12.05.2007

Reich und Schön. (6. Reisebericht aus Marseille)

Ich bin bei den Toten. Sie sind wunderschön. Es ist wunderschön hier. Ich will kaum atmen, um die Stille nicht zu stören und um auch nichts von der Stille an diesem Ort zu verpassen. Knapp 100 Meter oberhalb von Nizza gehe ich staunend über den Friedhof auf dem Schlossberg. Hier trotzte lange Jahrhunderte lang zwar ein Schloss und eine Zitterdelle allen Kriegswindungen, weil der Berg und die Burg drauf, uneinnehmbar war. Aber es sind noch nicht mal mehr die Grundmauern geblieben. Der Berg ragt sprichwörtlich bis zum Meer und teilt dadurch die „Promenade für Touristen“ und den „neuen Hafen für die schwimmenden Touristenburgen“. Und aus den alten Zeiten, sind hier oben nur der Friedhof und ein Park geblieben. Der Hof des Friedens ist von einer einfachen und hässlichen Mauer umrundet, die auch den katholischen vom jüdischen Teil trennt.

Erschlagen und erfürchtisch setze ich jeden Schritt bedächtig und leise auf die kleinen weißen Kieselsteine die den Weg ausmachen. Dieser Ton ist das einzige Geräusch. Sowohl die Stadt und ihr lautes Treiben, wie das Meer und selbst der Mistral, sind hier oben, weit weg und stumm. Oder besser gesagt: nur als weit entfernte Kulisse zu hören.

Beide Teile des Friedhofs wetteifern um die schönsten und skurrilsten Gräber. Hier oben auf dem Berg der Stille, bringen große Zypressen und das dominierende Weiß und Schwarz ein Klarheit und Ordnung ist das Sehen, die sich gleich auf mich überträgt. Und das, obwohl alle Eitelkeiten und narzisstischen Anteile hier in der Gräbern ausgelebt werden. Zu mindestens auf dem katholischen Teil.

In Städten gibt es ja zwei Arten von Reichtum, den es auf dem Land nicht gibt. Platz und Ruhe. Beides wird umso teuerer, je mehr man in das Zentrum einer Stadt kommt. Je mehr Fläche und je mehr Raum man hat, desto vermögender ist man. Ist dieser Raum noch an einer Stelle der Ruhe gelegen, ist man quasi schon am teuersten Platz der Stadt.


Der Friedhof auf dem Schlossberg „La Colline du Chateau“ macht dies besonders deutlich. Durch seine Lage ist er gleichzeitig begrenzt und beschenkt. Deswegen wird jeder Meter Platz optimal genutzt und bebaut. Die Wege sind auf ein Minimum geschrumpft. Standesbewusstsein wird hier entweder durch das Ausmaß der Grundfläche für das Grab oder durch die besondere Gestaltung der Grabüberbauten gezeigt. Manchmal kommt auch beides zusammen.

Von mancher Stelle des Hügels sehen die Gräber und ihr Granit aus wie Wellen aus Stein. Und aus den Wellen brechen sich kleine Meerjungfrauen ihren Weg aus dem Ozean der Toten, verkleidet als Maria oder das Jesuskind,

Und bei dem Erleben dieser Ruhe und Abgeschiedenheit wird mir klar, wie ich den Unterschied zwischen Marseille und Nizza sehe. Hier in Nizza gibt es viel Schönheit und Elleganz. Vergangene und gerade noch seiende. In Marseille ist es schmutzig und ungeordnet, ja wild.

Am Anfang habe ich mich ja sogar geweigert in Nizza die schönen Bauten und Plätze in den vielen italienischen Baustilen anzusehen. Verneinte die Kraft der Farben, die einen Yves Klein, als Sohn der Stadt, zu seinem berühmten Blau geführt hat. Widersprach dem Zauber dem des Lichts, dem Chagall und Matisse hier erlegen waren.

War es Stephan oder Peer? Ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall ging es irgendwann mal darum zu entscheiden, ob ein junger Mann mein Interessen wecken würde. Und sein Kommentar war: „Nein, da ist zu wenig Straßenköter drin.“

Und ich denke das stimmt. Am letzten Tag meiner Reise kann ich sagen: Ja, ich will Straßenköter! Gibt mir die Bastarde dieser Welt. Lieber eine dreckige und chaotische Stadt voller Sehnsucht und Hoffnung als, ein selbstgefälliges Nizza. Lieber Schlussverkauf, als Kollektions-Start-Verkauf. Lieber krumm, als gerade. Lieber Charakter, als langweilige, weil perfekte Schönheit. Und je mehr ich drüber nachdenke gilt dieser Geschmack für Städte, auch für meinen Geschmack an Männern.

Aber feiern wir doch einfach mal die Städte wie sie fallen. Nizza, eine Stadt die sich erst 1860 von Napoleon III. durch Versprechungen hat kaufen lassen, um dann bei einer Volksabstimmung sich Frankreich anzuschließen. Davor war es lange italienisch, beziehungsweise Savonyisch. Das sieht man an dem wilden Mix aus Renaissance und Turiner Barock in den führenden Stadtbauten. In der Altstadt sind auch viele Straßenschilder französisch und italienisch.

Napoleon III. hielt seine Versprechen und brachte viel Geld in die Stadt und begründete die Elleganz auf die sich Nizza heute beruft. Trotzdem ist der italienische Einschlag auch durch langjährige Verkrustungen mit der Mafia dokumentiert. Kein Wunder, die Stadt liegt ja geografisch auch in Ligurien. Ebenso hat sie auch eine lange Tradition, nahezu rechtsradikale Bürgermeister zu wählen, die auch fleißige Le Pen Unterstützer sind.

Lassen wir mal, die zwar praktische und schön lange Promenade am Strand bei Seite. Hier sind die berühmten Hotelbauten die Cary Grant so beflügelt haben kaum noch zu sehen. Und auch die zweite und dritte Häuserwelle sind gelinde gesagt: unspektakulär. Nur der Ring um den Schlosshügel, findet Gnade vor meinen strengen Augen.

