18.09.2003

Connections. (Reisebeicht aus Berlin Sept '03)

Manchmal steht mann neben sich und denkt sich so: „Was war da denn jetzt?“

Erst vor kurzem saß ich im Hotel des „Art Hotels Connection“ in Berlin. Im 3. Stock eines Jugendstilhauses kommt mann über einen Aufzug mit gusseisernem Käfig zu diesem Etagen-Hotel. Ich hatte mich sowieso auf einiges eingestellt. Nicht nur weil es ein schwules Hotel ist, sondern auch, weil im Erdgeschoss dieses Hauses die Disco Connection ist.

Meine ersten 3 bis 4 Besuche dort in den 80’ern waren sehr enttäuschend gewesen. Eine kleine nichtsagende Disco. Dessen legendären Ruf ich mir weiß Gott nicht erklären konnte. Bis ich beim drauffolgenden Besuch den Keller entdeckte.

Katakomben und Gewölbe. Labyrinth und Kanäle. Darkrooms und Kabinen. Eine unterirdische Welt, größer als die der Christen im alten Rom.

Und das mir, wo ich doch zwanghaft mir sofortigen Überblick über die Location verschaffen muss. Direkt wissen will: wo ist was und wo ist wer? Wo ist die Ecke mit denen die Tanzen können? Wo stehen die Muscle-guys? Wo die apathischen Spanner? Wo wird gefickt? Wo geflirtet?

Kurz: wo laufen die soziografischen Längen- und Breitengrade?

Und als ob das noch nicht genug wäre, laufe ich diese Längen- und Breitengrade den ganzen Abend gespannt ab. Wie ein Grenzer an der Deutsch-Deutschen Grenze.

Gut, die Katakombenwelt war mir also bisher entgangen. Deswegen untersuchte ich sie damals um so genauer. Dieses Großreich der Möglichkeiten und potentieller Versprechungen hieß es ja zu in Quadraten aufzuteilen, zu entdecken und in beschriftet kleine Schubladen in meinem Gehirn abzulegen.

Gut gefällt mir dabei die Geschichte des jungen Mannes, der leicht angetrunken seinen Traummann im Keller entdeckte. Daher nahm er sich einen Barhocker und positionierte sich in sicherer Entfernung und bei maximaler Scan-Möglichkeit.

Dieser Traummann war sehr groß, muskulös, schweigsam und bewegte sich auch nicht unnötig. Daher strahlte er Ruhe und Übersicht aus.

Mein junger Freund flirtete nun über Stunden aufs intensivste mit diesem Traummann. Zum Teil durch den Alkohol, zum Teil durch die Überlegenheit des Traummannes, war der junge Freund wie gefesselt auf seinem Barhocker.

Bis mein junger Freund von seinem Reisebegleiter gefragt wurde, warum er denn schon seit Stunden die Tom-of-Finnland-Ersatz-Freske an der Toiletten-Tür anstarre?

Im 3. Stock dieses Hauses in Berlin ist also das Hotel. Und wie das so bei alten Häusern in Berlin nun mal ist, gab es einen 30 Meter langen Flur. Von dem gehen die Hotelzimmer ab. Tritt mann in dieses Etagen-Hotel ist mann gleich in diesem Flur. 15 Meter geht er gerade aus und die anderen 15 Meter gehen in einer scharfen L-Kurve rechts ab. Genau auf der Ecke ist der hoteleigene PC/Internetplatz.

Selbst nachdem ich schon 15 Jahren massiv mein Schwul sein praktiziert habe, saß ich immer noch verschämt dort und chattet in Gaydar, Gayromeo, Sixpackparty und und und.

Jedes mal, wenn die Tür auf ging, wechselte ich geistesgegenwärtig auf die unverfängliche Web-Mail-Seite.

Und jedes Mal als sich eine Tür öffnete, trat ein anderer Alien in den Flur. Alle waren getarnt als Menschen, ausnahmslos als Schwule jenseits des 340’ten Geburtstages. Oder die 340’te Wiedergeburt?

