17.02.2008

Küsse lügen nicht. (2. Reisebericht von der Bootstour durch die Niederlande)

Die meisten Männer habe DAS nur einmal in ihrem im Leben. Und DAS verschlafen sie auch noch. Es ist der weibliche Orgasmus. Ja, ja … das haben Männer. Das ist nichts anderes als ein Orgasmus ohne physikalische Reibung unterhalb der Hose. Ein Orgasmus der von Innen kommt und nicht von Außen bewirkt wird.

Die Mädels von Euch werden jetzt sagen, was ist daran so toll. Ist ja oft das einzig was ihr habt… hust. Aber bei uns Junx ist das schon anderes. Wir haben das in der Pubertät einmal, als Zeichen des Körpers: „ich bin dann jetzt mal so weit“ und das passiert dann auch noch im Schlaf und durch Träume. Dann hat es sich aber auch schon, mit der Karriere des Auto-Orgasmus bei den Junx. By the way, das hat nichts mit Sex im Autokino zu tun und auch nur bedingt mit Onanie.

Nein, beim Auto-Orgasmus geht es darum, dass zu erleben, was sonst nur durch Bewegung, Reibung oder Kontakt mit den Geschlechtsorganen entsteht, halt nur ohne diese Akrobatik.

Aber wie komme ich darauf? Dies ist hier die Fortsetzungs-Kolumne über den Canal Pride in Amsterdam. Im ersten Teil Prisilla, Queen of the Markermeer !” saß ich ja knatschend auf den Stufen vor dem Haus in Amsterdam. Denn ich kam nicht klar mit einem Gefühl der Distanz und des Ausgeschlossen seins, innerhalb und von der Gruppe auf dem Boot.

Aber ich hatte ja mein Karma wieder weichgespült, dank der Shirley Bassey Songs. Und wollte mich jetzt der dunklen Seiten des Amsterdamer Nachlebens hingeben. Jeder reagiert ja anderes auf Stress oder Ärger. Ich Köln gibt es zum Beispiel eine Bar, die hat über dem Eingang die Widmung hat „Trinken als Chance“. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, das ich erwarte, dass auf meinem Grabstein mal steht “Ficken als Chance“. Aber es gibt halt so Tage - oder sollte ich sagen Nächte - da macht mann sich ja schon gerne vor, das Sex alles wieder gut machen kann.

Und wenn Liebe blind macht, dann macht Geilheit einen zum Koma-Patienten. Zu mindest was die den Blick für die Realität angeht. Anders kann es mir nämlich nicht erklären, warum ich ausgerechnet ins "The Eagle" gegangen bin. Erst mal einfach nur eine Bar wie jede andere. Theke, Billardtisch und ein Keller.

Aber fangen wir mal an mit dem drum herum. Die Warmoesstraat in Amsterdam ist die Straße, die einem Weltraumbahnhof-Warteraum Dritte Klasse am nächsten kommt. Hier treffen Sie sich die Aliens Amsterdam's. Eine Straße voll mit Bars, Kneipen und Stundenhotels, die die Schattenseite der "Freien Liebe" und der "Freie Drogen" zeigen. Hier ist die Grenze zu dem Ghetto "Sex, Drugs and even more Sex and Drugs". Hier kommen Dir Massen von Touristen entgegen, die auf der dunklen Seite Ihre Bedürfnisse sind. Junkies, die nur noch menschliche Fracks sind, bieten Dir die übelsten Drogen an. Diese Rotlicht Viertel verdient seinen Namen, denn sogar rund um die kleine protestantische Kirche, waren alle Fenster hell und rot beleuchtet und gastfreundliche Damen baten zum verweilen. Und wenn sehr viel los ist und alle Fenstergardinen zugezogen sind, kann sich das ganze rote Licht sammeln und die Kirche im grellen ROT erscheinen lassen. Das Böse und das Gute lagen ja schon immer zusammen in einem Bett.

"The Eagle" ist noch die gemäßigte schwulen Bar in der Warmoesstraat. Hier ist "Selbstverständlichkeit" das Motto. Ein langer Schlauch mit der Theke an der Seite, voller Männer. Männer die deutlich viel vom Leben schon hatten. Erst später bemerkt mann, dass die Treppen nach oben zum Billardraum führen. Und mann braucht noch mehr Zeit, um zu merken, dass die Selbstverständlichkeit mit der die Herrn hier stehen, einhergeht mit dem Umstand das auf diesem Tisch schon seit Jahren niemand mehr Billard gespielt hat. Sondern gerade ein Herr sich die Freiheit nahm, dort eine gelungene Imitation der "Schwarzen Acht ohne Bande in das Loch" zu geben.