Hier kann ich auch meiner Straßenköter-Vorliebe frönen. Hinter und neben den großen Hotels, Restaurants und Bars, sehe ich viele Kellner, Küchenjungen oder Verkäufer. Sie haben sich aus ihren Läden gestohlen und rauchen verlegen eine Pausenzigarette. Sie sind froh sich wenigstens kurz, nicht darum kümmern zu müssen freundlich zu sein, die Krawatte gerade zu rücken oder aufmerksam zu sein. Kleine Inseln der gestohlenen Zeit, entstehen so an Hinterausgängen, an Mülltonnen oder Seitenstraßen. Augen und Körper voller schlechtem Gewissen und trotzigem Verharren. Gesichter mit 5-Tage Bärten, voll mit dunkeln Haaren und Augen, die mich auf diesem Trip so unendlich angemacht haben. Laurent und ich hatten einen festen Ausdruck für diese Männer: „Dreeeecksauuu!!!“ Mit französischem Akzent und leichtem lispeln klingt das sehr lecker.

Gut, der Dreeeecksauuu-Koeffizent pro Minute, ist in Marseille um einiges höher als in Nizza. Da gibt es auch viel mehr, von diesen unverbogenen, unparfümierten und natürlichen Typen, als hier in Nizza. Hier sind die Junx mehr in Richtung der Kölner „geleckten Typen“ anzusiedeln. Aber bei genauem hinsehen, findet mann auch eine angenehme Mischung aus französischem und algerischem Aussehen.

Diesen Eindruck konnte ich in der Nacht im Traxx noch mal bestätigt finden. Das Traxx war ein stadtbekannte Laden, zu dem ausschließlich Herrn gingen, die andere Herren suchten, und keinen Umweg über lange Bar-Gespräche oder lange Disco-Nächte gehen wollten. Auch hier überraschte Südfrankreich mit hohem internationalem Standard in der Ausstattung und Funktionalität. Diesmal war aber auch das bewegliche Inventar von hoher Güte. Wenn es neben der Straßenköter-Vorliebe noch eine weitere Vorliebe gibt, dann sind es ja bei mir die Tänzer. Und so kam zusammen, was zusammen kommen musste. Tanzende Straßenköter, mit Cardinot-Fressen und hoher Beweglichkeit und der kleine Sascha, sorgten zusammen dafür, das die ein oder andere Cardinot-Phantasie, in die französischen Küstenwirklichkeit umgesetzt wurden.

(Liebe Hetero-Frauen, bitte wendet Euch vertrauensvoll an den nächstgelegen Homosexuellen, um Euch das nötige Wissen über den Großmeister des französischen Dokumentarfilms – Monsieur Cardinot – zu beschaffen.)

Bei meinem zweiten Ausflug durch die Altstadt erfreue ich mich an den kleinen und gehobenen Geschäften. Läden mit strengen Damen, die hinter alten Holztresen stehen und so strahlend weißen Dallmayer-Schürzen tragen, wie aus der gleichnamigen Werbung. In diesen Spezialitäten-Geschäften kann man dann sich quasi baden in Farben und Gerüchen. Läden nur mit einem Produktgruppe, wie zum Bespiel: Seife in den wildesten Farben und Formen. Läden nur mit Oliven, zum essen, als Öl, als Seife, als Butter, im Brot, im Käse, als Gesichtscreme, und und und. Läden mit Gewürzen und getrockneten Blumen aus der Provence. Teehäuser mit großen Teekannen aus Metall, das noch älter als manche Häuser hier sind. Weinhändler die Wein leben und nicht nur verkaufen.

Aber ich ließ all dies hinter mir, um meinen letzten Ausflug in diesem Trip zu machen. Um den Massen an Touristen zu entfliehen, entschloss ich mich auf den hintern Hügel von Nizza zu steigen, wo das Freiluft Museum „Musée d’Archéologie Ruines Romaines“ und das wegen Renovierung geschlossene Matisse Museum liegt. Hier ist der Stadtteil Cimiez.


Diesen Aufstieg von 1 ½ Stunde Wandern, wurde mir belohnt mit dem Eintauchen in ein reines Wohnviertel in dem das alte Nizza lebte und wohnte. Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Zum einen reihte sich hier eine alte Villa, an ein altes Hotel. Und auf den Straßen waren nur Menschen die deutlich im Ruhestand sind. Hier konnte man die Luft atmen, die Cary Grant „Über den Dächern von Nizza“ geatmet hatte. Oft sah ich nach oben, um zu schauen, ob er noch elegant von Dach zu Dach sprang, Hier war Mittelmeer und Eleganz. Hier war Grazie selbstverständlich.

Auf dem Ende des Hügels angekommen, konnte man sich die Überresten eines römischen Theaters bestaunen, sich an der der Schönheit des Zypressenparks erfreuen. Oder auch die schlichte Pracht, des mit rotem Stein verklinkerten Renaissance Gebäudes, dass das Matisse Museums beheimatet, genießen.

Im Park gab es ein kleines Kinderkarussell hinter zwei Bäumen. Eine ältere Dame ließ dort Kinderherzen hochschlagen. Und die Mütter und ich erfreuten uns an der dazu gespielten alten französischen Chansons. Weit weg von zu Hause, der Stadt und alleine in diesem Park, fühlte ich mich, wie Mitten in einem alten Nouvelle Vague Film von François Truffaut.

Bei dieser „Filmmusik“ des Karussells kam mir das kleine Taschenbuch von Ken Wilber in den Sinn, das ich während meiner Reise lass. In „Wege zum Selbst“ beschreibt er die Konflikte und Probleme, die man im Leben mit sich und anderer hat, als Ergebnis von Grenzen, die wir selber ziehen. Grenzen zu anderen, Grenzen in uns selbst und Grenzen in der Sprache. Und als ich vor diesen Karussell stand und den wenigen Kindern zusah, fiel mir folgendes Zitat von einem Zen-Meister aus dem Buch ein. Darüber das es keine Wege zum Selbst und keine Erfüllung gibt, denn alles ist schon in uns:

„Nicht wissen, wie nah die Wahrheit ist,

suchen die Menschen sie weit weg – wie schade!

