31.08.2003

Herbst! (2. Reisebeicht aus Wien)

Herbst !

Das letzte August-Wochenende. Ich bin in Wien. Eine Stadt der Vergangenheit. Der Melancholie. Zu mindestens für mich.

Welche Stadt sollte besser geeignet sein, um den Herbst willkommen zu heißen?

Dieses 2003 war doch eine wunderbare Rote Grütze gewesen. Bisher. Viele Früchte. Große Süße. Und eine Belohnung.

Nach Tagen, Wochen und Monaten mit 30, 34 Grad ist der Herbst nun da.

Freitags verließ ich Köln im Regen und landete mit dem Flieger in Wien bei 35 Grad. Eine Luftfeuchtigkeit knapp hinter einer zu langen Morgendusche. So drückend das mir der Atem stockte.

Und wie dieser Freitag waren ja auch die ersten Monate des Jahres gewesen. Innerhalb weniger Stunden hatte ich meine Stelle und meinen Lover verloren.

Dem einem sagte ich das ins Gesicht. Und meine Chefin schleuderte mir mein Ende an den Kopf. Die Hitze in meinem Kopf kam von der Angst. Der Angst das alles Versagen, alles Misslingen, alle bohrende Selbstkritik, wieder kommt. Sie gewinnen würden.

Und wie ein Tier hatte ich nur zwei Möglichkeiten mit dem stockenden Atem umzugehen: Flucht oder Angriff.

So floh ich in den Urlaub nach Berlin. Denn ich verlor die Position, nicht den Job.

Berlin war die ideale Stadt für eine Flucht. Für mich auf jeden Fall. Kunst, Freunde, tolle Fressen, Sex, Parties, meine Musik, Tanzen. Also, Ablenkung pur.

Die Flucht funktioniert ja um so schlechter, je eher mann nicht vor etwas oder jemand davon läuft. Sondern vor sich selbst.

Also kaum waren die 5 Wochen vorbei, ging ich deswegen auch zum Angriff über.

Und die folgenden drei Monate lehrten mich einen großen Sieg. Der Sieg war das Ergebnis, von dem, was die letzten 6 Jahre mir alle als Schwäche verkaufen wollten:

Der Wille zur Abwechslung.

Der Samstag in Wien beginnt mit strahlend blauen K&K Himmel. Ein Wind geht, der mich glauben lässt an der See zu sein. So waren es angenehme 25 Grad. Aber jeder Zentimeter auf meiner Haut spürte das der Herbst kam.

Es ist wie an einem Lagerfeuer zu sitzen. Die Seite die dem Feuer zugewandt ist, wird rot und heiß. Und die Rückseite schämte sich dafür zu frieren.

Der März gab mir die Sicherheit, das ich es kann. Das ich es sehr gut kann. Das Trainieren von Menschen.

Und so war mein Himmel blau. Und wie ein Vogel schwebte ich auf diesem Erfolgswind dahin. Ohne mich anstrengen zu müssen.

Georgette Dee sagt: „Lach – und die Welt lacht mit Dir. Wein – und Du schläfst allein.“

Dieses Lachen, dieser Wind, waren es die dafür sorgten, dass das Leben gut zu mir war.

Ich war 35 Jahre jung. Und Männer lachten mit mir, flogen mit auf diesem Wind. Sie rochen es. Es war nicht Erfolg. Es war nicht Geld. Es ist das Stärkste, was es in der menschlichen Psyche gibt: Entschlossenheit.

Wer entschlossen ist, hat recht. Kein Zufall stört. Dieses zweite Quartal war ich es: entschlossen. Der Sprit mit dem mein Motor läuft ist nicht Vermögen, nicht Sex, nicht Erfolg, sondern es ist einzig: die Anerkennung.

Am Samstag in Wien ist es auf einmal bedeckt und nur noch 12-15 Grad. Und es hat eine Kälte und Ungemütlichkeit, die mir die Freiheit des Sommers stahl.

Eine Jacke oder eine Mütze gegen Kälte und Regen. Ein geduckter Kopf. Die Farben waren zum Süden hin verschwunden. Das Braun der Steinhäuser Wiens. Das Grau des Himmels. Sie nahmen sich das Recht des Stärkern und traten dem Blau und dem Gelb des Sommers in den Arsch.

Diese „gefühlte“ Temperatur, dieses Weniger an Farben, zusammen mit „achtundzwanzig-most-loved-drama-songs-by-me“ auf meinem kleinen MP3-Player, katapultierten mich auch mit meinen Gefühlen in den Herbst.

Jetzt ist auch das dritte Quartal fast zu Ende. Nach einer Sturmflut von Städtereisen, Parties und viel Anerkennung von Herren, die Herrn lieben, weiß ich ab diesem Wochenende, das ich Abschied nehmen muss. Abschied von der Roten Grütze.

Der Abschied stehlt mir einen Sommer, indem ich das Beste des Angestellten-Daseins und eines Selbstständigen verbunden habe. Interessante Trainings und Parties. Fachliteratur und Era. Attraktive Projekte und Städtereisen.

Ab Dienstag ist es nicht Wien. Ist es nicht Köln. Da ist es dann Bad Honnef.

Eine neue Stelle. Ein neues Team. Eine neue Chefin.

Geerntet habe ich schon dieses Jahr. Jetzt beginnt ohne Pause die Saat.

Nur zum ersten mal in 12 Jahren Wien bin ich nicht melancholisch. Die Melancholie ist die süßeste Form des Schmerzes. Ich hatte in Wien jedes Mal einen massiven melancholischen Anfall bekomme.

Diesmal nicht. 2003 ist gut zu mir. So warum sollte ich?

