31.05.2011

Zwei Raben.

Ich werde schlagartig wach. Aber meine Augen bleiben geschlossen. Mein Gesicht liegt flach auf der Matratze. Ich fühle die Stille des Raums. Langsam nehme ich das Schlafzimmer und meinen Körper wahr.

Noch liege ich still. Noch habe ich meine Augen geschlossen. Noch fühle ich nur.

Die Stille umschließt mich wie das Wasser nach dem Sprung in den Pool. Überall an meinem Körper fühle ich den Raum, die Stille.

Nur etwas stimmt nicht. Ich bin nicht allein. Nicht aus Furcht, sondern aus Neugier lass ich die Augen zu.

Gestern war ich angekommen in Lissabon. Es ist mein erster Morgen in der Stadt. In einem Appartement. Ich war allein eingeschlafen. Überhaupt hatte ich den ersten Tag ganz allein verbracht.
 








Hatte mir gleich drei Stadtviertel erwandert: Baixa, Alfama und Mouraria, das maurischen Viertel von Lissabon. Wie ein Eroberer hatte ich als erstes das Castelo de Sao Jorge erstürmt. Die alles überragende Burganlage ist rund um eine Zitadelle gebaut. Von hier oben sah ich auf Lissabon herab. Auf die Abenteuer der kommenden 5 Tage.

Erschöpft vom vielen Wandern durch die Stadt und den Gefühlen der letzten Tage und Woche, war ich eingeschlafen.

Und nun wach ich hier auf. Das Gesicht immer noch auf der Matratze. Ich höre nichts, aber ich fühle, dass ich nicht allein bin. Langsam öffne ich das linke Auge und sehe SIE. Zwei Raben sitzen still auf der Lehne des einzigen Stuhls in meinem Appartement. Sie bewegen sich nicht. So wie ich.

Ich hatte die beiden noch nie gesehen. Und auch ohne was zu sagen und ohne was zu hören, verstehe ich wer die beiden sind. Weiß dass sie mir alles erklären können, was ich wissen will.

Der linke Rabe ist die Dunkelheit. Die Entscheidung. Der Tod. Die Einsamkeit. Aber genauso schwarz und mit dem gleichen durchdringenden Ruf ausgestattet ist der rechte Rabe. Der Mahner zur Erneuerung, die Erinnerung, die Sehnsucht oder auch der Schmerz der Gewissheit das ich lebe.

Beide schauen mich eindringlich an. Beide strafen mich mit ihrem Schweigen. Von jeher bin ich sehr berührt, wenn ich einen Raben gesehen habe. Eigentlich sogar noch mehr, wenn ich sie nur gehört habe.
Dann fühlte ich mich berührt. Irgendwo zwischen meinem sein und meinem fühlen. Oder besser gesagt öffnet ihr Ruf eine Tür zu einer Welt in mir, die ich nicht kannte. Der eigene Tod und seine kleine Schwester die Einsamkeit.

Die beiden Raben in meinem Zimmer sind ganz besonders große Exemplare. Sie lieben scheinbar den dramatischen Auftritt. Der Stuhl auf den sie hocken ist direkt unter einer Dachluke. Die durch die Luke einfallenden Sonnenstrahlen lassen ihr schwarzes Federnkleid noch dunkler scheinen. Alfred Hitchcocks hätte die Szene nicht besser inszenieren können.

Ich richte mich im Bett auf und weiß darum dass ich nicht sprechen muss um sie zu verstehen. Und um dem erdrückenden Schweigen zu entgehen und dem stechenden Blicken auszuweichen, greife ich auf die schwulste aller Fluchtstrategien zurück. Ich schalte Grindr ein.

Eine halbe Stunde später kommt Juan die Treppe zu meinem Appartement hoch. Er setzt sich auf den Stuhl, wo die Raben saßen und strahlte in demselben Sommerlicht wie sie.

Auch bei ihm ließ das Sonnenlicht seine schwarze Haut noch stärker strahlen. Seien Familie war vor zwei Generationen aus Angola nach Portugal gekommen. Er trug ein T-Shirt mit dem Stadtwappen von Lissabon auf der Brust. Und aus diesem Wappen strahlten mir zwei Raben entgegen.

Die Stadt hat die beiden Vögel in ihrem Wappen, weil der Heilige Vinzent nach der Folter hier als Märtyrer gestorben ist. Aus Strafe wurde er nicht bestattet, sondern auf offenem Feld den Vögeln zum Fraß vor geworfen. Aber zwei Raben und ein Engel schützen ihn davor abgefressen zu werden.

Und als die Ungläubigen das sahen warfen sie ihn in einem Sack ins Meer. Aber die Raben blieben bei ihm und halfen ihm ans Land zurück.

Juan zog sich aus und warf sein T-Shirt über den Stuhl. Dieser Stuhl steht am Ende des Bettes. Deswegen sehe ich während jedem Kuss und während jedem Eindringen und während jedem Streicheln das T-Shirt und die beiden Raben im Wappen.

Mein Appartement liegt auf dem 3. Stock und ich blicke aus dem Fenster auf eine kleine Gasse. Die gegenüberliegenden Häuser sind keine 2 Meter entfernt.
Ich schaue Juan hinterher wie er aus der Gasse in die Straße biegt. Nicht ohne mir ein letztes Lächeln zu schenken.

Dieses Lächeln und seine Küssen waren mir mehr wert als seine Jugend, sein Körper oder sein große Ausstattung. Alles drei ist spitze, aber das Lächeln und die Küsse gehen tiefer.

Ich bleibe noch am Fenster stehen und blicke auf die Stelle wo ich ihn zu letzte gesehen habe. Noch traue ich mich nicht wieder ins Appartement zu schauen, denn ich weiß, dass sie wieder auf dem Stuhl thronen. Ihre Stille fühlt sich bedrohlich an. Und ja, ich frage mich was es ist, dass Vinzent als Begriff auf die Wörter Siegen und Sieg zurück gehen läßt.

Was ist hierbei bloß ein Sieg?





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