Sie gleichen dem, der inmitten des Wassers

So flehend seinen Durst hinausschreit.“



09.05.2007

Luxus. (5. Reisebericht aus Marseille)

Langsam wird mein Körper vom köstlichen Nass des Swimming Pools umschlossen. Wir, also der Pool und mein Körper, befinden uns auf dem Dach des SAS Radisson von Nizza. Direkt vor dem 7-stöckigen Hotelbau befindet sich das Meer und die Promenade des Anglais. Dahinter ist die Stadt, die einst von sich behauptete, die einzig mögliche Stadt für Europäer, im Winter zu sein.

Je mehr ich im Pool zur Mitte des Viereckes schwamm, merkte ich, wie sich die Realität des Hoteldaches verabschiedete und ich zu einem Lamm wurde, das in einem Nebenarm des Amazonas schwamm. Ebenso langsam wie ich mich im Wasser bewegt, schlängelten sich riesige und nach Aufmerksamkeit ausgehungerte Alligatoren zu mir in den Flussarm. Entgegen ihren natürlichen Schwestern, jagten sie mich im Rudel. Da waren die drei übergewichtigen, amerikanischen Alligatoren. Ihre Schönheit und Elleganz würde ich eher in Bruttoregistertonnen angeben wollen. Und da waren die 2 knackigen, jungen Italienerinnen, die ich auch standesgemäß zuerst gehört hatte, bevor ich sie gesehen habe. Nicht zu vergessen die 4 Russinnen, mit den knappsten aller Bikinis. Die Stofffetzen zeigten nicht nur die Schönheit der Landschaft hinter dem Ural, sondern verbergen ebenso wenig, die kleinen Narben ihrer Brust-OP’s. Bisher hatte ich mich ja erfolgreich in 4 Kontinenten der Erde mit dem Thema Cruising beschäftigt. Aber die Vehemenz dieses Flussarms/Dachpools war ungeschlagen. Nur durch einen beherzten Sprung aus dem Wasser konnte ich mein „Lammleben“ vor den Alligatoren retten. Schnell legte ich mich auf einer der abgelegenen Liegen, Rund um den Pool, und tat körpersprachig mein Desinteresse kund, indem ich ein Handtuch über mein Gesicht legte.

Das war der Moment in dem ich lernt, das Luxus was ganz individuelles ist. Das Privileg alleine in diesem Pool als Mann zu sein und mir all diese Frauen aussuchen zu können, hatte nichts mit meinem Wünschen und Sehnsüchten zu tun.

Vielmehr war der Moment des Hinlegens auf die Pool-Liege und das Verdunkeln, durch das Handtuch auf meinem Gesicht, der Moment in dem der schmerzliche Karter einsetzte. Der Schmerz des Aufwachens nach zwei Tagen des Rausches, des Fest der Sinne und der gelebten Sehnsüchte. Nach 2 Tagen mit dem Gärtner Laurent, auf Achse durch die Provence und an der Cote d’Azur entlang.

Dieser Reisebericht ist dem Luxus dieser Reise gewidmet, den ich mit Laurent erfahren durfte.

Wikipedia bezeichnet „Luxus (v. lat.: luxus = Verschwendung, Liederlichkeit, (eigentlich) „üppige Fruchtbarkeit“) als Verhaltensweisen, Aufwendungen oder Ausstattungen, welche über das übliche Maß (den üblichen Standard) hinausgehen bzw. über das in einer Gesellschaft als notwendig und - zum Teil auch - für sinnvoll erachtete Maß.“

Luxus fasst damit Phänomene zusammen, die für einen großen Teil der Bezugsgruppe zwar erstrebenswert sind, aber nicht erreichbar. Volkswirte sprechen über Luxus, indem sie die Verfügungsgewalt über knappe Güter, sowie deren verschwenderischer und unmäßiger Gebrauch und Verbrauch, aufzeigen.

Das Luxus individuell ist, haben wir eben schon im Wasser spielerisch gelernt. Und der Trip mit Laurent fängt auch im Wasser an. Er ist Montag. Noch bin ich in Marseille. Alleine liege ich auf der Dachterrasse des dortigen SAS Radisson. Da das Haus erst vor wenigen Monaten geöffnet hat, ist alles modern und großzügig. Neben dem sensationellen Blick auf die Hafeneinfahrt, genieße ich die Sonne, den aufmerksamen Blick des Bar-Boys, dessen einziger Gast ich bin und die Geräusche des fleißigen Gärtner des Hotels, der die wenigen Meter Grün um den Pool herum pflegt.

Und wieder eine Lektion über Luxus. Luxus bedingt eine „Bezugsgruppe“, der man vorschwärmen, vorenthalten oder mit der man den Luxus teilen kann.

Am Nachmittag hohl mich Laurent ab. Wir treffen uns an der Rue de République. Der runtergekommenen Vorzeigestraße Marseilles. Hier zeigt Marseille seinen ehemaligen Reichtum, den es aus der Öffnung des Suez Kanals bezogen hatte. Dadurch wurde Marseille zu DEM Hafen der Welt. Das hatte der Stadt Geld gebracht. Jetzt wird die Straße gerade renoviert und ist mit ihrer geschlossenen und einheitlichen Fassade, die einzige Straße, die wie Paris anmutet.

Wir machen uns auf den Weg nach Aix-en-Provence. Der schwule Mann an für sich und im besondern, geht nämlich nicht in Marseille aus, sondern möglichst in anderen Städten. Das Inkognito muss ja gewahrt werden. Der Abend nördlich von Marseille und nur 30 Autominuten entfernt, demonstrierte, dass was man sicherlich oft mit Provence verbindet: gutes Essen und guten Wein. Auch die kleinen - und im Vergleich zu Marseille, nahezu peinlich saubern - Gassen verleihen dem Abend einen Glanz.

