27.09.2010

Apocalypse Istanbul



Ich bin nicht so weit davon entfernt. Von meiner Apocalypse Istanbul. Jeder der den Film Apocalypse Now gesehen hat, wird sich sicherlich an die Szene erinnern in der die Hauptfigur „Captain Willard“, alias Martin Sheen, im Hotelzimmer viele tausend  Kilometer Entfernt von Kansas mitten in Süd-Vietnam in einem Hotelzimmer „gefangen“ ist.

In diesem Hotelzimmer kämpft er seinen ganz eigenen Krieg. Den Krieg zwischen seinen Erinnerungen von zu Hause und seine moralischen Verfehlungen auf der anderen Seite. Mit den Ängsten über die nahe Zukunft und seinen Auftrag hier vor Ort. Den Auftrag den abtrünnigen, angeblich wahnsinnig gewordenen US-Colonel Kurtz zu töten.

Istanbul (Pic als Internet Link)
Dieser durchgeknallte und desertierte US-Colonel hatte sich im Dschungel zwischen Nord und Süd-Vietnam eine Privatarmee aufgebaut, um eine privaten Krieg zu führen. Einen Krieg im Vietnam-Krieg.
Und die Kamera verlässt das stickige und überhitze Zimmer nicht und nimmt uns mit zu den Auswirkungen von Drogen, Alkohol, Angst. Und auch zu dem Schlimmsten, der Sehnsucht und dem Selbstzweifel.
Hier in seinem Hotelzimmer bleibt alles stehen. Zeit, Raum, Geschichte und sein Leben. Alle Regeln und soziale Gepflogenheiten verwildern. Unkraut und Moos wächst durch das brüchige Korsett , dass wir Zivilisation nennen. Und wir sehen diesem Captain Willard zu, wie er wieder zum Tier wird, oder besser gesagt sich reduziert, zu seinem „Es“, wie Freud es nennen würde.

Ich bin nicht so weit davon entfernt. Aber ich liege nicht in Vietnam in einem Hotelbett und ich habe nicht einen solchen Auftrag.

Stadtteile von Istanbul (Pic als Internet Link)
Ich liege in einem Hotelzimmer in Istanbul. In der Altstadt im Viertel Emiönü. Keine 800 Meter von der Blauen Mosche entfernt  Mit dem Licht des Morgengrauens bin ich in einem Taxi in die Stadt gefahren und hatte mit in der Ruhe und der Einsamkeit der frühen Stunde, die wichtigsten  Denkmäler schon erarbeitet.
Zu spätern Stunden sieht man vor lauter Touristen nämlich schon nicht mehr die Denkmäler und Moschen. Zwischen der Blauen Mosche und der Universität bildet sich die Altstadt ab, die heute vornehmlich aus Hotels für Touristen besteht. Und noch nicht vor all zu langer Zeit nur Holzhäuser kannt.

In einem solchen Hotel liege ich in meinem Zimmer. „Kitschig eingeräumte Gefängniszelle“ trifft es glaube ich am besten. Ich habe Respekt davor mir diese Wahnsinnsstadt zu erobern, die sich immerhin auf zwei Kontinenten ausbreitet und 16 Million Mensch in sich aufsaugt.. Vielleicht sollte ich einfach hier bleiben im Zimmer und die Ruhe und die Einsamkeit genießen. Ganz ungestört sein vom Alltag und von sozialen Verpflichtungen. Ja, selbst vor der eigenen Routine und den eigenen Gewohnheiten sich lösen.

