25.09.2004

Die Liebe.

„Warum erkennen wir nie den Moment wo Liebe anfängt, aber immer den Moment, wo sie aufhört?

Steve Martin sagt dies in seinem Film LA Story. Und vielleicht habe ja all die recht, die sagen, das Komiker, die eigentlichen Philosophen sind. Dann wären die Komiker die echten Könige. Zumal Liebe am längsten hält, wenn sie nicht auf Sex, nicht auf Geld, nicht auf Macht und auch nicht auf Abhängigkeit basiert. Sondern auf Lachen. Bringt mann den anderen zum lachen, gewinnt mann ihn. Diese Eigenschaft hält einen wohl länger zusammen, als alles andere. Dann hätten Komiker beides: Weisheit und Liebe!

Der Philosoph Rousseau war der Meinung, das jede Gesellschaft damit beginnt das zwei einsehen, das sie gemeinsam mehr haben, als allein. Egal was das Eine auch sein mag. Und so schließen sie ein Vertrag. Sie tauschen. Und dann kommt ein Dritter. Und eine Vierter. Und alle bekommen etwas und geben etwas. Ein Gesellschaftsvertrag entsteht.

Das ist für mich Liebe. Jemand finden. Jemanden dem mann etwas geben will und von dem mann etwas will. Liebe ist also ein Prozess des Suchens. Nicht Zeitpunkt, sondern Zeitraum.

Nur das Problem ist, das wir nicht wissen was wir wollen. Oder zu einer anderen Zeit etwas geben wollen, als der andere bereit ist, was zu nehmen.

Ja, ich weiß, dass das sehr materialistisch klingt. Aber ich glaube ja auch nicht an so was wie Altruismus. Selbst Menschen wie Gandi, Mutter Theresa oder Franz von Assisi, hatten ein Interesse: Recht haben oder Recht bekommen. Anerkennung. Oder einfach ein gutes Gefühl: zu meinen das Richtige zu tun.

"Now you got the best of me - common and take the rest of me...oh baby!"

Diese geheime Hoffnung, wie Barry White sie besingt, haben alle. Auch die, die angeblich Altruisten sind. Nur dieser Hoffnung steht die blanke Realität entgegen. Francois de La Rochefoucauld meint hierzu:

„Wahre Liebe ist wie eine Geistererscheinung: Jeder spricht von ihr, aber kaum einer hat sie je zu Gesicht bekommen.“

Kein Wunder, den die Liebe ist eine Erfindung. Eine Erfindung der Neuzeit. Nichts wäre einfacher, als sie durch so etwas antikviertes wie den guten alten Historischen Materialismus zu beweisen. Der bitter arme Marx hat damals in London, schon beschrieben, wie die Veränderung der Produktionsmethoden die Gesellschaft verändert. Bis hin zu der Familienplanung und Schulausbildung. Je arbeitsteiliger, desto entfremdeter werden wir. Und je komplexer die Produktion, desto besser muss mann ausgebildet sein. Hier ist es dann zur Abwechslung auch nicht falsch, das „mann“ mit zwei „n“ zu schreiben. Denn Wissen und Bildung war damals den Männern vorbehalten. Und so kam mann auf die Liebe, als romantisches Mittel, das die Frauen nicht wegsterben.

Und heue sind wir in unseren Produktionsmethoden so weit, das wir genug Zeit und Muße haben, uns nicht nur á la Maslow, um die unteren Bedürfnisse zu kümmern. Wie: Essen, Luft und Sex. Nein, wir können uns komplexeren Bedürfnisse hingeben. Annie Lennox fasst es so zusammen:

“Everybody's looking for something.

Some of them want to use you.

Some of them want to get used by you.

Some of them, want to abuse you.

Some of them, want to be abused.”

Ahhh. Ab dann wird es also psychologisch. Oder sollte ich pathologisch sagen. Denn die Liebe hat nicht nur ganze Bibliotheken gefüllt. Sondern auch Kriege ausgelöst. Und Menschen in den Tod geführt.

Alleine für Vaterlandsliebe und für die Liebe an den „richtigen“ Gott sind Millionen gestorben. Aber das ist nicht mein Thema. Mein Thema ist die Liebe als Sehnsucht. Eine Sucht in der Ferne, räumliche wie zeitlich. Sein Ideal zu suchen. Oder wie Cole Porter textete:

"Every time we say goodbye, I die a little. Every time we say goodbye, I wonder why, a little!?"