In Kleidung und Habitus einer Schwulen Generation, die es gewohnt war erst zu klingeln, bevor sie in eine schwule Bar gehen konnte. Sie hatten Verstecken und Andeutungen zur hohen Schule perfektioniert. Das gesamtgesellschaftliche schlechte Gewissen ließ sie gebeugt laufen.

Nach dem ich auf diesem intergalaktischem Flughafen, der dem aus dem Film MIB nicht unähnlich war, so etwa 10 Aliens gesehen hatte, fragte ich mich schon gar nicht mehr, wer denn wohl noch so aus den Zimmern treten würde.

Aus einem Zimmer aus dem Teil des Flurs der in meinem Rücken lag, hörte ich immer jemanden laut von 1 bis 10 zählt. Eins, zwei, drei, ....

Dann war eine Pause und wieder setzte die Stimme ein. Die Stimme setzte die Zahlen so wie vielleicht der Moderator der Lottozahlen: exakt, präzise, und mit einem leeren Lächeln.

Und plötzlich ging die Tür, von dem Zimmer mit der Stimme, auf. Verschämt klickte ich wieder schnell auf die Web-Mail-Seite.

Und schon war der Alien aus dem Stimmen-Zimmer in das letzte Zimmer am Gang wieder verschwunden. Aber ich hatte gar keine Zeit wieder auf Gayromeo zurück zu klicken, weil die Tür des letzten Zimmers wieder auf ging.

Diesmal schaute ich hin.

Ein junger Alien, quasi aus der Nachwuchsklasse, von knappen 150 Jahren, war gänzlich nackt im Flur. Mit kaum 1,65 war er sehr klein. Auch sehr schmächtig. ET war im Vergleich fett. Aber sie hatten wohl die gleiche runzlige Haut.

Und dieser kleingewachsene, schmächtige Alien schob nackt wie es war, ein Sport-Bock vor sich her.

So ein Sport-Bock haben die meisten von uns ja schon im Schulsport gehasst. Dort wo mann mit Hilfe eines Trampolins und einer Beingrätsche über solch einen Bock fliegen musste.

Der Bock auf dem Flur war auf die höchste Stufe gestellt, so das ich vornehmlich den Bock sah und nur wenig von dem Alien. So schmal und klein wie der Alien war, sah ich nur seine Stirn und sein angespannte Augen. Der Scheiß rannte über seine Stirn, denn der Bock war mindestens doppelt so schwer wie er.

Das Leder und das Holz des Bocks war offensichtlich neu. Es war auf der 3. Etage des Hauses auch keine Sporthalle. So das der Bock wohl zum Reisegepäck des Alien gehörte. Der schob nun diesen Bock aus dem letzten Zimmer, in das Zimmer mit der Stimme.

Und diese Verschiebe-Aktion dauerte nur wenige Sekunden. Fort an kämpften mein Unter- und mein Bewusstsein. Nimm ich das nun wahr oder nicht?

Aber was ich nur aus dem Augenwinkel sah, schon sich endgültig in mein Bewusstsein, als ich wieder die Zahlen hörte. Eins, zwei, drei, ....

Diesmal nur unterbrochen von einem leisen, wonnegefüllten: „Aua“.

Berlin, 18. September 2003

06.09.2003

Salvation Army. (2. Reisebericht aus Amstderdam)

Die Treppe ist die Grenze zwischen dem Eingang und der Garderobe.

Um dort hin zu kommen, arbeitet mann sich einen langen Gang entlang. An keinem Airport der Welt auf dem ich bisher war, habe ich strengere Sicherheits-Checks erlebet, wie im Escape in Amsterdam.

Kaum gab mann am Ende des Ganges dem Türsteher, der mehr Himalaja ist als Bodybuilder, seine Eintrittskarte, ist mann auch schon auf dem Centre Stage.

Wimbledon hat einen Centre Court.

Das Escape eine Centre Stage.

Die Treppe liegt wie eine Grenze zwischen dem Himalaja und der Garderobe. Keine 15 m2 weit entfernt.

Zwei Stunden saß ich auf der Treppe und habe den Einzug der Gladiatoren der Nacht auf diesem Centre Stage staunend verfolgt.

