolz und
weiß, dass es jetzt gerade meine Worte sind.
"Du machst mich krank
Du machst mich dumm
Die Liebe lacht mich aus
Holt mich doch niemals ab
Wirft mich ewig zurück
Du machst mich dumm
Die Liebe lacht mich aus
Holt mich doch niemals ab
Wirft mich ewig zurück
Ist mir immer voraus
Aus Liebe wollt ich alles wissen
Jetzt weiß ich leider nichts
Aus Liebe wollt ich’s besser wissen
Jetzt weiß ich leider nichts
Aus Liebe wollt ich’s besser wissen
Mein Wissen hilft mir nicht"
Rosenstolz. „Aus Liebe wollt
ich alles wissen“. Aus dem Album „Das
große Leben“