24.09.2011

Parsifals Reise vom Sohn zum Mann.

Es ist diese eine Sekunde zu viel. Diese eine Sekunde teilt die Schwulen von den Heten. Den Kumpel von dem Lover. Die Normalität von der Versuchung.

So erkennen sich die Junx weltweit. Sie schauen einfach eine Sekunde länger an, als sich sonst Männer gegenseitig anschauen.

Und diese Sekunde habe ich hier im Bus. Ich fahre von Palermo nach Montella, dem Badeort und –strand von Palermo. In dieser sizilianischen Hauptstadt ist Vergänglichkeit für mich anfassbar. Sie ist die Stadt wo vergangener Glanz überschüttet ist mit greifbarer Patina. Vier Tage habe ich mir diese Stadt systematisch erwandert und Kirchen, Palazzi und Stadtteile erkundet. Alleine und bewusst einsam.

Aber jetzt will ich nicht mehr Vergangenes sehen, sondern das Licht und das Meer. Daher sitze ich im Bus und bemerke wie wir die Stadt hinter uns lassen und nur noch selten anhalten.
Als ich vom Fenster meinen Blick in den Bus lenke, setzt er sich er gerade mir gegenüber hin. Und schaut mich an. Diese eine Sekunde zu lang. Ganz Italiener ist er von der Sonne braun und sein Haar an den Beinen ist blond wie Gold. Sein Gesicht läuft spitz zum Kinn hin zu. Seine kurze Sporthose konnte ich  gerade noch von hinten sehen als er sich hinsetzt. Und was ich sehe ist filigran, wie der Rest seines drahtigen Körpers.

Das Spiel der Augen ist im vollen Gange. Und weder konnte ich seine dunklen braunen Augen stand halten, noch konnte er meinen Blick erwidern.

Unsere Körper machten das, was das NLP pacen nennt. Wir spiegelten unsere Bewegungen und Körperpositionen. Und dabei hatten wir unsere  Körper maximal zueinander geöffnet. Dieses Spiel geht gefühlte Minuten, Stunden, eine ganze Ewigkeit.

Plötzlich steht er auf und verlässt den Bus. Und während der Bus anfährt geht er in entgegengesetzter Richtung auf den Bürgersteig. Ohne sich umzudrehen. Noch nicht mal für eine Bruchteil einer Sekunde.

Was fasziniert mich an diesen Mann so sehr? Warum bin ich so gefangen von seinem Blick?

Von der üblichen Liste der Verdächtige konnte ich ihn schnell streichen.

Körper, Gesicht, Lächeln, Lippen; Alles war toll und so frisch. Aber halt auch nicht so anders oder besser, als bei den anderen Männern auf meiner Liste.

Sein Humor, seine Eloquenz oder seine Charme konnte ich, unsere stillen Begegnung geschuldet, nicht kennen lernen.

Es war wohl etwas in mir und nicht etwas an ihm, was mich elektrisiert.

Ich lese hier viel zu der Oper „Parsifal“ von Richard Wagner. Er hatte viel zu dieser Oper hier in Palermo erarbeitet. Und um es mal mit dieser Oper zu überhöhen, so liebte ich den erhofften Retter.

„Durch Mitleid wissend, der reine Tor; harre sein, den ich erkor.“

Und dieser Tor, mein Tor aus dem Bus, der ist ein Tor, weil er ohne Erfahrung ist. Und deswegen ohne Verletzung. Und wissend nicht durch Wissen, sondern durch das Mitleid für mich. Der von dieser Verletzung schon zu viel Weiß und zu viel hat.

Ich sehne mich nach diesem Mann, weil ich ein solcher Tor sein will. Ich sehne mich nach ihm, weil ich auch mal so war. Aber nicht mehr sein kann.

Ich sehe dem Mann aus dem Bus nach, wie er über den Bürgersteig weg geht, ohne sich umzudrehen. Und ich sehe mich dort gehen, denn der Junge ist 15 Jahre alt.

Und als der Junge aus der Sicht ist, bin ich nicht mehr Jung, noch Sohn. Sondern nur noch Mann.

Und wie der König Amfortas, der König des Grals in der Oper Parsifal, habe ich „vergessen“ die Frage zu stellen, die alle Wunden in mir heilt.

(In  Erinnerung an meiner Mutter. 24.09.2011)








31.08.2011

Krokodil-Teich.


Ich trage meine Badehose um den Hals und die dunkle Nacht auf meinem Kopf.