OK, das war nicht wirklich fair. Da ist zum einem das Licht, das einen wie in einem Kosmetik-Salon blass und müde aussehen lässt. Dann diese 5 Meter Weg zur Garderobe ließen alle Rückschlüsse aus der Körpersprache zu. Und wie einer sein T-Shirt oder Jacke auszieht, lässt mich auch gleich immer die Wohnungseinrichtung mit sehen.

Nicht immer schön.

Wie junge Fohlen waren fast alle uneingeschränkt nervös, diesen Centre Stage zu betreten. Das T-Shirt-zupfen und Haare-glatt-streichen nahm kein Ende. Bei jungen Hunden nennt mann das wohl "Übersprungsverhalten".

Aber wie immer schon, ist in Amsterdam kaum etwas jung.

Not 20 Something. Not 30 Something. It is more 40 Something. Alle trainiert. Zu mindestens im schwulen Duathlon: Brust und Bizeps.

Brav sind alle in den richtigen Label-Shirts und –Trousers erschienen. Stunden voller „Qual der Wahl“ vor dem Spiegel. Welches T-Shirt soll es denn nun sein? Und nach 5 Metern auf dem Center Stage, gibt mann es dann gleich wieder an der Garderobe ab.

Seltsam. Köln ist die Stadt der 20 Something.

Gibt es da vielleicht eine Strafversetzung, wenn mann als Gay-Youngster zu viel und zu lange Mascara und D-Squared in Köln getragen hat? Direkt in das Warmosstraat-Lager! Kaum ist mann in dieses Lager versetzt, bekommt mann als Willkommens-Geschenk: ein verderbtes, vernarbtes und eingefallendes Gesicht.

Zu mindestens denke ich das, als ich zwei Stunden auf der Treppe sitze und den Zug der Seelenlosen an mir vorbei ziehen lasse.

Ich vermute ja, dass das Salvation als Party im Escape diese strengen Drogen-Kontrollen an der Tür nur macht, um seine hauseigenen Dealer, die durch die Hintertür rein kommen, ein Monopol-Gewinn zu ermöglichen.

Denn ALLE bei der Salvation sind drauf.

Das Escape ist ein 20 Meter hoher Würfel mit einem 1 Meter hohen und 10 Meter langen Cat-Walk in der Mitte. All die kleinen Schwuppen lieben es hier drauf zu tanzen. Endlich sehen sie mal über andere hinweg. Endlich werden sie gesehen.

Und wenn mann da so auf der Treppe sitzt, fällt einem auch auf, das es so etwa wie eine Schwule Apartheid gibt. An der Garderobe sind wunderschöne Frauen. Die Glas- und Flaschensammler sind Heten. Offensichtliche Schwulenhasser. Die Bartender sind auch froh, dass sie die Bar zwischen sich und dem schwulen Pack haben.

Aber nachdem die 40 Something brav ihr Geld in die RICHTIGEN Bekleidungs-Einzelhandelsläden getragen haben, das RICHTIGE Sportstudio besucht haben und die RICHTIGEN und Wichtigen gegrüßt haben, zahlen sie auch noch dafür, das die Heten mal für sie arbeiten.

Wer 1000 Prozent Gewinnmarge ermöglicht wird gemocht. Oder ?

Nach den 2 Stunden, bin ich dann auch mal von der Treppe, in den Würfel gegangen.

Und da war sie: die Salvation Army!

Strikt organisiert. Uniform. Mit klaren militärischen Rängen und Kasten. Gestaffelt nach Titten-Zentimetern und Schwanzlänge. Aktiv und Passiv. Fashion, Butch & Camp. Ganz unten in der Hierarchie stehen die Hässlichen, Tucken und Kleinen. Dann kommen die Unteroffiziere: frisch trainieret, aber noch nicht massig. Dann die, die auf der Centre Stage sich gleich getraut haben ihr T-Shirt auszuziehen.

Geführt wird die Truppe, von Menschen die einen Leberschaden haben. Nach alle den Steroids. Husten dürften die Führer auch haben. Denn sie trinken Hustensaft, um die Körpertemperatur zu erhöhen. Instant Fat Burning.

Alle. Wirklich Alle. Sind pure Energiefresser.

