17.12.2003

Nachtfalter. (2. Reisebericht aus Berlin Dez '03)

Es gibt nichts was mich mehr interessiert als Menschen.

Deswegen sammele ich sie auch. Besser gesagt Ihre Gesichter und Physiognomie. Und wenn ich ganz genau nachdenke, sammle ich eigentlich meine Reaktion auf sie.

Und wie ein Sammler von Schmetterlingen gehe ich in den Dschungel um die schönsten und seltensten Exemplare zu finden. Mein Dschungel ist die Party, das Event. Ein besonders schöner Dschungel ist Berlin. Seine Nachtfalter haben eine besondere Faszination für mich.

Schlaglichter gleich, sehe ich sie und mache mir meine Vorstellungen über das Exemplar. Versuche aus dem Gemisch von Physiognomie, Körpersprache, Sprache, Kleidung, Bewegung und Verhalten, Freunde und des Tanzens des Nachfalters, mir vorzustellen, wie der Falter so im allgemeinen und im speziellen ist.

Was ich an ihm mag und was ich an ihm ablehne. Wo meine Persönlichkeit ihn bejaht, wo sie ihn ablehnt, ihn begehrt, ihn verhöhnt. Um ja viel über mich zu lernen.

Gegensätze waren ja schon bei Heraklit die Elemente einer alles verbindenden Wirklichkeit: „Die Gegensätzlichkeit ist nicht das letzte; vielmehr sind die Glieder der Gegensätze aufeinander bezogen.“ Alles und jeder lehrt Heraklit sei: „... durch ihr gegensätzliches Verhalten miteinander zusammengeführt.“

OK, mir ist klar das der alte Grieche Heraklit nicht unbedingt mal so mit in den Dschungel, sagen wir mal ins GMF in Berlin, kommen kann. Aber recht hat er.

Aber hierzu passt auch die griechische Sage von der Sokrates bei seinem berühmten Abendessen erzählt. Er erklärt das Wesen des Sexuellen Verlangens:

Anfangs gab es drei Geschlechter, das männliche, das weibliche und ein mannweibliches, und alle waren kugelrund. Sie verhielten sich anmaßend gegen den König der Götter, der sie in der Weise zu strafen gedachte, dass er jedes in zwei Hälften zerschnitt. So das alle ihr Leben lang auf der Suche nach der anderen Hälfte sind.

Und Liebe ist nichts, als das Finden dieser, seiner eigenen Hälfte. Bei 6 Milliarden Menschen auf der Erde: kein leichter Job.

Und mann machte es sich ja auch gerne selbst schwer. Wer zum Beispiel mal ins GMF zur Party in Berlin geht und anthropologisch-soziologische Studien betreibt, wird erst mal das Prinzip der Abgrenzung finden. Die, die ins GMF gehen und die, die nicht gehen. Die mit T-Shirt, die ohne eins. Die mit Drogen und die ohne. Die Jungen und die mhhh... nicht mehr ganz Jungen. Die, die Trainiert sind und die, die nicht trainieren.

Alle wollen sie das Gleiche. Aufmerksamkeit, Liebe, Sex oder welche Form auch immer eines Beweises der eigenen positiven Existenz.

Nehmen wir mal zum Beispiel den Herrn X. Jeden Sonntag ist er im GMF. Kaum 175 cm groß. Immer im schlecht sitzenden, schwarzem Jackett. Er durchstreift den Dschungel, pardon GMF, um sich zu paaren. Nun er ist aber der einzige der immer und ständig, zwei Bodyguards dabei hat. Warum hat dieser Berliner wie Wittney Houston in „Bodyguard“ einen Leibwächter? Und warum gleich zwei? Und warum tragen sie noch schlechtere Anzüge als er?

Reich kann er nicht sein. Dazu sind alle drei zu schlecht angezogen. Von offizieller Bedeutung kann er auch nicht sein, vom Land gestellte Bodyguard sind nicht türkischer Abstammung. Auf Schritt und Tritt folgen sie ihm. Er flirtet. Sie stehen dahinter. Er geht aufs Klo. Sie auch. Die einen sagen es sind Morddrohungen des Ex. Die anderen sagen es ist ein Balz-Ritual aus dem Osten. Wieder andere sagen es ist der Neffe des Zigaretten-Paten von der Ost-Mafia. Nur wissen, tut es keiner.

Als zweites Prinzip, fällt das Prinzip der Abschottung auf. Peinlich genau wird darauf geachtet, das keine Falter, dem anderen Falter, durch Kleidung, der Kunst des Faltertanzes oder durch ein Lächeln, auch nur einen Hauch von Ermutigung oder sogar Eigeninitiative, zur Kontaktaufnahme, gibt. Alle sind pure Risikovermeider. Ein Nein, könnte ja tödlich sein. Zu mindestens gesellschaftsmüßig.

Alle schmücken sich für die Parade im Dschungel, alle gehe sie hin, doch Keiner nimmt Kontakt von sich aus auf. Es ist wie eine Messe, wo sozialer Stacheldraht die Messebesucher und Aussteller trennt.

Das dritte Prinzip überträgt die Regeln der Werbung auf den Dschungel. Entweder richtet sich der Falter auf die Bühne ins richtig Licht und versucht zum Star der Schauspieltruppe zu werden (Imageing) oder er glaubt den Preis nach oben treiben zu können, indem er den Dschungel allein durchstreift und „hard-to-get“ spielt (Angebotsregulierung).

Um dem vierten Prinzip gerecht zu werden, heißt es, sich nie festzulegen. Nie zu sagen, ja das ist DER Falter! Es könnte ja ein noch schönerer, noch größerer, wo sein.

Sokartes hat den Giftbecher freiwillig genommen. Er hat jeden vorgeführt das er eigentlich nichts weiß und alles Wissen, auch um einen selbst nur wie eine Taschenlampe im Nebel ist. Er hat alle und jeden mit seiner Frage nach dem, was mann wirklich weiß, genervt.

Ich will den Becher nicht freiwillig trinken. Aber ich will ein Utopia, wo der Nachtfalter auf den anderen Nachtfalter zugeht und sagt: „Hey du gefällst mir, lass uns ein wenig zusammen durch den Dschungel fliegen.“.

Wie soll ich sonst den anderen Teil meiner Seele finden?

Berlin, 17.12.2003

Nachtfalter. (2. Reisebericht nach Berlin Dez '03)

Es gibt nichts was mich mehr interessiert als Menschen.

Deswegen sammele ich sie auch. Besser gesagt Ihre Gesichter und Physiognomie. Und wenn ich ganz genau nachdenke, sammle ich eigentlich meine Reaktion auf sie.

Und wie ein Sammler von Schmetterlingen gehe ich in den Dschungel um die schönsten und seltensten Exemplare zu finden. Mein Dschungel ist die Party, das Event. Ein besonders schöner Dschungel ist Berlin. Seine Nachtfalter haben eine besondere Faszination für mich.

Schlaglichter gleich, sehe ich sie und mache mir meine Vorstellungen über das Exemplar. Versuche aus dem Gemisch von Physiognomie, Körpersprache, Sprache, Kleidung, Bewegung und Verhalten, Freunde und des Tanzens des Nachfalters, mir vorzustellen, wie der Falter so im allgemeinen und im speziellen ist.

Was ich an ihm mag und was ich an ihm ablehne. Wo meine Persönlichkeit ihn bejaht, wo sie ihn ablehnt, ihn begehrt, ihn verhöhnt. Um ja viel über mich zu lernen.

Gegensätze waren ja schon bei Heraklit die Elemente einer alles verbindenden Wirklichkeit: „Die Gegensätzlichkeit ist nicht das letzte; vielmehr sind die Glieder der Gegensätze aufeinander bezogen.“ Alles und jeder lehrt Heraklit sei: „... durch ihr gegensätzliches Verhalten miteinander zusammengeführt.“

OK, mir ist klar das der alte Grieche Heraklit nicht unbedingt mal so mit in den Dschungel, sagen wir mal ins GMF in Berlin, kommen kann. Aber recht hat er.

Aber hierzu passt auch die griechische Sage von der Sokrates bei seinem berühmten Abendessen erzählt. Er erklärt das Wesen des Sexuellen Verlangens:

Anfangs gab es drei Geschlechter, das männliche, das weibliche und ein mannweibliches, und alle waren kugelrund. Sie verhielten sich anmaßend gegen den König der Götter, der sie in der Weise zu strafen gedachte, dass er jedes in zwei Hälften zerschnitt. So das alle ihr Leben lang auf der Suche nach der anderen Hälfte sind.

Und Liebe ist nichts, als das Finden dieser, seiner eigenen Hälfte. Bei 6 Milliarden Menschen auf der Erde: kein leichter Job.