Aber erst der Luxus oder sollte ich sagen der Überfluss, des gemeinsamen Humors, der kleinen Zärtlichkeiten, der geteilten Neugier auf die Stadt und auf die Menschen (oder soll ich ehrlich sein und Männer schreiben), machten diesen Abend erst besonders. Das ausgesprochene und unausgesprochene Gemeinsame bildeten den Zauber, den Ariadne von Schirach in Ihrem Buch „Der Tanz um die Lust“, das „Wunder einen echten Begegnung“ nennt. Oder kurz auch: Liebe.

An diesem Abend lernte ich, das Luxus auch sein kann, etwas nicht zu tun, etwas weg zu lassen. Der ganz große schwule Verzicht auf Sex, zu Gunsten von Nähe und Zärtlichkeit, als Akt des Reichtums.

Nach dieser letzten Nacht in Marseille und dem großen Luxusschuppen SAS, machten wir uns zu der großen Cote-d’Azur-Tour auf.

Cassis hatten wir ja schon gut abgearbeitet, so dass wir uns erst mal Bandol ansahen. Damit waren dann auch erst mal alle Vorurteile bestätigt, über widerlich touristisch überlaufene und todgebaute, ehemalige Fischerdorfe.

Fluchtartig verließen wir das Dorf und tuckerten fleißig an der 559 an der Küste entlang. Wie immer sind ja die Umwege, der Weg, den einen zum Erfolg führt. Daher hatten wir uns zwar verfahren, dafür aber einen versteckten Jachthafen gefunden, der seltsamerweise um 16 Uhr, wie ausgestorben war. In dieser Hafen-Bucht genossen Laurent und ich, diese Ruhe, indem wir die vorbereiteten Sandwichs picknickten. Dabei saßen wir auf dem Dorfplatz - und um genau zu sein - unter dem Pavillondach, das für die Dorfkapelle vorgesehen war. Die Ruhe war in und um uns. In uns war diese Ruhe, weil wir nach langer Fahrt und viel rumgealbere, einfach ein Moment der Stille mit einander genossen und schlichtweg aßen. Keine peinliche Pause in der Konversation, sondern Zufriedenheit mit dem Moment.

Die Ruhe außen war da, weil keine Menschen da waren und es wie ausgestorben war. Trotzdem war es sehr laut. Die Dorfkapelle spielte zwar nicht, aber der Mistral gab zusammen mit den hundert Segelbooten im Hafen ein maritimes Konzert. Im Rhythmus des Windes, schlugen die Taue und Ketten der Boote an die Masten. Nie hat mir eine Sandwich und eine solche Melodie der Stille, so gut geschmeckt. Das war der Luxus des Moments.

Wir verließen La Seyne-sur-Mer und fuhren einfach wie in einem Roadmovie nur von der Neugier getrieben, durch die Industrie- und Marinestadt Toulon. Durch das wunderbare Dörfchen Hyeres. Es gab selbstverständlich, wie in jedem Roadmovie, auch ein vermeintliches Ziel. Bei uns war es Ramatuelle. Ein kleines Dorf, das ganz im mittelalterlichen Stil geblieben ist. Es liegt auf der Halbinsel, auf der auch die verrufende Schwester St. Tropez liegt. Ich wollte hier hin, weil meine Vater vor der Ehe hier mal gelebt hatte und nach der Hochzeit, dies das Ziel unserer ersten Urlaubsreisen waren. Gute Gründe, aber natürlich gehorchten wir einfach nur einem weiterem Gesetz der Roadmovies: es geht um den Weg und nicht um das Ziel.

Schon lange vor Rayol-Canadel hatte sich die Landschaft stark geändert gehabt. Die Kieferbäume wichen Sträuchern und Laubbestand. Die Vegetation war dichter und üppiger. Das Blau des Meeres kämpfte immer mehr mit dem Grün der Küste.

Ohne das Laurent oder ich etwas sagten, stoppt er vorsichtig den Wagen und wir fuhren rechts ran. Zwei schmale aber hohe Langzungen lagen hier dicht beieinander, so dass eine weit gezogene Bucht entstand. Und mit großem Seltenheitswert, an diesem Teil der Küste, war hier mehr Küste zu sehen, als Architektur. Auf dem höchsten Punkt der zweiten Langzunge kam der Wagen zum stehen. In den leichten Sonnenuntergang hinein, hörte ich mich die Sätze sagen: „Das ist der einzige Platz, wo ich mal bauen werde. Für Dich, für mich und meine Freunde. Ein Platz des Atmens, des Sehens und Seins.“ Ich weiß wie kitschig das klingt. Aber so war der Moment. So war mein Gefühl. Und Laurent antwortet einfach nur mit einer festen und innigen Umarmung. Dieser Luxus eines Traumes, ist kostbarer als jeder Diamant oder Pelz. Und der Luxus eines Gästezimmers für Freunde, im Küstentraumhaus, ist ja kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Die Sonne hatte nur noch die aller letzten Strahlen, um uns die einmalige Schönheit der Halbinsel rund um Ramatuelle zu zeigen. So sahen wir das Meer und seine Brandung. Die Weinstöcke und die Dünen. (So dort ziemlich abgehen, wie alle einschlägigen Führer bestätigen.) Auf dem höchsten Punkt dieser Halbinsel lag Ramatuelle und wurde in der Dämmerung perfekt durch Flutlicht ausgeleuchtet. Die Burgmauern und die Altstadt waren in ein gelbes Meer von Licht getränkt.

Wir waren angekommen. Aber das war uns gar nicht recht. Denn jetzt war die Reise zu Ende und die Zeit der Trennung da. Laurent musste am nächsten Tag arbeiten, ich hatte in Nizza das Hotel gebucht. So sahen wir in der Nacht Ramatuelle und stellten uns dem Abschied. Kein Rosamund-Pichler-Film ist mehr kitschig und dramatischer als unser Abschied auf dem nächstgelegen den Bahnhof von St. Raphael. So fuhren Laurent zurück nach Marseille und ich nach Nizza.

Ich saß in der Bahn und meine Gefühle waren wild durcheinander. Große Dankbarkeit für die beiden sensationellen Tage. Schmerzen wegen dem Abschied. Freude für die zärtlichen Momente des Zusammenseins.