Einem Drogenabhängigem gleich, sucht jeder nach Männern die Energie ausstrahlen. Sie quasi verschenken. Diese Männer sind die Hofnarren der Salvation Army. Es sind die, die ein echtes Lachen haben, aus reinem Herzen tanzen oder Augenpaare ihr eigen nennen, die mehr erzählen und versprechen, als alle Karl-May-Bücher zusammen.

Sie stehen außerhalb der Hierarchie und Kasten. Sie sind, ohne das sie es wissen, die Droge, nach dem sich die anderen sehnen. Und weil sie das nicht wissen, fühlen sie sich außen vor. Und tun über die Zeit hinweg alles, um dazu zu gehören.

Und je mehr sie dazu gehören durch Kleidung, Drogen und Leberverzicht, um so eher werden auch sie: zu Energiefressern.

Neue Rekruten für die Salvation Army.

Als moderne Vampire saugen sie mit ihren Kameraden zusammen nicht Blut, sondern Energie. Lebensenergie.

Wenn mann das so sieht, mit der Salvation Vampire Army, versteht mann auch warum es immer mehr werden.

Salvation heißt Heil.

Diese Armee bringt keine Salvation. Sie ist wie das schwarze Loch im Gay-Universum. Sie schluckt alle Energie mit der sie in Kontakt kommt.

Amsterdam 06.09.03

05.09.2003

Allein. (1. Reisebericht aus Amstderdam)

Allein.

Ich sitze im Zug. Zwischen Köln und Amsterdam. Ein Großraumabteil voller Menschen aus einem B-Movie, der schlechtesten Art.

Laut, geschwätzig, hässlich und am schlimmsten: ohne Geschmack. Ich werde nie mehr über die Mascara-Tucken aus Cölle schimpfen. Die gemeine Haus-Hete an für sich, kann schon hässlich sein.

Laut ist ihr unnötiges Geschwätz über Hochzeitsgeschenke oder Bundeswehrerlebnisse. Da ist mir der laute Türke schon lieber, der seit Düsseldorf seine Worte auf sein Handy drischt. Wir sind in Utrecht! Und seit 1 ½ Stunden hat sein Gesprächspartner nicht eine Chance, ein Wort zu sagen. Gut das ich kein Türkisch verstehe.

In solchen Momenten liebe ich es meinen MP3-Luxus auf volle Lautstärke auszuleben.

Uhiiiii. Da sitzen diagonal rechts von mir zwei ... Frauen. Sie sind eine Mischung aus Baccara und „Deutschland-sucht -den-Superstar-Juillet-und-Gracia“ (Erster Runde !). Nur sie sind doppelt so alt und doppelt so faltig. Von Styling und Make-up zu viel und vom Lady sein, zu wenig. Sie sehen aus, wie eine „Saure-Regen-Kiefer“ die mit Weihnachtsschmuck behangen ist. Ihr Versuch Aufmerksamkeit zu erzielen unterscheidet nicht nach Bewunderung oder Verdammung.

Als Schwuler ist ihr Balz-Ritual nur lächerlich für mich. Kein Wunder das wir Schwulen oft als lächerlich bei den Heten gelten.

Vielleicht sollten sie wie im Brecht-Theater anstatt eine s Bühnekostüms nur ein Schild um den Hals tragen: Fick mich! Dann könnten sie sich auch die teueren und hässlichen Klamotten sparen und meine Netzhaut schonen. Wahrscheinlich ist das auch keine schlechte Idee für die Mascara-Tucken.

Aber da sitze ich nun mal im Zug. Wie immer lesend: UN-Report, Psychologie Heute, T-Systems Intranet Seiten und eine Fotoband.

Es gibt kein Platz, keine Zeit, kein Raum, wo ich mehr bei mir bin, als beim Reisen. Allein und mit meinen Gedanken in einsamer Geselligkeit.

Geht der Zug 1, 2 oder 3 Stunden. Egal. Auf solchen Reisen bin ich im Flow. Ich lese, denke. Jenseits meins Körpers und seiner Zeichen. Flow ist ein Zustand bei dem und durch dem man Raum, Zeit, seinen Körper und sich selbst vergisst.

