02.07.2012

Aus Liebe wollt ich alles wissen.

Davide aus dem Louvre.
Ich bin mir ganz sicher. Er ist es. Ich kann nicht wirklich gut sehen. Das Spiel aus Licht und Schatten ist an dieser Art von Plätzen immer mehr versprechend, als eindeutig. Aber meine ganze Seele zittert. Also muss es doch er sein. Er steht da, so wie nur er steht. Die Junx machen genau das mit ihm, wie er sie immer choreographiert. Ich scanne seinen Körper, sein Gesicht und seinen Schwanz. Ja, das muss er sein. Ganz bestimmt. Keine Ahnung warum er gerade jetzt genau hier ist. Was treibt ihn zum CSD nach Paris? Was treibt ihn ausgerechnet zu derselben Zeit wie mich in den Keller des l'Impact?

Kaum kann ich atmen. Noch mich bewegen. Wie der Hase stehe ich vor der Schlange, wie hypnotisiert bin ich starr in diesem Darkroom-Labyrinth.

Ich verfluche meine Fähigkeit, in der Dunkelheit gut sehen zu können, sowie, mir Bewegungen von Menschen gut merken zu können.

Alles an Geilheit, das ich noch vor einem Meter hatte, ist geflohen vor diesem Bild. Dem Bild von meiner Ex-Liebe hier in der Dunkelheit, wie er sich gerade dieses Labyrinth Untertan macht. 

Meine Seele zittert.

Wenn man verlassen wird, gibt das einem ja die beste Entschuldigung, alle Drama-Queens aus der persönlichen Songlist auf dem iPhone auf Endlos-Schleife zu stellen.  Aber wiedersehen?  Hier? Nein, das braucht man nicht! Nicht hier auf dem Hochaltar der schwulen Lust. Sei es nun aus Dampf oder, wie hier, aus Dunkelheit. 

Aber ich bin es selbst Schuld. Ich habe gleich zwei der Goldenen Schwulen Regeln gebrochen. 

Aber langsam. Wie kam es zu dieser Begegnung? Ich bin in Paris und es ist Pride Weekend. An einem der Tage vor diesem Treffen saß ich im Open-Cafe und sehe, wie sich die Menschenmassen, die von der Parade zurück kommen, in mein geliebtes Marais Viertel ergießen. Hier beim Pride von Paris erlebe ich die endgültige Pervertierung des Pride-Gedankens. Oder warum sollten wir stolz sein, wenn vier billige Transen für Geld auf einem teuren Pick-up-Wagen stehen, der voll mit Werbung ist und mitten auf der schwulsten Kreuzung von Paris steht. Nicht nur, dass sie alle Menschenmassen und den sonstigen Verkehr blockieren, sondern auch, dass sie, wie ein überlanger Werbeblock für eine Brauerei, schlechte Biersorten anpreisen. Aber die Krönung ist es, dass sie noch kleine Give-Aways unters Volk schmeißen. Schnell ist ihr Wagen umrundet vom gierigen Volk, das nach jedem Fächer und nach jedem sonstigen hingeschmissenen Give-Away schnappt. Und dann sehe ich über meinem Café-au-lait hinweg, wie sich die Heten schlagen und prügeln um diese Fächer, die ihnen von den schlechten Transen vor die Füße geschmissen wurde .

Heten schlagen sich um schwule Fächer mit Bierwerbung. Was für eine Ironie. Dafür sind die Mädels damals in der Christopher Street nicht auf die Barrikaden gegangen. Dafür nicht.

Das Open-Cafe ist im Marais. Das "Marais" heißt übersetzt "Sumpf". Und das war er auch, und das ist er auch. Heute ist das Marais ein Teil der Innenstadt von Paris und liegt ganz grob gesagt, zwischen Centre Georges Pompidou und Place de la Bastille. Es ist gleichzeitig das schwule und das jüdische Viertel von Paris. Es ist eine Shopping-Wunderwelt, weil es hier unzählige kleine Boutiquen und Shops gibt, ohne die großen Handelsketten. Viele kleine Restaurants. Echtes Stadtleben, wie es in dieser Reinform kaum noch zu finden ist. Wenn es stimmt, dass Paris mit all seinem Schmutz und seiner Schönheit die geilste Hure Europas ist, dann ist das Marais der Ursprung dieser Sage.