Schade, denn kein Platz, den ich kenne, passt besser als Wien, um melancholisch zu sein.

Wien, Cafe Berg, 31.08.2003

Die Gräfin. (1. Reisebericht aus Wien)

Das Kaiserbründel in Wien ist eine Sauna.

Es war einmal die türkische Gesandtschaft. Als Prinz Eugen die Türken vor Wien geschlagen hatte, bekamm er dieses Haus geschenkt. Die Dankbarkeit des Kaisers kam dem Prinzen zu pass. Nicht nur war die Gesandtschaft ein schmuckes Stadthaus, unweit vom Stephans Dom. Ein Steinwurf vom Graben weg, Wiens erster Adresse. Nein, als türkisches Haus hatte es auch eine Sauna. Und als schwuler Mann, ließ sich so was ja gut nutzen.

Dem Prinzen gehört schon das Oberer und Untere Belvedere. Das viele schönere Stadtschloss. Jenseits des Protzes der Hofburg und viel geschmackvoller als Schönbrunn. Geschmacks sicher als Hausherr, siegreich als Feldherr und aufopfernd als Herr seiner Soldaten. Dazu noch vermögend. Das nennt mann wohl erfolgreich.

Wie auch immer. Heute ist die Sauna schwul und unweit vom größten H&M Ladens Wiens. Wer es betritt... Nein .. als ich es betreten habe, fühlte ich mich wie der Novize aus dem Film „Der Name der Rose“ als er zum ersten mal die Abtei in den kargen Bergen des Nordens Italiens betrat.

Ein Panoptikum der verschobensten Menschen und Gesichter umspült mich. „Wer es betritt...“, habe ich geschrieben, weil ich hier schon seit mehr als 10 Jahren hinkomme. Immer wenn ich nach Wien komme. Ich glaube daher, was ich schreibe, gilt für alle.

Aber das Panoptikum ist nicht der einzige Schock. In Sekundenbruchteilen ist mann Mitten in der KuK-Zeit. Ein langer Cat-Walk begrenzt aus kleinen Tisch-Kabinen mit vielen Sultan-Säulen und sonstigem Kitsch später, komme ich dann in das „Stiegenhaus“.

Hier im Ausland heißen die Umkleidekabinen „Kastel“. Das Schild hierfür führte mich aber auch an einem Gemälde vorbei. Darunter stand: „Unsere Gräfin“. Darauf war keine entfernte Verwandte des Prinzen zu sehen. Sondern der älteste Gast der Sauna. Und das „älteste“ kann mann ruhig wörtlich nehmen. Dem Maler ist es gelungen einen Augenblick festzuhalten, wo der alte, sympathische Herr mit verrutschtem Handtuch auf einem alten Sofa voller Stolz den Betrachter wohlwollend fixiert. Und er erfreute sich ganz nebenbei an einer 2 Meter langen Perlenkette, die auf seinem sonst nacktem, hängenden Körper und um den Hals baumelte.

Als ich mich umgezogen hatte, passierte ich die Gräfin noch mal – die saß immer noch huldvoll da auf Ihrem Gemälde- und ging das Stiegenhaus hinab. Eine majestätische Treppe führte in den Keller. Und alle Möbel, Wände und Gerüche müssen wohl noch original sein.

In der ersten Etage vom Keller ist mann sich dann sicher, das die Sauna und das Schwimmbecken original ist. Nicht nur wegen den Gerüchen.

Aber vor dem Schwimmbecken muss mann durch die „Hall of Athen“. Ein Saal von 70 m2 mit Wandbemalungen á ler Troja. Nur halte auf schwul. Schon was sehr besonderes... Geht mann weiter, kommen die Kabinen.Die zwar viel junger als das türkische Mobiliar sind, aber auch viel hässlicher.

Die Enttäuschung wuchs auch immer mehr, je mehr ich von dem Panoptikum sah. Alte. Dicke. Hässliche. Aufdringliche. Einsame. Mutlose Menschen. Ehemals Männer.

Doch kommt mann irgendwie auf verschlungenen Pfaden in die 2. Etage des Kellers. Und findet das Gewölbe der Gesandtschaft. Im Stil fast gotisch. Original. Mosaike im wunderschönen maurischen Stil an den Wänden. Acht Säulen halten die Decke und schenken den Besuchern Nischen und Höhlen. Zwischen den Säulen hingen Leuchten aus dem Jungendstil. Überhaupt das Licht. Es lässt die Sauna, Sauna sein.

Zeit. Raum. Sorgen. Aufgaben. Sind nicht mehr hier. Alles steht still. Und nun beginnt langsam meine Zeitreise ins Ich.

Begleitet von Musik die jedem Chill-Out auf Ibiza vergessen lässt. Ein Labyrinth zum verlieben ist auch da. Und er der Ostblock findet sich in den Gesichtern. Slowenen, Tschechen, Österreicher, Stricher, Wiener All-Stars. Alles Eben.

Und ich ließ mich ein.

Auf den Cocktail aus Musik zum fliegen, warmer Dunkelheit zum fühlen und einer Grotte der Langsamkeit. Das Gemäuer hilft so sehr Ruhe zu finden. Entspannende, wohltuende Ruhe!

Unter der 2. Ebene ist die Hausquelle. Mann sieht durch zwei in den Boden eingelassene Scheiben die Stufen zur Quelle. Vielleicht beruhigt ja das Wasser so sehr.

Und nach all den Schocks und auf und ab’s, habe ich alle Zickigkeit, Vorlieben, Verhaltensregeln im Kastel gelassen.

Und werde ganz KuK: im hier uns jetzt sein; Langsamkeit; Vergangene Pracht.

Das Labyrinth ruft.

Wien ich komme.




Wien, 31.08.2003