Und mann machte es sich ja auch gerne selbst schwer. Wer zum Beispiel mal ins GMF zur Party in Berlin geht und anthropologisch-soziologische Studien betreibt, wird erst mal das Prinzip der Abgrenzung finden. Die, die ins GMF gehen und die, die nicht gehen. Die mit T-Shirt, die ohne eins. Die mit Drogen und die ohne. Die Jungen und die mhhh... nicht mehr ganz Jungen. Die, die Trainiert sind und die, die nicht trainieren.

Alle wollen sie das Gleiche. Aufmerksamkeit, Liebe, Sex oder welche Form auch immer eines Beweises der eigenen positiven Existenz.

Nehmen wir mal zum Beispiel den Herrn X. Jeden Sonntag ist er im GMF. Kaum 175 cm groß. Immer im schlecht sitzenden, schwarzem Jackett. Er durchstreift den Dschungel, pardon GMF, um sich zu paaren. Nun er ist aber der einzige der immer und ständig, zwei Bodyguards dabei hat. Warum hat dieser Berliner wie Wittney Houston in „Bodyguard“ einen Leibwächter? Und warum gleich zwei? Und warum tragen sie noch schlechtere Anzüge als er?

Reich kann er nicht sein. Dazu sind alle drei zu schlecht angezogen. Von offizieller Bedeutung kann er auch nicht sein, vom Land gestellte Bodyguard sind nicht türkischer Abstammung. Auf Schritt und Tritt folgen sie ihm. Er flirtet. Sie stehen dahinter. Er geht aufs Klo. Sie auch. Die einen sagen es sind Morddrohungen des Ex. Die anderen sagen es ist ein Balz-Ritual aus dem Osten. Wieder andere sagen es ist der Neffe des Zigaretten-Paten von der Ost-Mafia. Nur wissen, tut es keiner.

Als zweites Prinzip, fällt das Prinzip der Abschottung auf. Peinlich genau wird darauf geachtet, das keine Falter, dem anderen Falter, durch Kleidung, der Kunst des Faltertanzes oder durch ein Lächeln, auch nur einen Hauch von Ermutigung oder sogar Eigeninitiative, zur Kontaktaufnahme, gibt. Alle sind pure Risikovermeider. Ein Nein, könnte ja tödlich sein. Zu mindestens gesellschaftsmüßig.

Alle schmücken sich für die Parade im Dschungel, alle gehe sie hin, doch Keiner nimmt Kontakt von sich aus auf. Es ist wie eine Messe, wo sozialer Stacheldraht die Messebesucher und Aussteller trennt.

Das dritte Prinzip überträgt die Regeln der Werbung auf den Dschungel. Entweder richtet sich der Falter auf die Bühne ins richtig Licht und versucht zum Star der Schauspieltruppe zu werden (Imageing) oder er glaubt den Preis nach oben treiben zu können, indem er den Dschungel allein durchstreift und „hard-to-get“ spielt (Angebotsregulierung).

Um dem vierten Prinzip gerecht zu werden, heißt es, sich nie festzulegen. Nie zu sagen, ja das ist DER Falter! Es könnte ja ein noch schönerer, noch größerer, wo sein.

Sokartes hat den Giftbecher freiwillig genommen. Er hat jeden vorgeführt das er eigentlich nichts weiß und alles Wissen, auch um einen selbst nur wie eine Taschenlampe im Nebel ist. Er hat alle und jeden mit seiner Frage nach dem, was mann wirklich weiß, genervt.

Ich will den Becher nicht freiwillig trinken. Aber ich will ein Utopia, wo der Nachtfalter auf den anderen Nachtfalter zugeht und sagt: „Hey du gefällst mir, lass uns ein wenig zusammen durch den Dschungel fliegen.“.

Wie soll ich sonst den anderen Teil meiner Seele finden?

Berlin, 17.12.2003

16.12.2003

Concorde. (1. Reisebericht aus Berlin Dez '03)

Dieses Flugzeug bringt alle Passagiere in nur einer einzigen ersten Klasse, in überschall, in alle Welt.

Tim Fischer schenkt uns so ein Flugzeug. Sein Programm „Yesterday once more...“ fliegt als “…Best off” von Song zu Song, von Zeit zu Zeit und von Land zu Land.

Er nimmt uns mit in die erste Klasse. Seine Bordcrew ist eine wunderschöne Bande voller Gnome, wie noch nicht mal der Sommernachtstraum ihn uns zeigt. Sechs Gnome. Ihre Uniform ist die Fabe Schwarz. Und um Ihren Herrn gleich zu tun, tragen Sie alle Ohren wie ein Gnom.

Da ist der Geiger, im vollen schwulen Ornament. Engstes schwarzes ärmelloses Shirt, links und rechts Handgelenksleder, eine Zimmermannshose. Und für das Drama die Geige auf der Schulter. Kein Zigeuner an Bord der Concorde könnte mehr Drama uns geben.

Die Guitare neben ihn ist ein blasser, blutleerer Teufel. Aber nur dem äußeren nach. Seine Seiten schwingen alle hier an Bord.

Und in der Mitte: Tim, der Fischer. Einem Purser gleich, sorgt er sich um alle und jeden. So schmal, so groß, so wenig Kanten. Ein Strich nur. Ein Strich, der wie ein Drei-Tage-Seminar zum Thema Körpersprache daher kommt.

Am schwarzen Overall ist der Elvis-Stehkragen die einzige Erhebung. Dick ist alleine der Gürtel, als Hüftenersatz. Aus Silber so massiv, das Elvis ihn am liebsten auf seinem Hawaii-Konzert getragen hätte. Mit dem Po-langem-Haar sieht Tim aus, wie eine Melange aus Liv Tyler als Fee in „Herr der Ringe“ und dem tollpatschigen Ureinwohner namens Jar Jar Binks aus Episode One/Star Wars.

Und diese Bandbreite aus tiefer Mystik und entwaffnender Dummheit serviert er uns an Bord der Concorde „Tippi-das-Zelt“.

Da ist er deutsch romantisch beim „... großen schwarzen Vogel“, wo seine gesungene Liebe zum Tod, jeden das Blut an Bord gefrieren lässt. Dann wieder sozial dumm, als Fräulein Kreuzworträtsel. Uns mahnend das Wissen nie die Kunst der Menschenkenntnis ersetzt. Und dann wieder kalt und praktisch, wenn er vom Parfüm singt. „Das Parfüm mit dem Namen Hitler“. Wo jeder noch in der letzten Reihe der Concorde staunt, wie Adolfs Rhetorik tief, viele zu tief, in unserem kollektiven Ohr sitzt.

Die Gnomen-Bande hat auch einen Klavierspieler. Von der Statur her klein und dick. In Gesten arm. So das alles in seinem Gesicht statt finden kann. Ungeeignet und deswegen für gut befunden, als Primaballerina auch mal in Tüll zu tanzen.

Der Keyboarder ist der Pirat der Gnome. Das schwarze Tuch zum Kopftuch gebunden, erobert er jeden Passagier ganz schnell. Bei dem Drummer kann ich nichts sagen, er ist der Zwerg der Gnome. Sehen tue ich ihn nicht, doch hören sehr gern. Der Bass ist wie die gleichbleibende Turbine des Flugzeuges, die uns so lange wie wir sie hören, beruhigt schlafen lässt.

Her Fischer steuert die Concorde in vielen Sprachen, außer Deutsch, besser gesagt Deutsch-Österreich. Da ist sein Himmel gleiches Französisch. Und da ist Englisch, Italienisch und Türkisch. Und über all wird aus Tim ein Landeskind und doch bleibt er sich selbst. Die Stimme ist immer gleich und immer anders. Sein Statement: „Ich glaube and die Liebe, nicht an die Treue“ bleibt er gesanglich als zu treu.

Nach der Pause sind die Gnome und Herr Fischer in einheitlichem Weiß auf der Bühne. So das Reihe 1-12 und selbst Reihe 24-34 merkt, das die Kostüme die Leinwand sind für ein grandioses Licht, das jede seiner Rollen, jedes Lied, den perfekten Rahmen gibt.

Mit dem selben Overall, nur in Weiß, mit jetzt kurzem Haar, sagt Tim: „Entweder denken oder singen!“ Und so gibt es für uns Passagiere auch nur fühlen und kein Denken. Nach diesem erstklassigen Service, wollen alle ihn nicht nur von „9-10“ wie in seinem schönsten Liebeslied, lieben. Sondern wir gehen alle mit dem Lied im Kopf nach Hause: „Ich habe ins Paradies geschaut“

Berlin, 16.12.2003

18.09.2003

Connections. (Reisebeicht aus Berlin Sept '03)

Manchmal steht mann neben sich und denkt sich so: „Was war da denn jetzt?“

Erst vor kurzem saß ich im Hotel des „Art Hotels Connection“ in Berlin. Im 3. Stock eines Jugendstilhauses kommt mann über einen Aufzug mit gusseisernem Käfig zu diesem Etagen-Hotel. Ich hatte mich sowieso auf einiges eingestellt. Nicht nur weil es ein schwules Hotel ist, sondern auch, weil im Erdgeschoss dieses Hauses die Disco Connection ist.