Jedes Buch, das eine glücklich Liebe beschreibt, ist fürchterlich dünn und langweilig. Denn glücklich Liebe ist glitschig wie eine Qualle. Keiner kann sie halten. Mal soll sie wie bei B. Midler romantisch sein:

"...will you dance with me under the moonlight...?"

Dann wieder wild und aufregend, wie bei Georgett Dee:

"Betrogene Frauen haben Probleme. DAS ist der Grund wofür Gott, Matrosen geschaffen hat."

Dann schlägt sie wieder um, in Resignation, wie bei Malediva:

"Liebe? Warum? Ich habe doch Freunde! ..."

Grundsätzlich glaube ich ja nicht an Unterschiede zwischen Schwulen und Heten. Aber wie jede Minderheit, haben auch die Schwulen, zwecks Arterhaltung, einfach nur ihre von der Majorität zugewiesenen Vorurteile, zur Stärke gemacht und nutzen sie zur Selbstindifikation. Diese Präambel des Schwulen Gettolebens ist der Sex.

"In dir ein edler Sklave ist, dem du die Freiheit schuldig bist."

(Matthias Claudius)

Eine Platinkarte bei Douglas; DAS angesagteste Sportstudio; Die Wahl des richtigen T-Shirts für die Nacht; Schwanzlänge; Bizepsumfang und Tittenkörbchengröße. Das sind die neuen Mauern der Großstadt Schwulengettos. Aber zwischen Autobahnparkplätzen und schwulen Saunen, haben wir schwule Männer vergessen, dass das Phänomen der Inflation auch für Sex gilt. Und so reicht es nicht mehr, möglichst viele Männer zu haben. Nein, es muss dann gleich noch ein Küchenhängeschrank mit rein geschoben werden.

"Ach was ist mann doch für ein simples Tier. Kaum hat mann mal mit zwei Herrn an einem Abend geknutscht, schon fühlt mann sich als König. Da nützt es auch nichts, am nächsten Tag die Carpenters zu hören. Mann fängt doch wieder als Bettler an..." (SH)

Wie bei einem Junkie, wird aber auch diese Droge langsam schal und ist nicht mehr genug. Es muss mehr her. Und die daher stammende vollständige, kommerzielle und moralische Fixierung auf Sex, unterscheidet uns von den Heten. Wobei die Heten Männer da eher voller Neid drauf schauen, als alles andere.

Aber wenn diese Inflation uns fest im Griff hat. Und die ganze Hetenwelt ja auch immer schwuler wird, dann bleibt die Liebe auf der Strecke. Und Georgett Dee sagt zu recht:

"Sentimentalität ist etwas, was nur die, die nicht lieben, empfinden."

Gerade die Schwulen wissen, das Liebe und Sex nicht immer zum gleichen Schuhpaar gehören. Ja, dass das eher die Ausnahme ist, als die Regel. Daher auch so viele schwulen Paare, die nach der Phase des verliebt sein, kaum noch mit ihrem Partner liebe machen, sondern die Miete teilen und ansonsten die reifen Früchte des Gettolebens in vollen Zügen kosten.

Kein Wunder das Hildegard Knef zum Vorbild wurde:

“Nicht alleine sein, doch frei sein.“

Und damit der Nachschub an Sex und Männern immer stimmt, sind wir verdammt zu der Lebensmaxime der weisen Georgett Dee:

"Lach - und die Welt lacht mit Dir!

Wein- und Du schläfst allein!"

Na dann wissen wir wenigstens, warum wir „gay“ sind. So, das wir nicht allein schlafen.

Tim Fischer fasst es zusammen mit:

"Ich glaube an die Liebe, aber nicht an die Treue."

Die Liebe zeigt sich für mich in Momenten, wie der großen Ruhe im Theater, wo ich bei der ergreifendsten Stelle des Stückes, kurz zu Seite zu meinem Verlobten schaue und er zärtlich seine Hand auf meinen Oberschenkel legt. Und in aller Stille, die Wärme dieser Hand mir Rast und Geborgenheit gibt.

"Und das Grau in Grau, wird auf einmal Blau, wie noch kein Blau jemals war."

(Cabaret)

Und die Liebe zeigt sich für mich in Momenten, wie bei dem Frühstück auf der Terrasse bei unserem Lieblingskaffee. Wo ich Kraft tanke, obwohl wir seit zwei Stunden kein Wort gesagt haben, weil wir beide unsere Wochenzeitschrift lesen und nur Blicke notwenig sind, um miteinander zu kommunizieren. Oder sagen wir zu mindestens um zu hetzen, über die übrigen Passanten.