Seerosen von Claude Monet Musée de l’Orangerie

Vor dem großen Keller-Ereignis hatte ich schon meine Highlights von Paris abgearbeitet. Denn zu jedem meiner Paris-Besuche gehört ein Besuch im Musée de l’Orangerie. Es ist in dem Jardin des Tuileries und beherbergt Werke des Impressionismus, des Spätimpressionismus und der École de Paris. Hier sehe ich mir immer in einem 360-Grad-Raum die acht Seerosenbilder von Claude Monet an. Diese Raum und diese acht Bilder verschmelzen zu einem Gemälde, das ganz und gar um mich herum ist und ich bin mitten in ihm. Ich sitze lieber wie ein frisch Verliebter für eine Stunde in dieser Rotunde, als einen ganzen Tag im Louvre zu laufen.

Zu den Highlights gehört auch das Palais de Tokyo. Es wurde im Jahr 1937 vollendet und wird heute genutzt als Museums- und Ausstellungsgebäude für moderne Kunst am rechten Ufer der Seine. Es ist als neoklassizistisches Gebäude in sich klar und einfach und ist als solches schon ein Erlebnis. Der eine Flügel wird für Zeitgenössische Kunst genutzt und ist baufällig und runtergekommen. Der andere Flügel beherbergt das Museum für Moderne Kunst der Stadt und ist voll renoviert. Diese Gegensätze in einem Haus sind voller Spannung. Die Architektur, die Kunst und der Blick auf die Seine machen diesen Ort immer sehr magisch für mich.

Und wie jedes Jahr habe ich versucht, in die alte Oper von Paris zu kommen, die Opéra Garnier. Diesmal ist es mir gelungen, und ich fand einen atemberaubend schönen und prunkvollen Bau vor. Schade, dass die Inszenierung des Ballets, die an diesem Abend gezeigt wurde, so altbacken war, dass ich in der Pause gegangen bin.

Aber zurück in den Keller des l'Impact. Diese „Bar“ hatte immer nur als Party geöffnet und das Motto ist auch immer gleich: Naked. Ich finde das ganz wunderbar, weil das bei allen möglichen Motti zu den Motti gehört, die  am wenigsten Attitüde und am wenigsten Zieckereien hervorbringt. Die FKK-Bewegung war nicht umsonst als politische Bewegung in Deutschland gestartet und hat sich schon immer als Instrument der Demokratisierung der Gesellschaft verstanden. Und selbst wir Schwulen brauchen dieses Instrument. Leider hatte ich am Vortag eine solch tolle Nacht bei dieser Party gehabt, dass ich heute gleich wieder hin bin. Das geht nie gut. Diese goldene Regel sollte mann immer befolgen. Sensationelle Parties kann mann nicht direkt wiederholen.

Und nun stehe ich hier wieder nackt im Keller. Und meine Seele zittert. Ich atme durch und schiebe den Schmerz beiseite. Er kommt auf mich zu, und ich fange an zu verstehen, dass er es gar nicht ist. Er ist nur der ideale Ersatz für meine Sehnsucht nach ihm. Er sieht aus wie er, und er verhält sich wie er. Er hat auch seine Sprache und seine Nationalität. Seinen Körper und seine Art des Sex'. Und seine Unabhängigkeit und seinen Freiheitssinn.

Was dann folgt, ist ein wenig wie die Geschichte mit dem Mann, der vom Inspektor gefragt wird, wie es gekommen ist, dass seine Frau gestorben ist. Und er antwortet, dass es Notwehr war. Und der Inspektor sagt, dass er es verstehen kann, wenn er sie mit dem Messer getötet hätte. Aber nur bei einem Einstich und nicht bei fünfzig. Ich hatte kein Messer und ich hatte keine fünfzig Mal. Ich hatte nur fünf mal Sex mit ihm über den Abend verteilt und weiß jetzt, was psychologischer Masochismus ist.