Meine ersten 3 bis 4 Besuche dort in den 80’ern waren sehr enttäuschend gewesen. Eine kleine nichtsagende Disco. Dessen legendären Ruf ich mir weiß Gott nicht erklären konnte. Bis ich beim drauffolgenden Besuch den Keller entdeckte.

Katakomben und Gewölbe. Labyrinth und Kanäle. Darkrooms und Kabinen. Eine unterirdische Welt, größer als die der Christen im alten Rom.

Und das mir, wo ich doch zwanghaft mir sofortigen Überblick über die Location verschaffen muss. Direkt wissen will: wo ist was und wo ist wer? Wo ist die Ecke mit denen die Tanzen können? Wo stehen die Muscle-guys? Wo die apathischen Spanner? Wo wird gefickt? Wo geflirtet?

Kurz: wo laufen die soziografischen Längen- und Breitengrade?

Und als ob das noch nicht genug wäre, laufe ich diese Längen- und Breitengrade den ganzen Abend gespannt ab. Wie ein Grenzer an der Deutsch-Deutschen Grenze.

Gut, die Katakombenwelt war mir also bisher entgangen. Deswegen untersuchte ich sie damals um so genauer. Dieses Großreich der Möglichkeiten und potentieller Versprechungen hieß es ja zu in Quadraten aufzuteilen, zu entdecken und in beschriftet kleine Schubladen in meinem Gehirn abzulegen.

Gut gefällt mir dabei die Geschichte des jungen Mannes, der leicht angetrunken seinen Traummann im Keller entdeckte. Daher nahm er sich einen Barhocker und positionierte sich in sicherer Entfernung und bei maximaler Scan-Möglichkeit.

Dieser Traummann war sehr groß, muskulös, schweigsam und bewegte sich auch nicht unnötig. Daher strahlte er Ruhe und Übersicht aus.

Mein junger Freund flirtete nun über Stunden aufs intensivste mit diesem Traummann. Zum Teil durch den Alkohol, zum Teil durch die Überlegenheit des Traummannes, war der junge Freund wie gefesselt auf seinem Barhocker.

Bis mein junger Freund von seinem Reisebegleiter gefragt wurde, warum er denn schon seit Stunden die Tom-of-Finnland-Ersatz-Freske an der Toiletten-Tür anstarre?

Im 3. Stock dieses Hauses in Berlin ist also das Hotel. Und wie das so bei alten Häusern in Berlin nun mal ist, gab es einen 30 Meter langen Flur. Von dem gehen die Hotelzimmer ab. Tritt mann in dieses Etagen-Hotel ist mann gleich in diesem Flur. 15 Meter geht er gerade aus und die anderen 15 Meter gehen in einer scharfen L-Kurve rechts ab. Genau auf der Ecke ist der hoteleigene PC/Internetplatz.

Selbst nachdem ich schon 15 Jahren massiv mein Schwul sein praktiziert habe, saß ich immer noch verschämt dort und chattet in Gaydar, Gayromeo, Sixpackparty und und und.

Jedes mal, wenn die Tür auf ging, wechselte ich geistesgegenwärtig auf die unverfängliche Web-Mail-Seite.

Und jedes Mal als sich eine Tür öffnete, trat ein anderer Alien in den Flur. Alle waren getarnt als Menschen, ausnahmslos als Schwule jenseits des 340’ten Geburtstages. Oder die 340’te Wiedergeburt?

In Kleidung und Habitus einer Schwulen Generation, die es gewohnt war erst zu klingeln, bevor sie in eine schwule Bar gehen konnte. Sie hatten Verstecken und Andeutungen zur hohen Schule perfektioniert. Das gesamtgesellschaftliche schlechte Gewissen ließ sie gebeugt laufen.

Nach dem ich auf diesem intergalaktischem Flughafen, der dem aus dem Film MIB nicht unähnlich war, so etwa 10 Aliens gesehen hatte, fragte ich mich schon gar nicht mehr, wer denn wohl noch so aus den Zimmern treten würde.

Aus einem Zimmer aus dem Teil des Flurs der in meinem Rücken lag, hörte ich immer jemanden laut von 1 bis 10 zählt. Eins, zwei, drei, ....

Dann war eine Pause und wieder setzte die Stimme ein. Die Stimme setzte die Zahlen so wie vielleicht der Moderator der Lottozahlen: exakt, präzise, und mit einem leeren Lächeln.

Und plötzlich ging die Tür, von dem Zimmer mit der Stimme, auf. Verschämt klickte ich wieder schnell auf die Web-Mail-Seite.

Und schon war der Alien aus dem Stimmen-Zimmer in das letzte Zimmer am Gang wieder verschwunden. Aber ich hatte gar keine Zeit wieder auf Gayromeo zurück zu klicken, weil die Tür des letzten Zimmers wieder auf ging.

Diesmal schaute ich hin.

Ein junger Alien, quasi aus der Nachwuchsklasse, von knappen 150 Jahren, war gänzlich nackt im Flur. Mit kaum 1,65 war er sehr klein. Auch sehr schmächtig. ET war im Vergleich fett. Aber sie hatten wohl die gleiche runzlige Haut.

Und dieser kleingewachsene, schmächtige Alien schob nackt wie es war, ein Sport-Bock vor sich her.

So ein Sport-Bock haben die meisten von uns ja schon im Schulsport gehasst. Dort wo mann mit Hilfe eines Trampolins und einer Beingrätsche über solch einen Bock fliegen musste.

Der Bock auf dem Flur war auf die höchste Stufe gestellt, so das ich vornehmlich den Bock sah und nur wenig von dem Alien. So schmal und klein wie der Alien war, sah ich nur seine Stirn und sein angespannte Augen. Der Scheiß rannte über seine Stirn, denn der Bock war mindestens doppelt so schwer wie er.

Das Leder und das Holz des Bocks war offensichtlich neu. Es war auf der 3. Etage des Hauses auch keine Sporthalle. So das der Bock wohl zum Reisegepäck des Alien gehörte. Der schob nun diesen Bock aus dem letzten Zimmer, in das Zimmer mit der Stimme.

Und diese Verschiebe-Aktion dauerte nur wenige Sekunden. Fort an kämpften mein Unter- und mein Bewusstsein. Nimm ich das nun wahr oder nicht?

Aber was ich nur aus dem Augenwinkel sah, schon sich endgültig in mein Bewusstsein, als ich wieder die Zahlen hörte. Eins, zwei, drei, ....

Diesmal nur unterbrochen von einem leisen, wonnegefüllten: „Aua“.

Berlin, 18. September 2003

06.09.2003

Salvation Army. (2. Reisebericht aus Amstderdam)

Die Treppe ist die Grenze zwischen dem Eingang und der Garderobe.

Um dort hin zu kommen, arbeitet mann sich einen langen Gang entlang. An keinem Airport der Welt auf dem ich bisher war, habe ich strengere Sicherheits-Checks erlebet, wie im Escape in Amsterdam.

Kaum gab mann am Ende des Ganges dem Türsteher, der mehr Himalaja ist als Bodybuilder, seine Eintrittskarte, ist mann auch schon auf dem Centre Stage.

Wimbledon hat einen Centre Court.

Das Escape eine Centre Stage.

Die Treppe liegt wie eine Grenze zwischen dem Himalaja und der Garderobe. Keine 15 m2 weit entfernt.

Zwei Stunden saß ich auf der Treppe und habe den Einzug der Gladiatoren der Nacht auf diesem Centre Stage staunend verfolgt.

OK, das war nicht wirklich fair. Da ist zum einem das Licht, das einen wie in einem Kosmetik-Salon blass und müde aussehen lässt. Dann diese 5 Meter Weg zur Garderobe ließen alle Rückschlüsse aus der Körpersprache zu. Und wie einer sein T-Shirt oder Jacke auszieht, lässt mich auch gleich immer die Wohnungseinrichtung mit sehen.

Nicht immer schön.

Wie junge Fohlen waren fast alle uneingeschränkt nervös, diesen Centre Stage zu betreten. Das T-Shirt-zupfen und Haare-glatt-streichen nahm kein Ende. Bei jungen Hunden nennt mann das wohl "Übersprungsverhalten".

Aber wie immer schon, ist in Amsterdam kaum etwas jung.

Not 20 Something. Not 30 Something. It is more 40 Something. Alle trainiert. Zu mindestens im schwulen Duathlon: Brust und Bizeps.

Brav sind alle in den richtigen Label-Shirts und –Trousers erschienen. Stunden voller „Qual der Wahl“ vor dem Spiegel. Welches T-Shirt soll es denn nun sein? Und nach 5 Metern auf dem Center Stage, gibt mann es dann gleich wieder an der Garderobe ab.