Die Nacht als Hüterin von allen Tiefen und Unklarem bedeckt hier knapp 15 Männer. Alle lauern im Wasser der Schwefelquellen von Saturnia im Herzen der Toskana. Kurz nach Mitternacht liege ich hier in diesem natürlichen Becken dieser Quelle in knapp 30 Grad warmen Wasser. Wenige Meter über uns entspringt die Quelle und wird erst mal von einem kleinen Wasserfall und einer Art kleiner Bucht gefolgt.

Im Wasser aber am Rande dieser Bucht sitzen, stehen, schwimmen und schnaufen Männer. Schwule Männer. Die hoch schauen in einen Himmel ohne Wolken und einen vollen Mond sehen, der kitschig von Schilf eingerahmt wird.

Wie immer bei solchen Gelegenheiten, wo die Scham und die Ungewissheit über die anderen Gefühle obsiegen, herrscht große Stille. Jeder versucht den Schutz der Nacht nicht durch Lärm zu zerstören.

Die Bucht in an manchen Stellen nur ein Meter tief, manchmal zwei Meter, manchmal nur 30 Zentimeter. Trotzdem schaffen es fast alle ihren Körper und ihre Köpfe so im Wasser zu verstecken, dass nur die Augen zu sehen sind. 

So machen es eigentlich Krokodile. Und genau so laueren alle Junx & Männer wie Krokodile knapp oberhalb der Wasseroberfläche auf ihre Opfer. Manche warten geduldig in einer bestimmten Ecke. Still und regungslos. Andere bewegen sich in Zeitlupentempo durch das dunkle Nass.

Beim Mann gibt es ein simples digitales System, ob er etwas geil findet oder nicht. Mein System ist auf Null gestellt. Ich finde das einfach nicht geil hier. Es ist eigentlich alles da. Unbelassende Natur, die Nacht, fremde kleine Italiener, warmes Wasser. Aber all diese guten Zutaten werde für mich nicht zu einem guten Gericht, geschweige denn zu einer verlockenden  Mahlzeit.

Mein Bild ist ganz anderes. Ich sehe Männer die sich wie kleine pubertierende Junx an Jugendherbergs-Sex ergötzen. Mehr das Überschreiten eines Verbots genießen. Als den eigentlichen Akt selber. Schwefel-Wasser hat keinen guten Duft, um es mal vorsichtig auszudrücken. Aber selbst dieser intensiver Gestank nach Schwefel wurde überlagert von dem Eau de Toilette des „Verbotenen“.

Nun aber ist weder Sex, auch der zwischen Männern, noch sonstige schwule Abenteuer „verboten“. Und das hatte mein digitales System auf Null gestellt. Dieses Eau de Toilette mochte ich nicht. Ganz und gar nicht. Es stinkt viel mehr für mich als der Schwefel.

Deswegen lachte ich umso mehr als die Freundin die mit mir zu den Quellen gekommen ist, aber im Hetenbecken rumgelungert hatte, jetzt nach mir suchte. Und zwar mit einer Taschenlampe. Sie hält das Licht mitten in das Junx-Becken.

Und schon sieht sie aus wie eine Herbergsmutter und alle Krokodil tauchen unter.






31.05.2011

Zwei Raben.

Ich werde schlagartig wach. Aber meine Augen bleiben geschlossen. Mein Gesicht liegt flach auf der Matratze. Ich fühle die Stille des Raums. Langsam nehme ich das Schlafzimmer und meinen Körper wahr.

Noch liege ich still. Noch habe ich meine Augen geschlossen. Noch fühle ich nur.

Die Stille umschließt mich wie das Wasser nach dem Sprung in den Pool. Überall an meinem Körper fühle ich den Raum, die Stille.

Nur etwas stimmt nicht. Ich bin nicht allein. Nicht aus Furcht, sondern aus Neugier lass ich die Augen zu.

Gestern war ich angekommen in Lissabon. Es ist mein erster Morgen in der Stadt. In einem Appartement. Ich war allein eingeschlafen. Überhaupt hatte ich den ersten Tag ganz allein verbracht.
 








Hatte mir gleich drei Stadtviertel erwandert: Baixa, Alfama und Mouraria, das maurischen Viertel von Lissabon. Wie ein Eroberer hatte ich als erstes das Castelo de Sao Jorge erstürmt. Die alles überragende Burganlage ist rund um eine Zitadelle gebaut. Von hier oben sah ich auf Lissabon herab. Auf die Abenteuer der kommenden 5 Tage.

Erschöpft vom vielen Wandern durch die Stadt und den Gefühlen der letzten Tage und Woche, war ich eingeschlafen.