Ich genoss den Luxus, dass ich mich so gegeben habe, wie ich bin und jemand mich dafür toll fand. Ich betrank mich in dem Luxus, diese Sehnsucht und Hoffnung hiernach, nie vergraben zuhaben.

Verglichen mit dem gerade erlebten, empfand ich im Taxi durch das nächtliche Nizza und dann allein im Hotelzimmer, selbst den Nobelort der Französischen Riviera als fad und öde.

Und so komme ich zu meiner ganz eigenen Definition von Luxus. Ich schreibe diesen Reisebericht am Tag nach meiner Ankunft, hier im 7. Stock des SAS Radisson in Nizza, direkt neben dem Dachpool und verzichte auf das Abenteuer, einer neuen Stadt die sprichwörtlich zu meinen Füßen liegt. Und gebe mich der Erinnerung, der erlebten Sehnsucht hin.

08.05.2007

Der Gärtner. (4. Reisebericht aus Marseille)

Vorsicht. Warnung. Diesmal geht es um zwei Begriffe die nicht jedermanns Sache sind. Romantik und Patriotismus.

Die Deutschen haben ja die Romantik nicht erfunden, aber doch für sich gepachtet. Und die Franzosen haben ja den Patriotismus nicht erfunden, aber doch für sich gepachtet.

Aber ich fang einfach mal zeitlich und örtlich in der Mitte an. Ich sitze auf einer winzigen Terrasse von 5 mal 10 Metern, die größer ist als die Wohnung von Laurent. Da Laurent Gärtner ist, musste er schon eine Terrasse haben, wenn schon keinen Garten. Und Garten ist wohl auch der falsche Begriff. Denn an diesem Sonntagmorgen frühstücken wir in einem Dschungel voll mit aller Flora, die das Mittelmeer zu bieten hat. Die Farbenpracht kann an diesem sonnigen Morgen nicht stärker sein und Blüten und Gräser ranken sich sprichwörtlich bis auf den reich gedeckten Frühstückstisch. Laurent ist 36 Jahre jung, seine Mutter ist Italienerin, sein Vater ist Spanier, aber in Algerien geboren. Natürlich hat er mein persönliches-lieblings-Gardemass von 175 cm, wunderbare Segelohren und er lispelt. Was auf französisch ganz wunderbar ist. Na und dass seine Gesicht und seine Haare, das Beste des Mittelmeers verband, versteht sich.

Er hatte in Kambodscha drei Monate in einem Kloster verbracht und dort die Meditations-Technik der „Kunst der Tee Zubereitung“ erlernt. Das ist kein Witz, sondern einfach einer der köstlichen Gesichten des Lebens.

Und so saß ich also auf der Terrasse und frühstückte mit ihm und beobachtet ihn dabei, wie er geschickt und geduldig den Tee zubereitet. Und um dem ganzen eine romantische Krone auf zu setzten, lief im Hintergrund die 3. Symphonie von Brahms.

Sagte ich schon mal, dass eine gute Vorbereitung alles ist? Na ja, Lauranet und ich hatten schon was länger vor meiner Reise in Gaydar gechattet. Deswegen holte er mich am Abend vor dem Frühstück im Hotel ab. Er stand da prachtvoll vor mir und folgerichtig gingen wir erst mal zusammen entlang der ehemaligen Prachtstraße Canebière. Das kommt von dem Wort Cannabis. Hier war aber früher nicht Klein-Holland, sondern die Seilmacher der Stadt. Bald bogen wir aber ab, in das algerische Marktviertel.

Lauranet unterwies mich noch mal darin, wie gefährlich es wäre in Marseille als Schwuler Hand in Hand zu gehen. Ich glaube zum einen sagte er sich das selber. Und zum anderen hatte ich vom ersten Tag an bemerkt, dass dies nicht stimmt. Vielmehr habe sich die Junx in Marseille stillschweigend darauf geeinigt, folgendes Spiel miteinander zu spielen: Ich spreche Dich für eine Zigarette oder wegen der Uhrzeit an. Du sagst nein, und 5 Meter weiter frage ich noch mal, ob es nicht normal, ist einen anderen Mann so was zu fragen. Und schon fällt einem ein, das mann ja noch Zigaretten im Hotelzimmer hat.“

Wenn man in das algerische Marktviertel abbiegt, passiert man unbemerkt einen Passstation und begibt sich durch ein Wurmloch im Raum-Zeit-Kontinium (es lebe der Fernsehkonsum) in das Algerien des 18. Jahrhunderts. Es war schon knapp vor 20 Uhr und der Markt schon abgebaut. Und nur noch der Schmutz und der Dreck und die Abfälle des Tages waren dar. Das gilt für die Dinge auf der Straße und die Menschen. So schlimm sich das ließt, so ehrlich ist es. Tiefe vernarbte und vergrämte Gesichter, abgewetzte Kleider, herrenlose Hunde. Abfall essende methusa-alte Männer. Jetzt ein gutes Equipement und ich hätte eine erfolgreiche Fotostrecke für die Magnum Agentur.

Er wie sich das so in großen Städten mit wenig Boden in der City begibt, war direkt dahinter der Platz „Cours der Julian“. Ein kleiner Platz mit vielen Restaurants und Bars in denen die jungen Franzosen der Stadt hingingen. Und da dies eine arme Stadt ist, sprechen wir nicht von schicken oder gestylten Bars. Ursprünglich, laut und runtergekommen, sind wohl die passenden Adjektive.

Laurent führt mich in eine spanische Tappa-Bar die gänzlich leer war. Überschwänglich und wie einen Geliebten, begrüßten die beiden spanischen Schwestern meinen reizvollen Begleiter. Die eine war kaum größer als Laurent und 120 Kilo leicht. Die andere war kaum 40 Kilo, aber größer als ich. Das erinnerte mich gleich an eine feminine Variante der spanischen Weltliteratur.