Seltsam. Köln ist die Stadt der 20 Something.

Gibt es da vielleicht eine Strafversetzung, wenn mann als Gay-Youngster zu viel und zu lange Mascara und D-Squared in Köln getragen hat? Direkt in das Warmosstraat-Lager! Kaum ist mann in dieses Lager versetzt, bekommt mann als Willkommens-Geschenk: ein verderbtes, vernarbtes und eingefallendes Gesicht.

Zu mindestens denke ich das, als ich zwei Stunden auf der Treppe sitze und den Zug der Seelenlosen an mir vorbei ziehen lasse.

Ich vermute ja, dass das Salvation als Party im Escape diese strengen Drogen-Kontrollen an der Tür nur macht, um seine hauseigenen Dealer, die durch die Hintertür rein kommen, ein Monopol-Gewinn zu ermöglichen.

Denn ALLE bei der Salvation sind drauf.

Das Escape ist ein 20 Meter hoher Würfel mit einem 1 Meter hohen und 10 Meter langen Cat-Walk in der Mitte. All die kleinen Schwuppen lieben es hier drauf zu tanzen. Endlich sehen sie mal über andere hinweg. Endlich werden sie gesehen.

Und wenn mann da so auf der Treppe sitzt, fällt einem auch auf, das es so etwa wie eine Schwule Apartheid gibt. An der Garderobe sind wunderschöne Frauen. Die Glas- und Flaschensammler sind Heten. Offensichtliche Schwulenhasser. Die Bartender sind auch froh, dass sie die Bar zwischen sich und dem schwulen Pack haben.

Aber nachdem die 40 Something brav ihr Geld in die RICHTIGEN Bekleidungs-Einzelhandelsläden getragen haben, das RICHTIGE Sportstudio besucht haben und die RICHTIGEN und Wichtigen gegrüßt haben, zahlen sie auch noch dafür, das die Heten mal für sie arbeiten.

Wer 1000 Prozent Gewinnmarge ermöglicht wird gemocht. Oder ?

Nach den 2 Stunden, bin ich dann auch mal von der Treppe, in den Würfel gegangen.

Und da war sie: die Salvation Army!

Strikt organisiert. Uniform. Mit klaren militärischen Rängen und Kasten. Gestaffelt nach Titten-Zentimetern und Schwanzlänge. Aktiv und Passiv. Fashion, Butch & Camp. Ganz unten in der Hierarchie stehen die Hässlichen, Tucken und Kleinen. Dann kommen die Unteroffiziere: frisch trainieret, aber noch nicht massig. Dann die, die auf der Centre Stage sich gleich getraut haben ihr T-Shirt auszuziehen.

Geführt wird die Truppe, von Menschen die einen Leberschaden haben. Nach alle den Steroids. Husten dürften die Führer auch haben. Denn sie trinken Hustensaft, um die Körpertemperatur zu erhöhen. Instant Fat Burning.

Alle. Wirklich Alle. Sind pure Energiefresser.

Einem Drogenabhängigem gleich, sucht jeder nach Männern die Energie ausstrahlen. Sie quasi verschenken. Diese Männer sind die Hofnarren der Salvation Army. Es sind die, die ein echtes Lachen haben, aus reinem Herzen tanzen oder Augenpaare ihr eigen nennen, die mehr erzählen und versprechen, als alle Karl-May-Bücher zusammen.

Sie stehen außerhalb der Hierarchie und Kasten. Sie sind, ohne das sie es wissen, die Droge, nach dem sich die anderen sehnen. Und weil sie das nicht wissen, fühlen sie sich außen vor. Und tun über die Zeit hinweg alles, um dazu zu gehören.

Und je mehr sie dazu gehören durch Kleidung, Drogen und Leberverzicht, um so eher werden auch sie: zu Energiefressern.

Neue Rekruten für die Salvation Army.

Als moderne Vampire saugen sie mit ihren Kameraden zusammen nicht Blut, sondern Energie. Lebensenergie.

Wenn mann das so sieht, mit der Salvation Vampire Army, versteht mann auch warum es immer mehr werden.

Salvation heißt Heil.

Diese Armee bringt keine Salvation. Sie ist wie das schwarze Loch im Gay-Universum. Sie schluckt alle Energie mit der sie in Kontakt kommt.

Amsterdam 06.09.03

05.09.2003

Allein. (1. Reisebericht aus Amstderdam)

Allein.

Ich sitze im Zug. Zwischen Köln und Amsterdam. Ein Großraumabteil voller Menschen aus einem B-Movie, der schlechtesten Art.

Laut, geschwätzig, hässlich und am schlimmsten: ohne Geschmack. Ich werde nie mehr über die Mascara-Tucken aus Cölle schimpfen. Die gemeine Haus-Hete an für sich, kann schon hässlich sein.

Laut ist ihr unnötiges Geschwätz über Hochzeitsgeschenke oder Bundeswehrerlebnisse. Da ist mir der laute Türke schon lieber, der seit Düsseldorf seine Worte auf sein Handy drischt. Wir sind in Utrecht! Und seit 1 ½ Stunden hat sein Gesprächspartner nicht eine Chance, ein Wort zu sagen. Gut das ich kein Türkisch verstehe.

In solchen Momenten liebe ich es meinen MP3-Luxus auf volle Lautstärke auszuleben.

Uhiiiii. Da sitzen diagonal rechts von mir zwei ... Frauen. Sie sind eine Mischung aus Baccara und „Deutschland-sucht -den-Superstar-Juillet-und-Gracia“ (Erster Runde !). Nur sie sind doppelt so alt und doppelt so faltig. Von Styling und Make-up zu viel und vom Lady sein, zu wenig. Sie sehen aus, wie eine „Saure-Regen-Kiefer“ die mit Weihnachtsschmuck behangen ist. Ihr Versuch Aufmerksamkeit zu erzielen unterscheidet nicht nach Bewunderung oder Verdammung.

Als Schwuler ist ihr Balz-Ritual nur lächerlich für mich. Kein Wunder das wir Schwulen oft als lächerlich bei den Heten gelten.

Vielleicht sollten sie wie im Brecht-Theater anstatt eine s Bühnekostüms nur ein Schild um den Hals tragen: Fick mich! Dann könnten sie sich auch die teueren und hässlichen Klamotten sparen und meine Netzhaut schonen. Wahrscheinlich ist das auch keine schlechte Idee für die Mascara-Tucken.

Aber da sitze ich nun mal im Zug. Wie immer lesend: UN-Report, Psychologie Heute, T-Systems Intranet Seiten und eine Fotoband.

Es gibt kein Platz, keine Zeit, kein Raum, wo ich mehr bei mir bin, als beim Reisen. Allein und mit meinen Gedanken in einsamer Geselligkeit.

Geht der Zug 1, 2 oder 3 Stunden. Egal. Auf solchen Reisen bin ich im Flow. Ich lese, denke. Jenseits meins Körpers und seiner Zeichen. Flow ist ein Zustand bei dem und durch dem man Raum, Zeit, seinen Körper und sich selbst vergisst.

Bei meiner Dreifaltigkeit des Online-Zeitalters: Chat, Era, Job; bin ich aufs peinlichste darauf bedacht, nicht alleine zu sein. Ich müsste mich ja mit mir selbst beschäftigen. Ich verweigere die Arbeit der Selbsterkenntnis und meide die Konfrontation mit meinen Gefühlen.

Lieber fliehe ich in die Geschäftigkeit, bin rastlos auf der Suche nach neunen Reizen. Selbst wenn es nur ein Anästhetikum ist, wie Fernsehen.

Und Selbsterkenntnis wird mir auch nur wirklich bewusst, wenn ich sie ausspreche. Also, mit jemandem bin.

Ich scheue das Alleinsein und sehne mich gleichzeitig danach. Meine Sucht nach Kommunikation und Erlebnis ist ungebrochen. Meine Dummheit meinen Körper dabei hinten anzustellen ist gleich geblieben. Sei es ein City-Trip, sein es CSD, sei es ein einfaches Wochenende. Tag und Nacht haben busy zu sein. Party, Kultur und Gespräch. Sex statt Abenteuer. Bis ich nahezu zusammenbreche und endlich die Ruhe zulasse.

Mit 36 Jahren gestehe ich mir doch ein, das die Zeit, wo ich allein sein will und auch allein sein muss, immer größer wird. Die Zeit für Battery-Recharge. Nicht zu verwechseln mit der Zeit in der man einsam ist. Nicht weil körperlicher Verfall das bedingt. Wie das WWW steigt die Anzahl der Verlinkungen in meinem Be- und Unterbewusstsein exponentiell an. Braucht mein Prozessor mehr und mehr Rechenzeit, um die ganze Komplexität zu erfassen.