„Captain Willard“ bereitet sich auf seine Reise in den Dschungel vor, indem er die Militärakte von Colonel Kurtz studiert. Ich schaue stattdessen ins Internet. Ich taste mich in die neue Welt nur virtuell vor. Wie sonst bei keiner Städtereise, habe ich Hemmung das Abenteuer zu beginnen.
 Istanbul (Pic als Internet Link)

Aber virtuell geht es einfacher. Und schon bin ich auf der Reise ins Innere von Istanbul. Wie der Captain reise ich mit dem „Boot“ immer tiefer und tiefer in das Landes innere. Das „Boot“ fährt den Fluss rauf immer tiefer in den Dschungel. Als Symbol des Unbekannten und eines Ortes ohne Regeln und Gesetz.
Mein „Boot“ sind die Menschen aus dem Internet. Erkan. Nennen wir ihn einfach mal so, hat ein Profil bei Gay Romeo. Kein blaues Profil, sondern ein goldenes Profil. Und so kommt Erkan zu mir ins Hotel, das gefühlt in der Mitte von 10 Moschen liegt. Der Schatten der Religion hat unser Vergnügen nicht geschmälert. Und ich finde Sex während vom draußen die ganze Zeit zum Gebet gerufen, oder besser gesagt geschrien wird, ein wichtiges politische Signal. Homosexueller Sex umso mehr. Nur auf das eigene Schreien habe ich verzichtet.

Mit einer Karte und einem Metroplan, erobere ich mir eigentlich ganz allein, jede noch so große Metropole. Aber so ein persönlicher Stadtführer ist einfach praktisch. Zumal dieser spezielle Führer mir alles zeigt, was in keinem Stadtführer steht und auf keiner Webpage zu finden ist. Wir lernen seine Freunde kennen. Sind zum richtigen Zeit am richtigen Ort. Etwas was in einer fremden Stadt immer das Schwerste ist. Zumal wenn sie 16 Million Menschen hat. Ich hatte meinen Führer für mein Boot gefunden, der mich auf dem Fluss durch diesen  Dschungel führt.

Sein goldenes Profil hat mich nur dann etwas gekostet, wenn wir ein Taxi eine Bahn nutzten oder Essen gingen. Zwei Tage führt er mich durch die Stadt zu Türkischen Cafes, Türkischen Hamams, feiert private Feiern mit seinen engsten Freunden und mir. All diese Stationen haben auch immer den Zauber von unserem ersten Treffen. Immer auch die Magie der Lust und Befriedigung.

Zwei Tage lang fahre ich mit Erkan, mehr und mehr  flussaufwärts in dem Dschungel namens Istanbul. Immer tiefer in den Dschungel. Immer mehr dem Ort entgegen ohne Regeln und Gesetz.

Tarlabaşı Blv in Istanbul (Pic als Internet Link)
In diesen zwei Tagen sauge ich das Chaos, den Schmutz und die nicht endenden  verwinkelten Straßen in mir auf. Die niemals abnehmende Masse an Menschen und Lärm. Lärm ist hier Grundnahrungsmittel. Insbesondere im Viertel Beyoğlu, dem Viertel von Istanbul mit all den Läden und Cafes und Restaurants, das noch auf der  Europäischen Seite ist. Und das auch einem das Gefühl gibt, noch in Europa zu sein. Rund um den Taksim Platz und dem Tarlabaşı Blv als Fußgängerzone gegen kleine Gassen wie kleine Universen, voll mit Bars, Straßenmusik, billigsten Läden und fantastischen Bazaren um etwas zu essen. Alles immer mehr auf der Straße, als an der Straße.

Und hier in Istanbul passiert das Gleiche wie immer auf meinen Städtereisen. Nicht das Neue in der Stadt findet mich. Sondern ich finde das Neue in mir. Wie Willard und seine Crew auf dem Boot kümmere ich mich erst mal um die Grundbedürfnisse. Erkan verkauft Brot. Brot am Tag und in der Nacht sich selbst. Wer so intensiv mit Grundbedürfnissen zu tun hat, kennt alle Seiten einer Stadt. Schaut auch hinter den Vorhang. Auch da wo es dreckig ist.

Das Licht fällt durch 12 keine runde Aussparrungen in der Kuppel in das Hamam. Soviel ist sicher, dies ist eines der übelsten Hamams der Stadt. Erkan hat mich hier hin gebracht, weil ich ihn gebeten habe mir ein Hamam zu zeigen, wo auch schwules Leben drin vorkommt..