Lautstark führten sie uns in den Hof hinter der Bar. Hier quoll überraschenderweise über, von jungen Franzosen und Exil-Spaniern, die noch lauter als die Besitzerinnen den Abend feierten. Konversation als Vorspiel ist schon was Feines. Mit Rotwein gesüßt sowieso. Aber Englisch mit französischem Akzent und leichtem Lispeln ist einfach ein göttliches Wundermittel.

Und so konnte ich dieser Nacht alle Vorzüge eines 5-Sterne-King-Zeit-Bettes, die Wildheit der Nacht und den Zauber der Hände des Gärtners genießen. Dazu noch meine Lieblingsmusik aus meinem Laptop. Und wenn es etwas gibt, was noch schöner ist als einvernehmlicher, wilder Sex, dann ist es in den Armen dieses Mannes einzuschlafen und den Duft seiner Haut und unserer gemeinsamen Nacht zu inhalieren. Damit mann diesen Duft nie mehr vergießt.

Laurent wollte am nächsten Morgen das Frühstück unbedingt auf seiner Terrasse einnehmen, was ich jetzt wo ich hier sitze natürlich sehr verstehe. Wir beschließen heute am Sonntag, den Tag der Wahl des nächsten Französischen Präsidenten, schnell erst zur Wahl zu gehen und dann zum Schwimmen nach Cassis zu fahren.

Als wir die Grundschule um die Ecke betreten, bekomme ich ein Gefühl für den Patriotismus der Franzosen. In dieser Schule wie aus dem Kitsch-Kinderbuch, sind alle Wähler mit stolzerfüllter Brust anzutreffen. Liberté, Égalité, Fraternité, steht quasi jedem auf der Stirn geschrieben. Bereits im ersten Wahlgang war die Wahlbeteiligung schon sehr hoch gewesen. Nicht zu letzte wegen einer Landesweiten Aktion, als Reaktion darauf, dass es bei der letzten Wahl Jean-Marie Le Pen bis zur Stichwahl geschafft hatte. Hier in dieser Schule sah ich also die 50jährige, die sicherlich Klamotten trug, die einer 20jährigen schon zu frivol gewesen wären. Den Beur, also die so genannten algerischen Einwanderer, der nach der Wahl sich als Franzose fühlen durfte. Und die Damen mit flascher Dreireihigen Perlenkette und Chanel-Kostum-Kopie. Hier in dieser sonnigen Grundschule roch es nach dem Pulverdampf der beim Sturm auf die Bastille verschossen wurde.

Kein Wunder denn die Marseillaise wurde nun mal am 30. Juli 1792 als Lied von republikanischen Soldaten aus Marseille beim Einzug in Paris gesungen und am 14. Juli 1795 zur französischen Nationalhymne erklärt.

Freudig verließen wir den Ort der Bürgerrechte und machten uns mit dem Wagen von Laurent auf Richtung Cassis. Ein kleines Dorf voller Jachten und Touristen, das zu recht von seiner wunderschönen Küste lebt. Etwas vor dem Dorfkern, dort wo die Villen stehen, führt mich Laurent zu einem versteckten Zaun. Hinter dem führte ein steiler, steiniger Weg zu dem „Strand“. Er wird in Marseille der Pampelmusen-Stand genannt, weil die Villa neben dem Weg so heißt. Cassis ist berühmt für seinen Kalkstein, der Marmorgleich eine wunderbare Farbe und Zeichnung hat. Und damit war der „Stand“ dann auch eine kleine Bucht, die nur aus der Brandung und einem ehemaligen Steinbruch für diesen weißen Stein bestand. So lagen nun alle Schwulettas und Heteras, wie auf einem Tiffany-Marmor-Präsentierteller. Und als Laurent und ich vom Schwimmen zurück zu unseren Handtüchern kamen, waren alle meine Sinne wie überfüllte. Ich war geblendet von dem Blau des Meeres, der Licht der Sonne, das sich in dem strahlenden weißen Kalkstein besonders stark spiegelte. Ich fühlte den Körper des Gärtners. Ich roch in seinen algerischen Bauchhaaren unserer gemeinsame Nacht. Und ich schmeckte das Salz des Mittelmeers auf seinen Lippen. Und um den Kitsch perfekt zu machen, hörten wir gemeinsam der Brandung zu.

Ich hatte Dich gewarnt. Es wird romantisch. Also gut kommen wir zu dem eigentlichen patriotischen Teil. Da ich Laurent bei unserem Abendessen an der Strandpromenade von Cassis damit geärgert hatte, dass es in Marseille ja kein anständiges schwules Nachtleben gibt, schlug er mir ein Bier für den Abend im Trash vor.

Und so fuhr ich dann mit ihm nach meinem Tagestrip in Cassis und ein wenig Ruhe im Hotelzimmer gemeinsam ins Trash.

Auch dies war wieder eine schwule Bar auf hohem internationalen Standard, mit allen Erlebnis-Einrichtungen, die mann sich so von einer Sexbar vorstellt und wünscht. Nur die Besucher waren kaum da und von schlechter Qualität. Das gab mir die Gelegenheit zu bemerken, das in dieses Bar, die in Köln wie das Midnightsun oder die Station-2-b einzuschätzen ist, alles für die Präsidentenwahl geschmückt war. Überall hing die Trikolore. Auf den 15 Videoschirmen liefen nur auf drei ein Porno und in den übrigen wurde live von dem Sieg von Nicolas Sarkozy berichtet. Es lagen selbst im Eingang zu den Kabinen noch Wahlflyer der beiden Kandidaten.

Da aber Laurent mindestens so bekannt in Marseille ist, wie ich in Köln, suchte er uns was Leckeres aus und schnell verlegten wir das Geschehen in mein Hotelzimmer.

Und da brachten nicht nur uns drei zusammen. Sondern auch die Brüderlichkeit, die Gleichheit und die Freiheit. Nach dieser Nacht werde ich wohl nie mehr an dem Nachtleben Marseilles zweifeln. Und die Deutsch-Französische Freundschaft wurde ausgiebig vertief.