Das ich in dem Großraumwagen der DB überhaupt was wahrnehme ist verwunderlich. Kein einziges mal schaue ich aus dem Fenster. Sehe keine Landschaft der Stadt. Suche mir eine Reihe ohne Nachbar. Ich bin ja immerhin Bahn

Comfort Kunde. Also, meine Kilometer in der Bahn sind größer als die Anzahl von Milchkaffees im Era. Kaum betrete ich einen Großraumwagen, fange ich an zu lesen, zu lesen und lese. Stundenlang. Nehme nichts wahr. Konzentriere mich auf den Stapel den ich mir vorgenommen habe.

Diese Konzentration ist so wohltuend. Sie lässt keinen Zweifel, keine Langweile, keine Kritik und keine Fehler zu. Werder von andern, noch von mir selbst. Ein glücklicher Zustand.

Eine Sucht zwingt einen zu etwas hin. Meine Lebenssucht bringt mich von etwas weg. Weg von der Beschäftigung mit mir selbst. In diesem Zug zwischen Köln und Amsterdam bekenne ich mir dazu, dass all meine Reisen bei den ich allein bin, Flow sind. Und wie ein bei allem nutze ich dieses Flow um den Turbo einzuschalten, bei der Arbeit mit mir selbst.

Flow ist purer Alpha-Zustand des Gehirns. Deswegen sind die Reisen im Job und in der Freizeit für mich eine große Gnade. Voller Aufmerksamkeit. Voller Assoziationen. Voller Erkenntnis.

Was mache ich falsch? Was soll ich machen, damit ich dies auch zu Hause habe?

Vielleicht sollte ich den Türken, Juillet und Gracia fragen, ob sie mit mir nach Köln zurück kommen?

Köln, Amsterdam 5.09.03

02.09.2003

Waagen werden geeicht. (4. Reisebericht aus Wien)

Waagen werden geeicht.
Uhren gestellt.
Messer geschärft.
Und ich fliege nach Wien.

Als westlichste Stadt des Ostens, ist Wien viel mehr Ostblock als Prag,
Warschau und sonstige Städte.

Als verwöhnte Hard-Core-Reisetucke, habe ich ja schon viel gesehen und
mir auch sonst viel Mühe gegeben. Und dann komme ich nach Wien!

Aus dem Licht, ins Dunkel.
Aus dem Rokoko in den Klassizismus.
Aus dem blühenden Garten, auf den Acker.

Und nach zwei Tagen ist mann dankbar.

Für Menschen die sich mühe geben.
Für Männer die zu mindestens in Frage kommen.
Für Sex der wenigstens ansatzweise Hauptstadt-Charakter hat.

Gut es gibt die Kunst. Wien hat ja sonst keine Bodenschätze. Und das Museumsquartier ist schon eins der schönsten Museumslandschaften.

Gut das Cafe Berg gefällt mir schon sehr gut. Kaffeehaus-Kultur ist halt auch Kultur.

Aber dann am Samstag Abend im Chains,.. pardon Lo:sch.

Das Lo:sch hatte Geburtstag. Fünf Jahre. 200 Mann aus Wien, Kärnten, Graz und Slowenien.

Alleine schon die Adresse: Fünfhausgasse. Es ist im Keller eines Hetero-Puffs im 7. Bezirk. Knapp hinter einem Luftschutz-Flackturm der
aus dem WK II.

Als wir aus dem Taxi gestiegen sind, haben die Mädels gerade ihre gewerkschaftliche Pause gemacht. Und ihrer Titten zum lüften aus dem Fenster hängen gelassen. Die Begrüßung als wir aus dem Taxi in Gummi, Army, Leder und sonst wie stiegen, kannst Du Dir ja vorstellen....

Ok Walter - mein Gastgeber - ist Architekt. Und als Schatten-Präsidentin des LMC Vienna hat er denn Keller auf strickte Funktionalität getrimmt.

Aber die Absonderlichkeiten hatte ich mir eigentlich im Naturhistorischen Museum ansehen wollen. Aber nicht lebend. Und nicht Samstag Nacht. Wobei man schon sagen kann das das Natur- und das
Kunsthistorische Museum wunderschön ist in Wien.

Als sorgsamer Gastgeber hatte Walter zur Vorbereitung des Abends ein Dinner gegeben. Ein Österreichisches, Slowenisches, Spanisches und Bundesdeutsches Dinner zu Acht.

Gut das wir alle schwul sind und nicht in vier Sprachen über das Wetter sprechen mussten. Sondern natürlich über Sex. Und glaub bloß nicht das ich mich verzählt habe. Das Wienerisch an für sich und im besonderen.... ist ..... besonders...

Nach dem Kostümball im Lo:sch im Hinterhof-Sissi-Ballkeller, sind wir noch ins Nightshift.

Das ist so wie das Chains am Freitag. Also Schulz-Jugendgruppen, Lycra-T-Shirts und Lo:Sch-Enttäuschte.

In jeder Stadt der Welt spotten wir ja gern über die Barmänner. Wien hat da was besonders zu bieten. Im Nightshift ist es Regi.

69,175,124,w.

Also 69 Jahre alte, 175 cm groß, 124 Kilo leicht und eine ECHTE Frau. Obwohl sie butcher ist, als alle Kerle zusammen.

Wir sind um 4 Uhr dort eingefallen. Im Lo:sch MUSSTE ich schließlich trinken. Und im Obstsalat vom Dinner war mehr Schnaps, als ich je in meinem Leben getrunken hatte.

Da fiel es mir auf das ich Alexander schon mehr als 12 Jahre kannte. Alexander ist der andere Freund denn ich in Wien besuche.

Und kaum waren es 5 Uhr hatte ich schon einen neuen Freund.

Für 30 Minuten.

Anyway, wie die Waage gehe ich jetzt wieder genauer. Wie die Uhr bin ich exakt. Wie das Messer wieder scharf.

Danke Wien.

Jetzt bin ich für Köln wieder bereit.

01.09.2003

Museums - Toiletten. (3. Reisebeicht aus Wien)

Eine gute Ausstellung, weckt eine Sehnsucht.

Oder eröffnet eine neue Perspektive.

Die Albertina in Wien hat meine Sehnsucht nach Paris erneut entfacht.

Sie zeigt, Monsieur Brassai. Fotografien aus dem Buch „Paris de Nuit“. Fotografien aus den 30’ern. Fotografien nur mit Magnesium-Blitze „gemalt“.

Jenseits des Kitsches und der Romantik eines Robert Doisneau.

Brassai hat in Paris nur bei Nacht gelebt. Und nur nachts fotografiert.

Und so sind seine Bilder voller Menschen der Nacht: Nutten, Halunken, Clochards, Nachteulen, Verliebte.

Eine große Freude in diese Bilder zu tauchen, ja abzusteigen.




Die Ausstellung ist im Keller der Albertina. Modern. Sachlich. Funktionell. Doch trotzdem warm.

Man erreicht sie nur durch eine sehr lange und steile Rolltreppe. Die durch eine Röhre geht. Die Wände der Röhre, könnten auch die Wände des Hallodecks der Enterprise sein. Graues Glas, von hinten beleuchtet. Und so wird das Absteigen in die Bilder wörtlich. Wie ein Grubenbauer „fahre ich ein“, in die Kunst der modernen Fotografie.

Die Albertina ist hinter der Hofburg. Im ersten Bezirk. Dem Heiligtum, Wiens. Wo jeder Pflasterstein als Zeitgeschichte vehement verteidigt wird. So ist der erste Bezirk ein gigantisches Freilichtmuseum. Um in diesem Bezirk, was Modernes an Architektur zu sehen, muss man schon in den Untergrund.

Der 1. und 2. Stock der Albertina ist das große Gegenteil zum Keller. Eine Bastei, als vorspringender Teil der Hofburg. Mit fast nur Gängen und Stiegenhäusern. Wunderschöne, schnörkellose Säulengänge. Voller warmer Klassizismus.

Die gezeigten Zeichnungen von Dürrer bis Schiele sind ... nett.

Aber das Parkett der Prachträume ist atemberaubend. Jeder Raum hat sein eigenes Parket, sein eigenes Muster. Grafik. Ornament. Geometrisch. Alles kommt vor. Alles hat seinen eigenen Raum.




Als ich meine Augen vom Boden wand und zur Toilette schritt, musste ich wieder in den Keller. Und als Majestät auf dem Thron, viel mir auf, das die modernsten und schönsten Toiletten in Museen sind.

Das Albertina spiel mit automatischen Türen.

Das Guggenheim in Berlin mit Chrom.

Der Erweiterungsbau des Van Gogh in Amsterdam mit der Dunkelheit.

Freude, entsteht ja durch Erleichterung. Als „Partykeller“ der Hofburg, diente die Albertina ausschließlich der Freude, dem Tanz und dem Vergnügen der Ersten Gesellschaft Wiens. Diese Erleichterung folgend, ist der Bau perfekter Schein und diente Franz-Josef gut.