Notdürftig mit einem Handtuch bedeckt, liege ich auf dem Heißen Stein und folge mit meinen Augen der Sonne, wie sie langsam Erkan mit Licht überdeckt. Er liegt mir gegenüber und ich habe zum ersten Mal Zeit und die Muße mir ihn ganz genau anzuschauen.

Sein drahtigen Körper. Seine Dunklen Augen. Seine kräftigen Unterarme und seine großen Hände. Erkan sticht immer heraus in meinem Auge, egal wie viele Menschen um ihn herum sind. Aber in dieser hässlichen Umgebung, mit all diesen alten, fetten, aufdringlichen und verklemmten Türkischen Männern sieht er umso schöner und reiner aus.

 Hamam in Istanbul (Pic als Internet Link)
Leicht geht der Dampf durch das Hamam. Noch nicht ganz habe ich alle Räume gefunden, geschweige den erstürmt. Mir fällt nur auf, dass alle Herren durch alle Räume gehen. Und über all auch mal versuchen nicht nur zu schwitzen, sondern auch … sagen wir mal ins Gespräch zu kommen. Aber in einen Raum geht keiner rein. Ein Raum scheint tabu. Und genau in diese Raum zieht es mich wie wild. Zieht es mich, weil ich weiß, dass dies das Ende meiner Reise auf dem Fluss durch den Dschungel ist. Das Ziel meiner Mission. Hier ist es dunkler als sonst im Hamam. Besonders viel Dampf und kaum Dachluken. lassen hier dem Licht kaum eine Chance. Erst langsam erkenne ich, dass ich hier nicht alleine bin. Ein Mann so groß und so gebaut, als wäre er vom Marine Corps sitze gelassen auf dem Heißen Stein. Er nimmt mich nicht war und wäscht sich fein säuberlich mit dem typischen Hamam Waschlappen. Gründlich und in Seelenruhe.


Ich setzte mich auf den Heißen Stein direkt ihm gegenüber und schweige in an. „Was hat wohl Hitler gedacht bei seinem letzten Tag im Bunker?“ Das ist die Frage mit der der Mann das Schweigen bricht. Durch die Art wie er sich wäscht, sehe ich das er nicht nur sehr hervorragend trainiert und noch besser gebaut ist, sondern auch das er ganz offensichtlich gerade kampfsportartige Bewegungen macht. „Das ihn seine Bähungen noch umbringen werden.“, antwortet ich. Und damit beginnt eine Konversation, die bei Hitler startet über die deutsche Romantik bis hin zum Osmanischen Reich geht. Alles auf Englisch. Dieser Mann ist ganz offensichtlich sehr gebildet. 

 Hamam in Istanbul (Pic als Internet Link)
Lange und detaillierte Minuten später steht der Mann auf und stellt sich ganz nah vor mich. Sicherlich knapp 190 Meter groß, fragt er mich nach den Sportarten die ich gemacht habe. Ich fühle mich von der spontanen Nähe bedroht. Die Situation wird nahezu zum zerreißen gespannt und grotesk. Kurz schau ich aus dem Raum raus und kalkuliere, ob es sich lohnt nach Hilfe zu rufen.

Da beginnt der Mann seinen Tanz mit mir. Der Heiße Stein ist hart und naß, aber er gibt uns die Unterlage für unser Spiel. Und das Spiel wird mit harten Bandagen gespielt. Ist mehr Kampf als Sex. Ist mehr erobern, als hingeben. Mal führt er, mal führe ich.

Kaum ziehe ich mich wieder an,  kommt Erkan zu mir und stellt fest: „Wie ich sehe hattest du die Ehre den Amerikaner zu treffen!“. Ich bejahe und frage Erkan nach dem Namen von dem Amerikaner. „Er heißt Kurtz!“