Der Keller der Bar ist voller Wesen wie Koma-Patienten, die nur noch eine Sache in ihrem Stamm- und Großhirn haben. Wenn es oben noch den Charme einer verwesten Hafenbar hatte, ist es hier nur noch … sagen wir mal funktionell. Und wenn Ihr glaub, das Schwule die besseren Menschen sind… vergisst es. "Sexueller Rassismus" hat nichts damit zu tun, das die Bösen Heten uns Schwulen piesacken. Nein. Hier in diesem Kellerloch herrschte strenge Arpartheit. Hier die Aktiven -dort die Passiven. Dort die Großschwänzigen - dort die Kleinenschwänzigen. Und dieses Kastengrenzen werden auf's strengste gewahrt und verteidigt. Und es bedarf der Nacht und der Lust um diese wieder zu vereinigen.

Ich war noch zerbrechlich, weich, ja fast zögerlich, weil ich noch den Nachmittag mit dem Heulen in den Knien hatte. Plötzlich aber schaltete jemand nach meiner ersten Runde in dieser Spelunke einen Spotlight-Verfolger von 100.000 Watt an und leuchtete mir direkt meinen Weg zu IHM. Oder kam das Licht aus IHM? All das Schwarz der Wände, all das Dunkle der wenigen Lampen und nicht zu letzt, das wenig innere Licht der Männer hier, ihn umso mehr strahlen. Das Weiß seiner Augen, die strahlend saubere Kleidung, die Bewegungen und Körpersprache die jede Sekunde sagte dass er hier nicht hingehört, all das ließ in strahlen. In seinem Körperbau ganz klar eher ein Leichtathlet, als der Schwimmer oder Ringer. Eher zart und zäh als groß und breit. Ganz offensichtlich jemand der dem Norden Afrikas und dem Mittelmeer seine Geburt verdank.

Und ohne Worte und ohne Zeichen wussten wir beide, was notwenig war zu tun. Und so ging die Welt neben uns unter und der wildeste Arpartheits-Krieg tobte sich aus, rings um uns. Aber wir küssten uns, als ob es kein Morgen gab. Alle Klamotten blieben an ihrem Platz, keine Hand berührte ein Geschlecht. Nur langes intensives Küssen. Nach 20-jähriger Betriebszugehörigkeit in der Gay-Sex-Company und quasi als Großindustrieller in dieser Branche, kann ich sagen, dass diese Intensität beim Küssen nur möglich ist, mit einem vollständig Fremden oder mit jemand den mann liebt. Diesen Herrn kannte ich nicht, liebte ihn auch nicht. Aber nach einer gefühlten, paradiesischen Ewigkeit, passierte es. Ich kam. Ich kam mit allem was ich hatte. Mein ganzer Körper gab sich dem Orgasmus hin. Es ejakulierte aber mehr als nur mein Sperma. Mein Körper ließ die Kräfte der Gravitation unter sich und vereinigte sich mit meinem Geist. Und das alles nur von einem Kuss. Und das alles an diesem Ort der Dunkelheit. Diese Reinheit.
Ein Orgasmus der von Innen kommt und nicht von Außen bewirkt wird. Wie kann mann Reinheit besser beschreiben. Rein in Sinne von Essenz oder Konzentrat.

Während mein Geist und mein Körper sich wieder beruhigten fiel mir dieser Widerspruch erst auf in dem ich mich hier befand.

An diesem Platz der Wahllosigkeit und Auswechselbarkeit, wurde ich wählerischer und legte mich eindeutig auf einen Mann fest.

Diese Art von Bars waren für mich wie Sparziergang in der Wüste bei dem ich EINE Rose finde. Gehe ich sonst an Blumen vorbei und sehe und rieche keine, dann nehme ich diese EINE Rose um so 100 mal genauer in dieser Wüste/Bar wahr, als wenn ich in einem Blumengarten wäre.

WARUM?

Ich bin einfach von dieser Konzentration des Dufts der Rose gefangen. Mein Orgasmus-Küsser ist so ein Beispiel für eine solche Rose.

Menschen die als Einwanderer in fremden Ländern leben und sich integrieren sind nämlich wie Transvestiten. Beide sind wild entschlossen und machen alles um eine andere Art des Seins und des Wirkens zu erreichen die nicht ihre Herkunft entspricht. Sie studieren und beobachten maßlos Ihre Umwelt und Zielgruppe und imitieren diese nahezu perfekt.

Und so wie Transvestiten die Rolle einer Frau annehmen können und als Transgender sogar diese Rolle nicht mehr spielen sondern leben, so kann ein Einwanderer die Essenz einer Gesellschaft und Ihrer Wert und Verhaltensregeln sehen und leben.

Deswegen sind in den Niederlanden die Frau, die sich wie eine Lady benehmen, nicht die Holländerinnen sondern die Einwanderinnen aus der Karibik. Die mit Würde, Klasse und Charme das ultimative Bild der Dame geben.

Und schwule Einwanderer – wie zum Beispiel mein Orgasmus-Küsser – haben diese Fähigkeit auch. Sie saugen unsere Wunschwerte und perfekten Manieren auf, wie ein trockener Schwamm. Und wenn Sie diese Rolle dann nicht nur spielen sondern auch sind, dann sehe ich sie halt wie eine Rose in der Wüste.

Und dann kann ein Kuss auch nicht lügen.