Zufällig treffe ich ihn im Foyer: Tim.

Er ist aus Köln. Wohnt keine 100 Meter von mir. Wir sehen uns aber vornehmlich in anderen Städten. Hamburg. Berlin. Oder jetzt halt Wien.

Wir essen zusammen im Restaurant der Albertina.

Perfekte Moderne, im warmen Licht. Eine 20 Meter Bar aus schwarzem Granit mit feinen, weißen Farbfäden gesprenkelt. Braun-rote Kirchholz-Vertäfelungen an den Wänden. In den ersten Metern, 3 Ufo-förmige, riesige Lampen. Im hinteren Teil ist die Decke mit gelben Glasquadraten bedeckt. Ihr Licht lassen mich aussehen, wie keine Make-up-Artist der Welt es schaffen könnte. Oder Chirurg. Ich werde öfters hier essen gehen.

Von meinem Platz sehe ich durch große Spiegel an der Wand, staunend auf Reproduktionen von Zeichnungen von Schiele. Eine Nackter Mann. Eine nackte Frau. Beide Zeichnung sind zwischen den Zeiten. Wie das Restaurant. Zwischen der Vergangenheit des 1. und des 2. Stocks. Und der Modernen im Keller.

Wie auch Wien.

Vielleicht hätte ich mich mit ihm zum Abschied verabreden sollen? In Paris? Bei Nacht? In einem Museum? Auf einer Toilette?

Nein. Zufälle sind immer noch besser.

Wien. 1.September 2003

31.08.2003

Herbst! (2. Reisebeicht aus Wien)

Herbst !

Das letzte August-Wochenende. Ich bin in Wien. Eine Stadt der Vergangenheit. Der Melancholie. Zu mindestens für mich.

Welche Stadt sollte besser geeignet sein, um den Herbst willkommen zu heißen?

Dieses 2003 war doch eine wunderbare Rote Grütze gewesen. Bisher. Viele Früchte. Große Süße. Und eine Belohnung.

Nach Tagen, Wochen und Monaten mit 30, 34 Grad ist der Herbst nun da.

Freitags verließ ich Köln im Regen und landete mit dem Flieger in Wien bei 35 Grad. Eine Luftfeuchtigkeit knapp hinter einer zu langen Morgendusche. So drückend das mir der Atem stockte.

Und wie dieser Freitag waren ja auch die ersten Monate des Jahres gewesen. Innerhalb weniger Stunden hatte ich meine Stelle und meinen Lover verloren.

Dem einem sagte ich das ins Gesicht. Und meine Chefin schleuderte mir mein Ende an den Kopf. Die Hitze in meinem Kopf kam von der Angst. Der Angst das alles Versagen, alles Misslingen, alle bohrende Selbstkritik, wieder kommt. Sie gewinnen würden.

Und wie ein Tier hatte ich nur zwei Möglichkeiten mit dem stockenden Atem umzugehen: Flucht oder Angriff.

So floh ich in den Urlaub nach Berlin. Denn ich verlor die Position, nicht den Job.

Berlin war die ideale Stadt für eine Flucht. Für mich auf jeden Fall. Kunst, Freunde, tolle Fressen, Sex, Parties, meine Musik, Tanzen. Also, Ablenkung pur.

Die Flucht funktioniert ja um so schlechter, je eher mann nicht vor etwas oder jemand davon läuft. Sondern vor sich selbst.

Also kaum waren die 5 Wochen vorbei, ging ich deswegen auch zum Angriff über.

Und die folgenden drei Monate lehrten mich einen großen Sieg. Der Sieg war das Ergebnis, von dem, was die letzten 6 Jahre mir alle als Schwäche verkaufen wollten:

Der Wille zur Abwechslung.

Der Samstag in Wien beginnt mit strahlend blauen K&K Himmel. Ein Wind geht, der mich glauben lässt an der See zu sein. So waren es angenehme 25 Grad. Aber jeder Zentimeter auf meiner Haut spürte das der Herbst kam.

Es ist wie an einem Lagerfeuer zu sitzen. Die Seite die dem Feuer zugewandt ist, wird rot und heiß. Und die Rückseite schämte sich dafür zu frieren.

Der März gab mir die Sicherheit, das ich es kann. Das ich es sehr gut kann. Das Trainieren von Menschen.

Und so war mein Himmel blau. Und wie ein Vogel schwebte ich auf diesem Erfolgswind dahin. Ohne mich anstrengen zu müssen.

Georgette Dee sagt: „Lach – und die Welt lacht mit Dir. Wein – und Du schläfst allein.“

Dieses Lachen, dieser Wind, waren es die dafür sorgten, dass das Leben gut zu mir war.

Ich war 35 Jahre jung. Und Männer lachten mit mir, flogen mit auf diesem Wind. Sie rochen es. Es war nicht Erfolg. Es war nicht Geld. Es ist das Stärkste, was es in der menschlichen Psyche gibt: Entschlossenheit.

Wer entschlossen ist, hat recht. Kein Zufall stört. Dieses zweite Quartal war ich es: entschlossen. Der Sprit mit dem mein Motor läuft ist nicht Vermögen, nicht Sex, nicht Erfolg, sondern es ist einzig: die Anerkennung.

Am Samstag in Wien ist es auf einmal bedeckt und nur noch 12-15 Grad. Und es hat eine Kälte und Ungemütlichkeit, die mir die Freiheit des Sommers stahl.

Eine Jacke oder eine Mütze gegen Kälte und Regen. Ein geduckter Kopf. Die Farben waren zum Süden hin verschwunden. Das Braun der Steinhäuser Wiens. Das Grau des Himmels. Sie nahmen sich das Recht des Stärkern und traten dem Blau und dem Gelb des Sommers in den Arsch.

Diese „gefühlte“ Temperatur, dieses Weniger an Farben, zusammen mit „achtundzwanzig-most-loved-drama-songs-by-me“ auf meinem kleinen MP3-Player, katapultierten mich auch mit meinen Gefühlen in den Herbst.

Jetzt ist auch das dritte Quartal fast zu Ende. Nach einer Sturmflut von Städtereisen, Parties und viel Anerkennung von Herren, die Herrn lieben, weiß ich ab diesem Wochenende, das ich Abschied nehmen muss. Abschied von der Roten Grütze.

Der Abschied stehlt mir einen Sommer, indem ich das Beste des Angestellten-Daseins und eines Selbstständigen verbunden habe. Interessante Trainings und Parties. Fachliteratur und Era. Attraktive Projekte und Städtereisen.

Ab Dienstag ist es nicht Wien. Ist es nicht Köln. Da ist es dann Bad Honnef.

Eine neue Stelle. Ein neues Team. Eine neue Chefin.

Geerntet habe ich schon dieses Jahr. Jetzt beginnt ohne Pause die Saat.

Nur zum ersten mal in 12 Jahren Wien bin ich nicht melancholisch. Die Melancholie ist die süßeste Form des Schmerzes. Ich hatte in Wien jedes Mal einen massiven melancholischen Anfall bekomme.

Diesmal nicht. 2003 ist gut zu mir. So warum sollte ich?

Schade, denn kein Platz, den ich kenne, passt besser als Wien, um melancholisch zu sein.

Wien, Cafe Berg, 31.08.2003

Die Gräfin. (1. Reisebericht aus Wien)

Das Kaiserbründel in Wien ist eine Sauna.

Es war einmal die türkische Gesandtschaft. Als Prinz Eugen die Türken vor Wien geschlagen hatte, bekamm er dieses Haus geschenkt. Die Dankbarkeit des Kaisers kam dem Prinzen zu pass. Nicht nur war die Gesandtschaft ein schmuckes Stadthaus, unweit vom Stephans Dom. Ein Steinwurf vom Graben weg, Wiens erster Adresse. Nein, als türkisches Haus hatte es auch eine Sauna. Und als schwuler Mann, ließ sich so was ja gut nutzen.

Dem Prinzen gehört schon das Oberer und Untere Belvedere. Das viele schönere Stadtschloss. Jenseits des Protzes der Hofburg und viel geschmackvoller als Schönbrunn. Geschmacks sicher als Hausherr, siegreich als Feldherr und aufopfernd als Herr seiner Soldaten. Dazu noch vermögend. Das nennt mann wohl erfolgreich.

Wie auch immer. Heute ist die Sauna schwul und unweit vom größten H&M Ladens Wiens. Wer es betritt... Nein .. als ich es betreten habe, fühlte ich mich wie der Novize aus dem Film „Der Name der Rose“ als er zum ersten mal die Abtei in den kargen Bergen des Nordens Italiens betrat.

Ein Panoptikum der verschobensten Menschen und Gesichter umspült mich. „Wer es betritt...“, habe ich geschrieben, weil ich hier schon seit mehr als 10 Jahren hinkomme. Immer wenn ich nach Wien komme. Ich glaube daher, was ich schreibe, gilt für alle.