Historische Achse in Paris

Nach all dieser Kunst und diesen Nachtgeschichten sitze ich hier inmitten des Jardin des Tuileries an einem der kleinen Teiche. Dieser Garten gehört zum Louvre und war damals nur dem König vorbehalten. Heute ist er einer der beliebtesten Gärten der Stadt. Ich sitze in einem der vielen kleinen Stühle, die zum Ausruhen verleiten und genieße die Ruhe und die Sonne des Juli-Tages. Einige Menschen lesen, einige spazieren, andere wieder nutzen den kleinen Vergnügungspark, der zum Garten gehört. Ich sitze an diesem kleinen Teich und damit mitten auf einer berühmten Achse. Sie fängt mit dem Louvre an und geht über den Place de la Concorde, den Triumphbogen bis zu La Défense. Diese städtebauliche Achse durch ganz Paris ist in der ganzen Welt beneidet und Unter den Linden in Berlin ist eine Kopie davon. Hier hatten die französischen Könige in ihrem Größenwahn ihre Macht über die Natur und ihren Glauben an die Macht demonstriert.

 
Und ich sitze hier und höre Musik und versuche zu verstehen, was in dieser Nacht mit mir passiert ist in diesem Darkroom. Versuche in Worte zu fassen, wie ich mich gefühlt habe bei dieser Psycho-Maso-Nummer. Aber die zweite Regel sagt, dass man seinen Ex erst dann überstanden hat, wenn es einen neuen Mann im Leben gibt. Und nicht vorher. Und voller Pathos und Melancholie drehe ich mein iPhone lauter und höre die Worte von Rosenstolz und weiß, dass es jetzt gerade meine Worte sind.

"Du machst mich krank
Du machst mich dumm
Die Liebe lacht mich aus
Holt mich doch niemals ab
Wirft mich ewig zurück
Ist mir immer voraus
Aus Liebe wollt ich alles wissen
Jetzt weiß ich leider nichts
Aus Liebe wollt ich’s besser wissen
Mein Wissen hilft mir nicht"



Rosenstolz. „Aus Liebe wollt ich alles wissen“. Aus dem Album „Das große Leben“







14.06.2012

Der letzte Kieselstein.

Ich halte meine Füße in das kalte Nass und erfreue mich an dem schönen Tag. Das Nass ist ein schmaler klarer Bach, der so schnell fließt, dass das man kaum hinterhersehen kann. Er ist so klar, dass ich alle Kieselsteine in seinem Flussbett einzeln sehen kann. An seinen Rändern sind wilde Büsche und hohes Gras. Einfach viel Natur und viel Buntes. Der Horizont wird von Hügeln und Bergen gesäumt, die mich neugierig machen, was denn so alles hinter ihnen versteckt sein könnte.

Es ist so heiß, das mir der Bach meine Füße herrlich kühlt. Ich sehe auf die Kieselsteine und erkenne, wie sie neben- und aufeinander liegen. Ich nehme jeden Stein wahr in seiner Form und seiner eigenen Gestalt. Manche sind groß, manche mickrig und wieder andere rund und wieder andere eckig.

Aber alle zusammen sind wunderschön und bilden ein Flussbett, wie man es sich nicht schöner vorstellen kann. So weiß und klar und so harmonisch. Alle dies und auch ich sind in einen heißen Sommertag gehüllt.

Nehmen wir mal einen solchen Kieselstein heraus und nennen ihn Tel Aviv. Nennen wir ihn Tel Aviv zum Pride 2012. Eine Stadt, die stolz ist auf ihre hedonistische Grundeinstellung. Auf ihre Art, das Leben zu feiern.

Bei der ach so gefürchteten Einreise mit vielen Fragen geht es nur mühsam voran und lässt einen erahnen, wie das Thema Sicherheit hier präsent ist in Israel. Aber kaum sagt mann das mann zur Gay Pride kommt, geht alles schneller, einfacher und freundlicher. Etwas, was ich mir so im Moskauer Flughafen nicht vorstellen kann.