Bei meiner Dreifaltigkeit des Online-Zeitalters: Chat, Era, Job; bin ich aufs peinlichste darauf bedacht, nicht alleine zu sein. Ich müsste mich ja mit mir selbst beschäftigen. Ich verweigere die Arbeit der Selbsterkenntnis und meide die Konfrontation mit meinen Gefühlen.

Lieber fliehe ich in die Geschäftigkeit, bin rastlos auf der Suche nach neunen Reizen. Selbst wenn es nur ein Anästhetikum ist, wie Fernsehen.

Und Selbsterkenntnis wird mir auch nur wirklich bewusst, wenn ich sie ausspreche. Also, mit jemandem bin.

Ich scheue das Alleinsein und sehne mich gleichzeitig danach. Meine Sucht nach Kommunikation und Erlebnis ist ungebrochen. Meine Dummheit meinen Körper dabei hinten anzustellen ist gleich geblieben. Sei es ein City-Trip, sein es CSD, sei es ein einfaches Wochenende. Tag und Nacht haben busy zu sein. Party, Kultur und Gespräch. Sex statt Abenteuer. Bis ich nahezu zusammenbreche und endlich die Ruhe zulasse.

Mit 36 Jahren gestehe ich mir doch ein, das die Zeit, wo ich allein sein will und auch allein sein muss, immer größer wird. Die Zeit für Battery-Recharge. Nicht zu verwechseln mit der Zeit in der man einsam ist. Nicht weil körperlicher Verfall das bedingt. Wie das WWW steigt die Anzahl der Verlinkungen in meinem Be- und Unterbewusstsein exponentiell an. Braucht mein Prozessor mehr und mehr Rechenzeit, um die ganze Komplexität zu erfassen.

Das ich in dem Großraumwagen der DB überhaupt was wahrnehme ist verwunderlich. Kein einziges mal schaue ich aus dem Fenster. Sehe keine Landschaft der Stadt. Suche mir eine Reihe ohne Nachbar. Ich bin ja immerhin Bahn

Comfort Kunde. Also, meine Kilometer in der Bahn sind größer als die Anzahl von Milchkaffees im Era. Kaum betrete ich einen Großraumwagen, fange ich an zu lesen, zu lesen und lese. Stundenlang. Nehme nichts wahr. Konzentriere mich auf den Stapel den ich mir vorgenommen habe.

Diese Konzentration ist so wohltuend. Sie lässt keinen Zweifel, keine Langweile, keine Kritik und keine Fehler zu. Werder von andern, noch von mir selbst. Ein glücklicher Zustand.

Eine Sucht zwingt einen zu etwas hin. Meine Lebenssucht bringt mich von etwas weg. Weg von der Beschäftigung mit mir selbst. In diesem Zug zwischen Köln und Amsterdam bekenne ich mir dazu, dass all meine Reisen bei den ich allein bin, Flow sind. Und wie ein bei allem nutze ich dieses Flow um den Turbo einzuschalten, bei der Arbeit mit mir selbst.

Flow ist purer Alpha-Zustand des Gehirns. Deswegen sind die Reisen im Job und in der Freizeit für mich eine große Gnade. Voller Aufmerksamkeit. Voller Assoziationen. Voller Erkenntnis.

Was mache ich falsch? Was soll ich machen, damit ich dies auch zu Hause habe?

Vielleicht sollte ich den Türken, Juillet und Gracia fragen, ob sie mit mir nach Köln zurück kommen?

Köln, Amsterdam 5.09.03

02.09.2003

Waagen werden geeicht. (4. Reisebericht aus Wien)

Waagen werden geeicht.
Uhren gestellt.
Messer geschärft.
Und ich fliege nach Wien.

Als westlichste Stadt des Ostens, ist Wien viel mehr Ostblock als Prag,
Warschau und sonstige Städte.

Als verwöhnte Hard-Core-Reisetucke, habe ich ja schon viel gesehen und
mir auch sonst viel Mühe gegeben. Und dann komme ich nach Wien!

Aus dem Licht, ins Dunkel.
Aus dem Rokoko in den Klassizismus.
Aus dem blühenden Garten, auf den Acker.