Aber das Panoptikum ist nicht der einzige Schock. In Sekundenbruchteilen ist mann Mitten in der KuK-Zeit. Ein langer Cat-Walk begrenzt aus kleinen Tisch-Kabinen mit vielen Sultan-Säulen und sonstigem Kitsch später, komme ich dann in das „Stiegenhaus“.

Hier im Ausland heißen die Umkleidekabinen „Kastel“. Das Schild hierfür führte mich aber auch an einem Gemälde vorbei. Darunter stand: „Unsere Gräfin“. Darauf war keine entfernte Verwandte des Prinzen zu sehen. Sondern der älteste Gast der Sauna. Und das „älteste“ kann mann ruhig wörtlich nehmen. Dem Maler ist es gelungen einen Augenblick festzuhalten, wo der alte, sympathische Herr mit verrutschtem Handtuch auf einem alten Sofa voller Stolz den Betrachter wohlwollend fixiert. Und er erfreute sich ganz nebenbei an einer 2 Meter langen Perlenkette, die auf seinem sonst nacktem, hängenden Körper und um den Hals baumelte.

Als ich mich umgezogen hatte, passierte ich die Gräfin noch mal – die saß immer noch huldvoll da auf Ihrem Gemälde- und ging das Stiegenhaus hinab. Eine majestätische Treppe führte in den Keller. Und alle Möbel, Wände und Gerüche müssen wohl noch original sein.

In der ersten Etage vom Keller ist mann sich dann sicher, das die Sauna und das Schwimmbecken original ist. Nicht nur wegen den Gerüchen.

Aber vor dem Schwimmbecken muss mann durch die „Hall of Athen“. Ein Saal von 70 m2 mit Wandbemalungen á ler Troja. Nur halte auf schwul. Schon was sehr besonderes... Geht mann weiter, kommen die Kabinen.Die zwar viel junger als das türkische Mobiliar sind, aber auch viel hässlicher.

Die Enttäuschung wuchs auch immer mehr, je mehr ich von dem Panoptikum sah. Alte. Dicke. Hässliche. Aufdringliche. Einsame. Mutlose Menschen. Ehemals Männer.

Doch kommt mann irgendwie auf verschlungenen Pfaden in die 2. Etage des Kellers. Und findet das Gewölbe der Gesandtschaft. Im Stil fast gotisch. Original. Mosaike im wunderschönen maurischen Stil an den Wänden. Acht Säulen halten die Decke und schenken den Besuchern Nischen und Höhlen. Zwischen den Säulen hingen Leuchten aus dem Jungendstil. Überhaupt das Licht. Es lässt die Sauna, Sauna sein.

Zeit. Raum. Sorgen. Aufgaben. Sind nicht mehr hier. Alles steht still. Und nun beginnt langsam meine Zeitreise ins Ich.

Begleitet von Musik die jedem Chill-Out auf Ibiza vergessen lässt. Ein Labyrinth zum verlieben ist auch da. Und er der Ostblock findet sich in den Gesichtern. Slowenen, Tschechen, Österreicher, Stricher, Wiener All-Stars. Alles Eben.

Und ich ließ mich ein.

Auf den Cocktail aus Musik zum fliegen, warmer Dunkelheit zum fühlen und einer Grotte der Langsamkeit. Das Gemäuer hilft so sehr Ruhe zu finden. Entspannende, wohltuende Ruhe!

Unter der 2. Ebene ist die Hausquelle. Mann sieht durch zwei in den Boden eingelassene Scheiben die Stufen zur Quelle. Vielleicht beruhigt ja das Wasser so sehr.

Und nach all den Schocks und auf und ab’s, habe ich alle Zickigkeit, Vorlieben, Verhaltensregeln im Kastel gelassen.

Und werde ganz KuK: im hier uns jetzt sein; Langsamkeit; Vergangene Pracht.

Das Labyrinth ruft.

Wien ich komme.




Wien, 31.08.2003

27.07.2003

Da ist Sie ja. (3. Reisebericht aus Barcelona)

Da ist sie ja: die Melancholie! Habe ich ja lang genug dran gearbeitet. Vier Nächte lang. Habe bis zur Erschöpfung meinen Körper, meine Seele, mein Gehirn und meine Sinne überreizt. Habe meine Luxus-Apartment kaum gesehen und mir die Nacht in Barcelona zum Tag gemacht. Und dann ist mann halt mal am Ende der Kraft. Am Ende der Energie, am Ende der Synapsen-Endköpfchen. Alle Farben, Menschen, Sex, Stadtviertel, Bauten, Baustile, Strände, Aufmerksamkeit hatten ich wie ein Schwamm verzehrt. Und gab sie nicht wieder her. Ach doch. Jetzt... Wie auch immer.

Der Samstag war also traurig. Ein Blau das nicht weh tat und doch der Blues war. Ohne Frühstück und ohne Kraft in die Stadt. Ok ich hätte es wissen müssen: in dieser Verfassung finde ich selbst in drei Zara Läden nichts. Selbst der Strand von Barcelona war zu viel für mich. 39 Grad und keine Kraft zu haben ist kein gutes Gespann. So habe ich mich dann zurück in die Stadt gequält. Und meiner Stimmung entsprechend ging ich durch das alte gotische Viertel. Dessen Wände und Türme, dessen Mauern und Gassen, dessen Schmutz und Geschichten sehr gut zu meinem Blues passten. Diese runtergekommenen Gassen die nur noch schön sind, weil die Sonne ihnen Farbe gibt, waren auf Anhieb meine Freunde geworden. Durch Sie schleppte ich mich voller Sand, Schweiß und Sonnencreme von außen. Und voller Trauigkeit, süßer Erschöpfung und angenehmer Schwäche von innen. (Huch, ich schreibe was von SCHWÄCHE!!!???) Ich schleppte mich ins: Schilling. Ein altes Grand Cafe. Mitten im alten Nuttenviertel. Gleich neben dem Place de Real. Dieser alter Habsburger Platz war schön und runtergekommen. Oder schön, weil runtergekommen? Und so war auch das Schilling. Eine Mischung aus Schönem, aus Vergangenem, aus stehen gebliebenen und voller Typen die jeden Fellini Film zu Ehre gereicht hätten.

Und da sass ich und lass mein Buch. Draußen waren es inzwischen 40 Grad und ich war noch außen und wie innen "schmutzig". Es war kühl durch die Air Condi. Ich bestellte eine Cafe und ein Bier. Captain Todesmischung bei 40 Grad!

Und als ich mein Buch so lass, ist es dann passiert... Denn es gibt zwei Arten von Büchern die uns berühren können. Das Buch das von dem Leben zeugt was wir gerne leben würden. Und das Buch das von dem Leben berichtet, das wir führen. Das erste ist für junge Menschen. Das zweite ist fuer nicht mehr junge Menschen. Das ersten ist für die Zukunft, das zweite ist für die Vergangenheit.

Meine Körper war in einem Wellenbad. Gerade noch die Hitze, jetzt die Air Condi. Erst der Cafe, jetzt das Bier. Die Müdigkeit und Erschöpfung. Und dann das! BJORK ! Sie spielen in diesem Kaffee Bjork! Stand es mir etwa ins Gesicht geschrieben ,das ich nicht mehr konnte? Das war ja wie in einer Urschrei-Therapie. Keine Musik passt besser zu dieser Stimmung von Kopf und Körper, als diese schwere Trauer von Bjork!

Ich lass "Die Wilden Jahre" von Allan Gurganus. Ich war auf den letzten Seiten. Zwei waren schon gestorben. Die Dritte sagte gerade das sie bald sterben würde. Und der Ich-Erzähler benutze Meine Woerter, Meine Sprache, Meine Erfahrungen, Meine Gedanken. Und dann ist es halt passiert. Die Trauigkeit, die süße Erschöpfung und die angenehme Schwäche bildeten zusammen mit dem Buch und Bjork eine Band und spielten mich zum WEINEN.

In kaum einem Moment ist mann der Antwort näher auf die Frage : "WER BIN ICH?", als im Zustand der Erschöpfung, weinend in einem Cafe. Nur was fängt mann mit der Antwort an? Ist die Antwort nicht gefährlich? Wir mann dann vom Suchenden, zum Wissenden? Also im aristotelischem Sinnen TOD!?

Dieser Zustand finden andere nur durch Meditation, Arbeit oder Drogen oder was weiß ich wie. Wir Schwule machen es durch Ausgehen und SEX. Feuerbach war einer der ersten, der die Behauptung aufgestellt hat, das die katholische Dreifaltigkeit ihren Ursprung in dem Freudschen Dreiklang : ES, ICH, und ÜBER-Ich hat. Wenn das Stimmt, haben wir Schwule unser rosa Dreieck in Küssen, Zärtlichkeit und Geilheit gefunden.