Die Stadt wurde ja erst 1907 gegründet und hat ein großes Viertel, das rein im Bauhaus-Stil gebaut ist und zum Weltkulturerbe gehört.

 
Aber Renovierung, Stadtplanung oder –entwicklung sind für eine Stadt keine Option, wenn sie mit dem Leben beschäftigt ist und mit dem Zelebrieren des Hedonismus. Somit ist sehr viel und sehr stark runtergekommen. Es gibt kaum ein klares Stadtbild und die Stadt hat alle Fehler gemacht die Rotterdam und Köln beim Wiederaufbau nach dem Krieg gemacht haben. Nur, ohne dass es je zerstört war. Wohnraum geht vor Schönheit. Masse vor Ordnung. Geschweige denn, dass eine genialer Stadtplaner, wie ein Georges-Eugène Haussmann in Paris, ein oder zwei große Achsen in die Stadt bringt.
 
In dieser Woche ist die GANZE Stadt an allen Stellen mit Regenbogen-Fahnen gepflastert. Der Pride ist schon lange keine rein nationale Sache mehr und so hat sich die ganze schwule internationale Party-Schickeria hier zusammengerottet, um hier die Gay Pride zu feiern.

Aber was ist hier der Pride? Über was kann mann hier stolz sein? Was zeigt mann hier, was mann erreicht hat? Diese Fragen beantwortet ein Foto viel besser als jeder Text und jede Auflistung von Fakten. Diese beiden händchenhaltenden Soldaten sind die Antwort.
 
http://mobil.queer.de/mobil_detail.php?article_id=16701
Aber wie in allen Städten und Ländern sieht mann auf der Pride Parade eher die Menschen, die von viel Kampf und Arbeit anderer profitieren, als die, die gekämpft haben.

Die Parade hat kaum mehr als 8 Wagen, dafür aber sehr viele Mitgeher und Zuschauer. Und der Pride endet am Strand und feiert dort seine ganz eigene Party.

Diese Party bringt nur zu Ende, was die Bars auch sonst schon beginnen. Dies Stadt ist in dieser Zeit wie ein riesiges Honigfass und mann fühlt sich wie eine Biene, die langsam im Honig ertrinkt.

Es ist die totale visuelle Überforderung. Schönheit in jedem Zuschauer, in dem Passanten, in jedem Strandbesucher und ihn jeder Bar. Mann wird so reizüberflutet, das mann gar nicht merkt, wie einen der Honig am Fiegen hindert.

Und das ist in der Bar und der Disco genauso. Relativ schnell merkt mann aber, dass es immer so ist wie in einem Möbelhaus am Sonntag: geöffnet – aber kein Verkauf und keine Beratung!
 
„Show off“ und „Produktpräsentation im rechten Licht“ gehen zu Lasten von Flirten und "einfach Party machen".

Die Stadt scheint nicht „ethnisch gesäubert“ zu sein, sondern „geriatrisch“. Menschen über 35 kommen fast nicht vor. Zumindest im schwulen Kontext.

An jeder Ecke der Stadt gibt es das Angebot, zu konkurrieren, um das schönste Gesicht, den besten Bizeps, den schönsten Körper etc...

Online wird dann erst aus den „gesichteten Regalen“ das passende Produkt virtuell bestellt und konsumiert.

Das alles macht etwas mit einem. Macht etwas mit mir. Dort, wo ich früher die Konkurrenz angenommen habe, ziehe ich mich heute zurück. Dort, wo ich früher nicht genug Stimulus bekommen habe, suche ich heute das Einfache und das Wenige.

Als Schlossgespenst gehe ich durch diese Szenerie und habe weder rostige Rasseln, um mich bemerkbar zu machen, noch kann ich als Gespenst gesehen werden.


Langsam wird es mir hier am Bach ein wenig zu frisch. Es ist nicht mehr heiß, sondern nur noch warm. Die Hügel und Berge versprechen nichts Neues hinter ihren Gipfeln. Irgendwie passt der Kieselstein nicht mehr zu den andern im Bach. Es ist wohl der letzte seiner Art.