Da einzige was seltsam war, ist das im Hintergrund der Fernseher stumm lief und nach der Wiederholung der Dankesrede von Sarkozy, Mireille Mathieu stumm die Marseillaise anstimmte. Also sah ich gleichzeitig Mireille singen, hörte von meinem Laptop, den Tod Siegfrieds, komponiert von R. Wagner. Und fühlte, dass wir Drei keinen besseren Weg finden konnten Romantik und Patriotismus zusammen zu bringen.

07.05.2007

Zweimal das Erstmal. (3. Reisebericht aus Marseille)

Der junge Algerier schaute mich mit großen Augen an und sagte „Bitte beeile Dich, sonst bekomme ich den letzten Bus zurück in die Vorstand nicht mehr.“ Ich hatte schon oft einen Orgasmus aus Geilheit und Leidenschaft bekommen, aber noch nie aus Gründen, die im Humor begründet sind. Seltsames Gefühl.

Aber neben der Geilheit gibt es viele Kräfte, die in mir wirken. Das ist zum Beispiel auch die Neugier. Obwohl der Algerier gerade erst gegangen war und mein Körper müde von der Reise, der Woche und den vielen Hormonen in meinem Körper war, siegte aber trotzdem die Seele. Weil eine für mich ganze neue Mittelmeer-Stadt vor den Türen meines Hotels auf mich wartete.

Na einigen freundlichen Empfehlungen von Herrn in den hiesigen Internetportalen habe ich mir zum Tanzen, für das „THE NEW CANCAN“ entschieden. Mich hätte der Namen schon stutzig machen sollen. Der ältere Herr am Eingang drückte erst mal die Touristen-Taste an der Kasse, und ich musste 5 Euro mehr zahlen, als alle anderen. Ganz weltmännisch ging ich darüber hinweg und schob mich durch die beiden Flügeltüren.

Zack. Da war ich jetzt in Marseille, das laut eigener Aussage 800.000 Menschen ihre Bewohne nennt und die größte Schwulenszene nach Paris hat. Aber das THE NEW CANCAN war der Schock schlecht hin. Ein Alptraum aus Rot und Schwarz. Ein Raum der spielend für 500 bis 700 Leute Platz hätte, war gerade mal mit 40 Leuten beseelt, deren Alterdurchschnitt bei schlappen 17,34 Jahren lag.

Sie hatten weder eine Hüfte, noch Haarwuchs, aber dafür alle eine BESTE-Freundin. Kurz und gut: Siegen bei Nacht ist wilder und Gewinnversprechender als diese Spelunke. Auch die Outfits ließen eher einen daran Zweifel, dass der Eiserne Vorhang zum einen gefallen und zum anderen nicht auch hier lang verlaufen ist.

Also nahm ich mir meinen für 15 Euro wohlverdienten Wodka und suhlte mich in meiner vermeintlichen Überheblichkeit. Und mit jedem Schluck merkte ich, dass ich diesen Raum irgendwie kannte. Er erinnerte mich an meine erste Diskothek. Ich war 14 und bin alleine in die Disco der Evangelischen Friedenskirche von Köln-Porz-Urbach gegangen. Auch dort war die Einrichtung unbeschreiblich und die Menschen so seltsam wie im THE NEW CANCAN. Und je mehr mir der billige Fussel durch das Blut ging, merke ich, wie ich an mein erstes Mal in einer Disco dachte. Nicht dass das was tolles gewesen wäre, aber es bleibt mir so gut in Erinnerung, weil die drei türkischen Besucher der Disco, die schon ein Jahr älter waren als ich und leichten Flaum auf der Oberlippe hatten, mich in an diesem Abend in einen Seitenraum verschleppten.

Hallo! Ich war damals 13 oder 14. Jetzt kommt nicht das, was Du denkst. Sorry. Nein, die drei Junx, machten mir schnell auf ihre eigene Art klar, dass ich nicht ein gewisse Scheide anschauen sollte. Offensichtlich die Freundin des Rudelführers. Und um Ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, bekam ich gleich auch das Erste mal in meinem Leben, eine in die Fresse. So weit nicht schädlich für meine Entwicklung. Nur zeigte es meinen weiteren Werdegang gut auf. Denn ich hatte natürlich nicht Scheide angeschaut, sondern die ganze Zeit meinen Blick auf den süßen Po und die tollen O-Beine, von dem jüngsten Mitglied des Rudels gelegt. Wie ich später erführ war sein Name Ali.

Ich sah mein Schicksal ein und dachte mir als ich das Glas Wodka ausgetrunken hatte: „OK tanzen ist nicht, aber ficken geht immer“. Also nahm ich meine präparierte Karte heraus und fand durch das nächtliche Marseille meinen Weg in L’ENTREPOT. Ein Sex Club direkt neben der Sauna LA PISCINE.

Da war dann auch alles auf internationalem Standard, so wie mann es mag. Die Location war so gestattet dass Vieles versteckt ist, aber Einiges offen genug ist, um es zu finden. Die Details spare ich mir, nur soviel: Marseille hatte mir nicht die aller erste Grade zu Begrüßung gesendet. Da ich aber mein schwules Navigationssysteme eingeschaltet hatte, merkte ich, dass sich die Herren der Nacht, immer wieder gerne durch eine kleine Pforte schlängelten. Da die Hoffnung ja bekanntlich zu letzt stirbt, bin ich dem dann gleich mal nachgegangen. Meine Stimme meines Navigationssystems, ist natürlich männlich und heißt nicht Susi, sondern Georg. Und kaum war ich durch die Pforte und konnte noch gar nichts sehen, weil es hier im Gegensatz zum L’ENTREPOT so hell war, hat Georg schwer Alarm geschlagen. Denn die Fahrbahn war auf einmal sehr rutschig. Nämlich macht Freitagnachts das L’ENTREPOT seine Pforte auf zu der Sauna LA PISCINE. Die beiden Etablissements liegen geschickter weise direkter Weise neben einander.

Ich weißt nicht was seltsamer ist, angezogen in eine ausgeschalteten Dampfsauna zu stehen. Oder nur von einem Handtuch bedeckt in einem „Gruppenraum“ zu stehen, während alle anderen angezogen sind.