Und nach zwei Tagen ist mann dankbar.

Für Menschen die sich mühe geben.
Für Männer die zu mindestens in Frage kommen.
Für Sex der wenigstens ansatzweise Hauptstadt-Charakter hat.

Gut es gibt die Kunst. Wien hat ja sonst keine Bodenschätze. Und das Museumsquartier ist schon eins der schönsten Museumslandschaften.

Gut das Cafe Berg gefällt mir schon sehr gut. Kaffeehaus-Kultur ist halt auch Kultur.

Aber dann am Samstag Abend im Chains,.. pardon Lo:sch.

Das Lo:sch hatte Geburtstag. Fünf Jahre. 200 Mann aus Wien, Kärnten, Graz und Slowenien.

Alleine schon die Adresse: Fünfhausgasse. Es ist im Keller eines Hetero-Puffs im 7. Bezirk. Knapp hinter einem Luftschutz-Flackturm der
aus dem WK II.

Als wir aus dem Taxi gestiegen sind, haben die Mädels gerade ihre gewerkschaftliche Pause gemacht. Und ihrer Titten zum lüften aus dem Fenster hängen gelassen. Die Begrüßung als wir aus dem Taxi in Gummi, Army, Leder und sonst wie stiegen, kannst Du Dir ja vorstellen....

Ok Walter - mein Gastgeber - ist Architekt. Und als Schatten-Präsidentin des LMC Vienna hat er denn Keller auf strickte Funktionalität getrimmt.

Aber die Absonderlichkeiten hatte ich mir eigentlich im Naturhistorischen Museum ansehen wollen. Aber nicht lebend. Und nicht Samstag Nacht. Wobei man schon sagen kann das das Natur- und das
Kunsthistorische Museum wunderschön ist in Wien.

Als sorgsamer Gastgeber hatte Walter zur Vorbereitung des Abends ein Dinner gegeben. Ein Österreichisches, Slowenisches, Spanisches und Bundesdeutsches Dinner zu Acht.

Gut das wir alle schwul sind und nicht in vier Sprachen über das Wetter sprechen mussten. Sondern natürlich über Sex. Und glaub bloß nicht das ich mich verzählt habe. Das Wienerisch an für sich und im besonderen.... ist ..... besonders...

Nach dem Kostümball im Lo:sch im Hinterhof-Sissi-Ballkeller, sind wir noch ins Nightshift.

Das ist so wie das Chains am Freitag. Also Schulz-Jugendgruppen, Lycra-T-Shirts und Lo:Sch-Enttäuschte.

In jeder Stadt der Welt spotten wir ja gern über die Barmänner. Wien hat da was besonders zu bieten. Im Nightshift ist es Regi.

69,175,124,w.

Also 69 Jahre alte, 175 cm groß, 124 Kilo leicht und eine ECHTE Frau. Obwohl sie butcher ist, als alle Kerle zusammen.

Wir sind um 4 Uhr dort eingefallen. Im Lo:sch MUSSTE ich schließlich trinken. Und im Obstsalat vom Dinner war mehr Schnaps, als ich je in meinem Leben getrunken hatte.

Da fiel es mir auf das ich Alexander schon mehr als 12 Jahre kannte. Alexander ist der andere Freund denn ich in Wien besuche.

Und kaum waren es 5 Uhr hatte ich schon einen neuen Freund.

Für 30 Minuten.

Anyway, wie die Waage gehe ich jetzt wieder genauer. Wie die Uhr bin ich exakt. Wie das Messer wieder scharf.

Danke Wien.

Jetzt bin ich für Köln wieder bereit.

01.09.2003

Museums - Toiletten. (3. Reisebeicht aus Wien)

Eine gute Ausstellung, weckt eine Sehnsucht.

Oder eröffnet eine neue Perspektive.

Die Albertina in Wien hat meine Sehnsucht nach Paris erneut entfacht.

Sie zeigt, Monsieur Brassai. Fotografien aus dem Buch „Paris de Nuit“. Fotografien aus den 30’ern. Fotografien nur mit Magnesium-Blitze „gemalt“.