Und nun wach ich hier auf. Das Gesicht immer noch auf der Matratze. Ich höre nichts, aber ich fühle, dass ich nicht allein bin. Langsam öffne ich das linke Auge und sehe SIE. Zwei Raben sitzen still auf der Lehne des einzigen Stuhls in meinem Appartement. Sie bewegen sich nicht. So wie ich.

Ich hatte die beiden noch nie gesehen. Und auch ohne was zu sagen und ohne was zu hören, verstehe ich wer die beiden sind. Weiß dass sie mir alles erklären können, was ich wissen will.

Der linke Rabe ist die Dunkelheit. Die Entscheidung. Der Tod. Die Einsamkeit. Aber genauso schwarz und mit dem gleichen durchdringenden Ruf ausgestattet ist der rechte Rabe. Der Mahner zur Erneuerung, die Erinnerung, die Sehnsucht oder auch der Schmerz der Gewissheit das ich lebe.

Beide schauen mich eindringlich an. Beide strafen mich mit ihrem Schweigen. Von jeher bin ich sehr berührt, wenn ich einen Raben gesehen habe. Eigentlich sogar noch mehr, wenn ich sie nur gehört habe.
Dann fühlte ich mich berührt. Irgendwo zwischen meinem sein und meinem fühlen. Oder besser gesagt öffnet ihr Ruf eine Tür zu einer Welt in mir, die ich nicht kannte. Der eigene Tod und seine kleine Schwester die Einsamkeit.

Die beiden Raben in meinem Zimmer sind ganz besonders große Exemplare. Sie lieben scheinbar den dramatischen Auftritt. Der Stuhl auf den sie hocken ist direkt unter einer Dachluke. Die durch die Luke einfallenden Sonnenstrahlen lassen ihr schwarzes Federnkleid noch dunkler scheinen. Alfred Hitchcocks hätte die Szene nicht besser inszenieren können.

Ich richte mich im Bett auf und weiß darum dass ich nicht sprechen muss um sie zu verstehen. Und um dem erdrückenden Schweigen zu entgehen und dem stechenden Blicken auszuweichen, greife ich auf die schwulste aller Fluchtstrategien zurück. Ich schalte Grindr ein.

Eine halbe Stunde später kommt Juan die Treppe zu meinem Appartement hoch. Er setzt sich auf den Stuhl, wo die Raben saßen und strahlte in demselben Sommerlicht wie sie.

Auch bei ihm ließ das Sonnenlicht seine schwarze Haut noch stärker strahlen. Seien Familie war vor zwei Generationen aus Angola nach Portugal gekommen. Er trug ein T-Shirt mit dem Stadtwappen von Lissabon auf der Brust. Und aus diesem Wappen strahlten mir zwei Raben entgegen.

Die Stadt hat die beiden Vögel in ihrem Wappen, weil der Heilige Vinzent nach der Folter hier als Märtyrer gestorben ist. Aus Strafe wurde er nicht bestattet, sondern auf offenem Feld den Vögeln zum Fraß vor geworfen. Aber zwei Raben und ein Engel schützen ihn davor abgefressen zu werden.

Und als die Ungläubigen das sahen warfen sie ihn in einem Sack ins Meer. Aber die Raben blieben bei ihm und halfen ihm ans Land zurück.

Juan zog sich aus und warf sein T-Shirt über den Stuhl. Dieser Stuhl steht am Ende des Bettes. Deswegen sehe ich während jedem Kuss und während jedem Eindringen und während jedem Streicheln das T-Shirt und die beiden Raben im Wappen.

Mein Appartement liegt auf dem 3. Stock und ich blicke aus dem Fenster auf eine kleine Gasse. Die gegenüberliegenden Häuser sind keine 2 Meter entfernt.
Ich schaue Juan hinterher wie er aus der Gasse in die Straße biegt. Nicht ohne mir ein letztes Lächeln zu schenken.

Dieses Lächeln und seine Küssen waren mir mehr wert als seine Jugend, sein Körper oder sein große Ausstattung. Alles drei ist spitze, aber das Lächeln und die Küsse gehen tiefer.

Ich bleibe noch am Fenster stehen und blicke auf die Stelle wo ich ihn zu letzte gesehen habe. Noch traue ich mich nicht wieder ins Appartement zu schauen, denn ich weiß, dass sie wieder auf dem Stuhl thronen. Ihre Stille fühlt sich bedrohlich an. Und ja, ich frage mich was es ist, dass Vinzent als Begriff auf die Wörter Siegen und Sieg zurück gehen läßt.

Was ist hierbei bloß ein Sieg?





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