Ich halte meine Füße in das kalte Nass und erfreue mich an dem
schönen Tag. Das Nass ist ein schmaler klarer Bach, der so schnell fließt, dass
das man kaum hinterhersehen kann. Er ist so klar, dass ich alle Kieselsteine
in seinem Flussbett einzeln sehen kann. An seinen Rändern sind wilde Büsche und
hohes Gras. Einfach viel Natur und viel Buntes. Der Horizont wird von Hügeln und
Bergen gesäumt, die mich neugierig machen, was denn so alles hinter ihnen versteckt
sein könnte.
Es ist so heiß, das mir der Bach meine Füße herrlich kühlt.
Ich sehe auf die Kieselsteine und erkenne, wie sie neben- und aufeinander liegen.
Ich nehme jeden Stein wahr in seiner Form und seiner eigenen Gestalt. Manche sind
groß, manche mickrig und wieder andere rund und wieder andere eckig.
Aber alle zusammen sind wunderschön und bilden ein Flussbett,
wie man es sich nicht schöner vorstellen kann. So weiß und klar und so
harmonisch. Alle dies und auch ich sind in einen heißen Sommertag gehüllt.
Nehmen wir mal einen solchen Kieselstein heraus und nennen
ihn Tel Aviv. Nennen wir ihn Tel Aviv zum Pride 2012. Eine Stadt, die stolz ist
auf ihre hedonistische Grundeinstellung. Auf ihre Art, das Leben zu feiern.
Bei der ach so gefürchteten Einreise mit vielen Fragen geht
es nur mühsam voran und lässt einen erahnen, wie das Thema Sicherheit hier
präsent ist in Israel. Aber kaum sagt mann das mann zur Gay Pride kommt, geht
alles schneller, einfacher und freundlicher. Etwas, was ich mir so im Moskauer
Flughafen nicht vorstellen kann.
Die Stadt wurde ja erst 1907 gegründet und hat ein großes
Viertel, das rein im Bauhaus-Stil gebaut ist und zum Weltkulturerbe gehört.
Aber Renovierung, Stadtplanung oder –entwicklung sind für
eine Stadt keine Option, wenn sie mit dem Leben beschäftigt ist und mit dem
Zelebrieren des Hedonismus. Somit ist sehr viel und sehr stark runtergekommen.
Es gibt kaum ein klares Stadtbild und die Stadt hat alle Fehler gemacht die Rotterdam
und Köln beim Wiederaufbau nach dem Krieg gemacht haben. Nur, ohne dass es je
zerstört war. Wohnraum geht vor Schönheit. Masse vor Ordnung. Geschweige denn, dass
eine genialer Stadtplaner, wie ein Georges-Eugène Haussmann in Paris, ein oder
zwei große Achsen in die Stadt bringt.
In dieser Woche ist die GANZE Stadt an allen Stellen mit Regenbogen-Fahnen
gepflastert. Der Pride ist schon lange keine rein nationale Sache mehr und so
hat sich die ganze schwule internationale Party-Schickeria hier zusammengerottet, um hier die Gay Pride zu feiern.
Aber was ist hier der Pride? Über was kann mann hier stolz
sein? Was zeigt mann hier, was mann erreicht hat? Diese Fragen beantwortet ein
Foto viel besser als jeder Text und jede Auflistung von Fakten. Diese beiden händchenhaltenden
Soldaten sind die Antwort.
http://mobil.queer.de/mobil_detail.php?article_id=16701 |
Aber wie in allen Städten und Ländern sieht mann auf der
Pride Parade eher die Menschen, die von viel Kampf und Arbeit anderer
profitieren, als die, die gekämpft haben.
Die Parade hat kaum mehr als 8 Wagen, dafür aber sehr viele
Mitgeher und Zuschauer. Und der Pride endet am Strand und feiert dort seine
ganz eigene Party.
Diese Party bringt nur zu Ende, was die Bars auch sonst schon
beginnen. Dies Stadt ist in dieser Zeit wie ein riesiges Honigfass und mann
fühlt sich wie eine Biene, die langsam im Honig ertrinkt.
Es ist die totale visuelle Überforderung. Schönheit in jedem
Zuschauer, in dem Passanten, in jedem Strandbesucher und ihn jeder Bar. Mann
wird so reizüberflutet, das mann gar nicht merkt, wie einen der Honig am Fiegen hindert.
Und das ist in der Bar und der Disco genauso. Relativ
schnell merkt mann aber, dass es immer so ist wie in einem Möbelhaus am
Sonntag: geöffnet – aber kein Verkauf und keine Beratung!
„Show off“ und „Produktpräsentation im rechten Licht“ gehen zu
Lasten von Flirten und "einfach Party machen".
Die Stadt scheint nicht „ethnisch gesäubert“ zu sein,
sondern „geriatrisch“. Menschen über 35 kommen fast nicht vor. Zumindest im schwulen
Kontext.
An jeder Ecke der Stadt gibt es das Angebot, zu konkurrieren,
um das schönste Gesicht, den besten Bizeps, den schönsten Körper etc...
Online wird dann erst aus den „gesichteten Regalen“ das
passende Produkt virtuell bestellt und konsumiert.
Das alles macht etwas mit einem. Macht etwas mit mir. Dort, wo ich früher die Konkurrenz angenommen
habe, ziehe ich mich heute zurück. Dort, wo ich früher nicht genug Stimulus
bekommen habe, suche ich heute das Einfache und das Wenige.
Als Schlossgespenst gehe ich durch diese Szenerie und habe
weder rostige Rasseln, um mich bemerkbar zu machen, noch kann ich als Gespenst
gesehen werden.
Langsam wird es mir hier am Bach ein wenig zu frisch. Es ist
nicht mehr heiß, sondern nur noch warm. Die Hügel und Berge versprechen nichts
Neues hinter ihren Gipfeln. Irgendwie passt der Kieselstein nicht mehr zu den
andern im Bach. Es ist wohl der letzte seiner Art.