Jenseits des Kitsches und der Romantik eines Robert Doisneau.

Brassai hat in Paris nur bei Nacht gelebt. Und nur nachts fotografiert.

Und so sind seine Bilder voller Menschen der Nacht: Nutten, Halunken, Clochards, Nachteulen, Verliebte.

Eine große Freude in diese Bilder zu tauchen, ja abzusteigen.




Die Ausstellung ist im Keller der Albertina. Modern. Sachlich. Funktionell. Doch trotzdem warm.

Man erreicht sie nur durch eine sehr lange und steile Rolltreppe. Die durch eine Röhre geht. Die Wände der Röhre, könnten auch die Wände des Hallodecks der Enterprise sein. Graues Glas, von hinten beleuchtet. Und so wird das Absteigen in die Bilder wörtlich. Wie ein Grubenbauer „fahre ich ein“, in die Kunst der modernen Fotografie.

Die Albertina ist hinter der Hofburg. Im ersten Bezirk. Dem Heiligtum, Wiens. Wo jeder Pflasterstein als Zeitgeschichte vehement verteidigt wird. So ist der erste Bezirk ein gigantisches Freilichtmuseum. Um in diesem Bezirk, was Modernes an Architektur zu sehen, muss man schon in den Untergrund.

Der 1. und 2. Stock der Albertina ist das große Gegenteil zum Keller. Eine Bastei, als vorspringender Teil der Hofburg. Mit fast nur Gängen und Stiegenhäusern. Wunderschöne, schnörkellose Säulengänge. Voller warmer Klassizismus.

Die gezeigten Zeichnungen von Dürrer bis Schiele sind ... nett.

Aber das Parkett der Prachträume ist atemberaubend. Jeder Raum hat sein eigenes Parket, sein eigenes Muster. Grafik. Ornament. Geometrisch. Alles kommt vor. Alles hat seinen eigenen Raum.




Als ich meine Augen vom Boden wand und zur Toilette schritt, musste ich wieder in den Keller. Und als Majestät auf dem Thron, viel mir auf, das die modernsten und schönsten Toiletten in Museen sind.

Das Albertina spiel mit automatischen Türen.

Das Guggenheim in Berlin mit Chrom.

Der Erweiterungsbau des Van Gogh in Amsterdam mit der Dunkelheit.

Freude, entsteht ja durch Erleichterung. Als „Partykeller“ der Hofburg, diente die Albertina ausschließlich der Freude, dem Tanz und dem Vergnügen der Ersten Gesellschaft Wiens. Diese Erleichterung folgend, ist der Bau perfekter Schein und diente Franz-Josef gut.

Zufällig treffe ich ihn im Foyer: Tim.

Er ist aus Köln. Wohnt keine 100 Meter von mir. Wir sehen uns aber vornehmlich in anderen Städten. Hamburg. Berlin. Oder jetzt halt Wien.

Wir essen zusammen im Restaurant der Albertina.

Perfekte Moderne, im warmen Licht. Eine 20 Meter Bar aus schwarzem Granit mit feinen, weißen Farbfäden gesprenkelt. Braun-rote Kirchholz-Vertäfelungen an den Wänden. In den ersten Metern, 3 Ufo-förmige, riesige Lampen. Im hinteren Teil ist die Decke mit gelben Glasquadraten bedeckt. Ihr Licht lassen mich aussehen, wie keine Make-up-Artist der Welt es schaffen könnte. Oder Chirurg. Ich werde öfters hier essen gehen.

Von meinem Platz sehe ich durch große Spiegel an der Wand, staunend auf Reproduktionen von Zeichnungen von Schiele. Eine Nackter Mann. Eine nackte Frau. Beide Zeichnung sind zwischen den Zeiten. Wie das Restaurant. Zwischen der Vergangenheit des 1. und des 2. Stocks. Und der Modernen im Keller.

Wie auch Wien.

Vielleicht hätte ich mich mit ihm zum Abschied verabreden sollen? In Paris? Bei Nacht? In einem Museum? Auf einer Toilette?

Nein. Zufälle sind immer noch besser.

Wien. 1.September 2003