Wie auch immer. Das war der Moment, wo die Hoffnung dann doch gestoben ist und ich gegangen bin. Dachte ich zu mindestens. Denn an der Kasse war die Krönung des Tages zu sehen.

Mein Kiefer tat mir ja sowieso schon weh, weil ich während meiner Stadtbesichtigung am Tage, die ganze Zeit meine Zunge hinter mir her ziehen musste. Die ganze Stadt, die ganzen Straßen sind voll mit diesen kleinen schwarzen Knopfaugen, mit dem leckeren dunklen Haar auf dem Kopf und im Gesicht. Groß sind sie auch nicht und die Popos sind auch wie bestellt. Und die nicht algerisch aussehenden Junx, sind alle frisch vom Cardinot Casting. Sascha ist also im Schlaraffenland.

Und der absolute Megaschuss, hatte seine Schicht an der Kasse des L’ENTREPOT begonnen, während ich mit Georg zusammen die Räume inspizierte. Oben ohne und mit der obligatorischen leichten Haarlinie auf dem Bauch, reichte er mir meine Jacke und … seine Telefonnummer. Seine Schicht wäre noch bis um 6 Uhr morgens und er hätte mich so süß gefunden, während er mich auf den Überwachungskameras des Hauses angeschaut hatte.

Small Brother is watching you!

To be continued.

PS: Na das Gefängnis der Weltliteratur schon identifiziert? Wie heißt der Roman? Kleiner Tipp: das Gefängnis heißt Château d’If.

06.05.2007

Die Stimme Gottes. (2. Reisebericht aus Marseille)

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05.05.2007

Maria’s Starschnitt. (1. Reisebericht aus Marseille)

Plötzlich wurde ich wach. Die Maschine war hart, aber professionell gelandet. Noch ganz verwirrt sah ich aus dem kleinen Fenster auf den Flugplatz von Marseille. Die Wolken weinten und die Stadt hatte alle Farben vor die Tore verbannt. Ich hasse es einen Lufthansa-Flug zu buchen und dann in einer Eurowings-Maschine zu enden. Gerade mal 1 Zentimeter Patz nach oben bleibt mir, wenn ich in diesem Jet stehe.

Als ich den Schock der Busreise vom Flughafen in die Stadt rein überwunden hatte (eine Hafenstadt ist halt nicht überall schön), wurde ich mit meinem Zimmer im SAS Hotel direkt am ersten Platz der Stadt belohnt. Mein Zimmer geht zum Vieux Port, dem Jachthafen der Stadt und damit auch das Zentrum dieser Mittelmeer-Metropole.

Rund um diesen Hafen haben sich alle Eroberer der letzten 2500 Jahre verewigt, mit Bauten die weniger repräsentativ als nützlich und militärisch sind. Und so ist eine Mischung aus allen Stilen von Besatzern, Erobern, Königen und Händlern entstanden. Nie schön, nie Zusammenhängend, immer eher funktional. Aber immerhin wohne ich in einem Dreieck aus Jachten von mehr als 1 Mio Euro, einem echten Fort und einem Gefängnis der Welt-Literaturgeschichte (na welches Buch war das wohl ??? )

In dieses Stadt gab es keinen Herrn Haussmann der Alles in einen städtebaulichen festen Rahmen gebracht. Nur einen Herrn Auguste Perret der im frühen 20 Jahrhundert die langweiligste Form von Architektur in die Stadt brachte, die nur damals modern war.

Nachdem ich meinen, mal wieder viel zu voll gepackten, Koffer ausgepackt hatte, machte ich mich auf, zu dem ältesten Stadtteil von Marseille. Auf einem Hügel direkt am Hafen hatte ich mich schell trotz Karte und gutem Orientierungssinn verlaufen. Und das war gut so, denn diese Gassen voller Algerier, Franzosen, kleinen Geschäften und Restaurants, war überraschend schön und toll renoviert. Dachte ich. Aber dieses Labyrinth hatte im letzten blödsinnigen Weltkrieg schon allen flüchtigen Menschen vor den Nazis als Schutz gedient, um von hieraus eine Passage in die Freiheit zu bekommen. Deswegen hatte Herr Himmler persönlich befohlen die Altstadt wegzubomben. Von daher war das Labyrinth nur eine gute Kopie.

Am obersten Punkt des Hügels wurde mein Mut belohnt, sich durch alle Gassen und kleinen Plätze, auch ohne Orientierung zu schlängen. Aus dem Chaos stach plötzlich ein strenger und auffallend symmetrischer Bau auf. Er hatte lange als Abteil gedient und ich meine laaannge. Als vierstöckiger Bau in U-Form umschloss er eine kleine Basilika. Die Anlage gehorcht den strengen Gesetzten der christlichen Ordensbauten und wirkt umso stärker durch den Kontrast mit dem Chaos und Unübersichtlichkeit des Viertels um ihn herum. Diese ehemalige Abtei wird jetzt für zeitgenössische Kunst genutzt. Und dort wo sonst Jesus, Petrus und Maria wie die Hotel Tokio Boyband ihrer Zeit, übergroß im Starschnitt in der Basilika hängen, waren jetzt abstrakte Gemälde. Dies Bilder waren mit mindestens 5 mal 3 Metern nicht gerade klein und wirkten mit diesem besonderen „Rahmen“ aber alles andere als wuchtig. Nicht nur weil man dort auch hinter die Bilder gehen konnte war dies eine ganz andere Art Kunst zu sehen. Und auch eine andere Art einen kirchlichen Bau in einer anderen Funktion zu „erleben“.

Nach vier Stunden Stadterkundung habe ich dann noch schnell meiner Reputation als Jungfrau, also im Sternzeichen, alle Ehre gemacht. Denn Jungfrauen planen ja so gerne. Und zur einer guten Vorbereitung von einer Städtereise gehört natürlich auch nicht nur Land und Gebäuden kennen zulernen. Nein auch die Mensch in der fremden Ländern sollte mann sich stellen. Und von daher eine dreifaches Hoch auf das Internet, Algerien und meiner weisen Entscheidung ein Doppelzimmer zu buchen.

To be continued.