Das rosa Dreieck macht uns zu Getriebenen. Denn wir sind immer an einer Ecke des Dreieckes, aber nie in der Mitte. Haben wir das eine, fehlt das andere. Genießen wir das eine, vermissen wir das andere. Deswegen nennen sie uns die Zerrissenen.

Richte in einer Ecke Dein Zuhause ein und du wirst selig. Richte in zwei dein Zuhause ein und Du wirst glücklich. Richte Dein Zuhause in drei ein und Du wirst ERLEUCHTET sein. Schade das das Lichte dann immer nur ein Tag brennt.

Ein Tag voller Emotionen. Ich sass also in dem Schilling und weinte über...ja was eigentlich? Und schon sah mich der Gott des rosa Dreieckes und schenkte mir einen Nachmittag im vollem Licht...der Erleuchtung.

(Von den großen Händen:) Ich verließe mit diesem Menschen aus Lyon das Schilling. Und als David, der schwarze Koenig der Zärtlichkeit, meine Hand in die seinen nahm, brachen mir die Knie weg. Mitten auf den Ramblas, unter 1 Millionen Touris, mahm diese Hand, die groß wie eine ganze Bergkette war, meine Hand in die seine. Diese Gefühl war mehr als Sex. Warum bloß? Weil mann sich wieder wie 4 Jahre fühlt und der Vater einen mit nimmt auf einen Spaziergang. Er nimmt einen an die Hand und mann weiß als Sohn, das einem nichts, aber auch gar NICHT passieren kann, in dieser Welt. Solange diese Hände einen fassen. Mehr Urvertrauen geht nicht.. Oder ist es doch nur gay intuition, das mit solchen Händen mann sich in gute, in g r o ß e Hände begibt?

Immer meine ich, das ich der der sein muss der alles regelt, der alles managent, der die Dinge tut. In diesem Sinne quasi Zwanghaft. So auch im Schwulen Small Talk, dem FICKEN. Oft leide ich darunter. Ok Ok Leiden auf sehr hohem Niveau-. Ich kann mich von diesem Zwang nur frei machen, wenn ich eine bestimmt Art Männer treffe. Diese Männer sind sehr sehr zärtlich, aufmerksam, intensiv, gebend. Haben einen Körper, der keine Fragen offen lässt. Haben Küsse , die nur Antworten sind. Einen Schwanz der Stille gibt. Sie sahen aus wie David. Sie waren immer schwarz. Warum muss ich immer erschöpft sein, um sie zu sehen???

So wurde die Melancholie an einem Nachmittag vertrieben. Vertieben vom Licht der Erleuchtung.

Am Abend. Am Samstag Abend! Sass ich mit Bertie im Restaurant. Eine 11-köpfige katalanische Familie betrieb es. Wir hatten jeder 5 Gänge. Und eine Gespräch viel tiefer als das Mittelmeer und viel wärmer als das grösste Karl-May-Lagerfeuer. So das ihr euch vorstellen könnt, das ich voll im Magen mit den leckersten Speisen, voll im Blut mit den schönsten Hormonen, voll im Kopf mit den schönsten Gedanken, den Samstag Abend , habe Samstag Abend sein lassen und den schoensten und tiefsten Schlaf dieses Jahres zu hause gefunden habe.

So es ist Sonntag 13:26. Die anderen Gäste des Guesthouese Tony&Alex kommen von Ihrer Nacht zurück. Wer sich erinnert...gerade kommt die Belgische Praline rein. Mein Gott, warum bleibt das Licht der Erleuctug nur einen Tag. Mein Zwang ist wieder da. Diesen belgischen marzipan-nougart Mund will ich gerne noch mal Kussen. Scheiße. Es ist schon 13.30. Frank, der Richter wartet im ....Schilling!

PS: Bekomme ich jetzt in Köln alle Drinks frei, wo mir doch Jean-Paul Gaut.... am Arsch gepackt hat?

25.07.2003

Belgische Pralinen. (2. Reisebericht aus Barcelona)

Kubanische Riesen-Palmen .Schwedische Kroeten. Katalanische Millionaere. Grosse Kleine.

Was haben diese fünf Hauptwörter, mit jeweils einem Eigenschaftswort gemeinsam?

Schnee!

OK langsam ... ich fange mal ganz hinten an. Diese Stadt Barcelona ertrinkt in Schnee. Eine Schneeballschlacht jagt hier die nächste. Und als wir - also Bertie und ich - uns gestern ins Nachtleben stürzten, schloss sich mein Guesthouse-Host uns an (Good_looking im Gaydar).

Wir klapperten die Lederbars ab, weil wir von den Uptown Bars uns nicht genug versprachen. Genug von straight-to-the-point-action. Kaum waren wir im "New Chaps" - im übrigen eine Lederbar die noch sauberer als die Lederbar in Stuttgart ist - kam ein KATALANISCHER Freund von Bertie und wie sich herausstellte Millionär zu uns dazu.

Kaum waren drei Bier verdrückt wurde ich schon wie in einem schwulen Film auf die Toilette gezogen und sah die ersten Loipen voll mit Schnee. Für die Langstrecke. Und ich meine Loipe, nicht Linie. Hat der Millionär nun altes oder neues Geld? Dicke Loipe neues Geld? Lange Linie altes Geld? Ich weiß es nicht. Aber er war ja auch gerade erst Vater geworden!

Erwähnte ich das mein Host einen den schönsten Schwänze hat, die ich je hatte? Schade nur das er Alki und viel Eisschnee braucht... Als halber SCHWEDE ist er doch nur eine NachtKRÖTE. Mann küßt Ihn und er bleibt eine Kröte. Kein Prinz. Aber ein Schloss. Das Guesthouse wo ich bei Ihm wohne ist nämlich Palast gleich. Ich gönne mir ja sonst nichts...

Nach dem "Apres-Ski" sind wir ins "Eagle". Und ich muss sagen ich habe noch nie gesehen wie jemand sein Magnum (Schnee-Eis) aus dem Sling zu sich genommen hat. Auch eine Art...

Mann geht dann ins "METRO". Wir sind noch zu dritt. Aber kaum waren wir die Treppe herabgestiegen, sind wir drei Musketiere auch schon im Kampf getrennt worden. Und so machte ich mich in dieser Disco auf:... um zu tanzen. Und wie jeder guter Musketier, habe ich es gleich mit mehren getan.

Drei Kubaner tanzen mit mir. Alle drei begnadete Tänzer. Und sie hat die Freundlichkeit mir auch gleich ihre Waffen zu zeigen. Und diese KUBANISCHEN RIESENPALMEN waren Furcht einflößend.

Alle für einen. Einer für alle. Fliegt Germanwings auch nach KUBA!!!????

Nach meiner gesetzlich vorgeschrieben Pause, zog mich mein Host mit einem kleinen Spanier und einem Guesthouse Roommate auf das Klo. Und was sage ich Dir... in Barcelona schneite es mehr als auf der Zugspitze.

Aus diesem Quartett wollte ich natürlich keine schlechter Roommate sein. So das ich mich mit dem süßen BELGISCHEN Bengel, der süßer als jede PRALINE ist, in die größte aller Drogen verloren habe: KÜSSEN.

Sollen Sie doch alle Schnee lieben, um so mehr machen Sie den Mund auf beim Küssen! Gibt es eigentlich ein Kuss-Gen???

Vampire fürchten das Licht. OK. Aber Schwule? Auch sie sterben einen klein wenig, wenn das Licht angeht. Denn es gibt kein schlimmeres Licht, als das was angeht, wenn mann im Darkroom ist, und belgisches Nougat-Marzipan im Mund hat.

Beim 1. FC Köln ist die größte Panik, die nach dem Spiel. Alle stürmen aus dem Stadion und schämen sich fast ein wenig, für ihre gezeigten Emotion beim Spiel. So auch im Metro. Kaum war die Disko vorbei, stürzte alles raus.

OK, OK. Der Platz auf dem wir alle landeten, hatte einen Gaudi, eine Gotik und auch einen Mies von de Rohe. Also für 5 Uhr morgens wahrlich nicht schlecht. Aber die Sehnswürdigkeiten morgens um 5 sind dann doch andere.

Er war KLEIN. Aber er hatte was GROßES. Und das Große, war wirklich groß. Und ich war mal wieder auf Gewalt aus. Mit einem guten Schuss Zärtlichkeit. So traf es sich gut, als wir dann bei mir im Appartement auf dem Marco Polo Reiseführer eine Linie des Ewigen Eises fanden.

Also besser gesagt er fand es und ich habe eine Kunst Einführungsstunde bekommen. Ich habe gelernt das etwas Großes noch größer wirkt, wenn es an etwas Kleinem hängt. So weit zu Proportionen.

Ich hoffe das die kommenden Tage auch so proportional außer Rand und Band sind.