Wie schnell ist nichts passiert!

(unknown)

Und die Liebe zeigt sich für mich in Momenten, wie an diesem besonderen Morgen. Wo die Sonne sich ins Zimmer schleicht und Ihre ersten Strahlen sich in den blonden Haaren seiner maskulinen Unterarme bricht. Wo der Duft seines Körpers und der Duft der Zärtlichkeit der gemeinsamen Nacht, das Parfum sein wird, was mann nie mehr im Leben vergessen mag.

Das Pendel schwingt zwischen: "In einem Meer von Zärtlichkeit ertrinken." und "Der Geilheit Untertan."

(SH)

Das ist das Ziel. Der Weg zur Liebe ist das Spannende. Und liebeskrank zu sein, kann ganz wörtlich sein. Denn der Bauch, als Plattform unserer gefühlten Emotionen, zerrt, schmerzt und zieht sich zusammen. Kaum das wir ihn sehen. ER, die Oase in der langen Suche nach Liebe. Und gequält von der Unsicherheit, das ER nicht das gleiche fühlt und mich zurück weißt, lässt mich schüttelt vor Angst. Schwitzend, Schüttelfrost gleich, trete ich ihm gegenüber. Und bange, dass es ihn auch so zu mir zieht, wie es mich zu ihm zieht.

“Something in the way he smile ...

Something in the way he move ...

Something.”

Und hat mann diese Unsicherheit überwunden und der Verlobte lässt sich ein auf das Abenteuer, quält der nächste Gedanke, das dieser Mann so wunderbar ist und das gewisse Etwas für mich hat, so wie Shirley Bassey es mit einem Beatles-Song ausdrückt.

Kann dieses Wunder mich Lieben? Kann er wirklich mich meinen? Bin ich es wert?

Erst wenn der Boden wieder da ist, der er mir unter den Füßen weggezogen hat. Erst wenn die Sturmflut der „Angst zurück gewiesen zu werden“ abgeflaut ist. Erst dann kommt mann in die Phase, in der mann der ganzen Welt, die es hören will oder auch nicht, dieses eine laute JA als Antwort auf all die Fragen entgegenschleudert.

Das sind die Momente, wo wir uns dabei erwischen, wie

„Singing and dancing in the rain”

für uns Wirklichkeit ist. Das sind die Momente, wo wir zu der Musik von ABBA laut und glücklich singend durch die Stadt schweben. Und es sind die Momente, wo wir jung, reich, intelligent sind und eine straffe Haut haben.

Und spontan verstehen wir auch den Unterschied zwischen Freiheit und Einsamkeit.

"Freiheit ist es,

wenn wir ihn los werden wollen.

Einsamkeit ist es,
wenn wir ihn vermissen."

(SH)

Und dann hat mann irgendwann keine Zeit mehr durch den Regen zu tanzen. Es regnet ja. Und irgendwann singt mann auch nicht mehr, nur weil ABBA gerade gespielt wird.

Und er größte Feind der Liebe, kommt um die Ecke. Es ist nicht die Eifersucht. Es ist nicht der Seitensprung. Nein, es ist die Langweile. Sie ist der wahre Feind jeder Liebe.

"Funny how a lonely day, can make a person say... What good is my life?"

(Shirley Bassey)

Und bevor mann sich versieht setzten die 6 Phasen der Trennung ein. In der Phase I gibt mann sich dem Selbstmitleid hin.

Wenn einem das Denken an für sich, zu sehr überkommt, dann kann mann auch im Bett bleiben. Und nimmt die Flasche einfach mit.

(Georgett Dee)

In der Phase II ist die Sehnsucht am stärksten.

"All the joy this world can give, doesn't give me anything, when you are not here." (Annie Lennox)

In der Phase III regiert der Hass. Dann wird der Ex-Schwiegermutter der Internetlink des Ex-Verlobten in Gayromeo per SMS zugesandt. Natürlich von dem Profil, dass den Ex-Verlobten als kleines passives, devotes Mäuschen zeigt. Außerdem schläft mann mit allen Männern, den der Ex-Verlobte mal gut fand oder einfach mal auf der Straße zufällig nachgeschaut hat. Und wenn mann schon dabei ist, geht mann rein zufällig mit dem Industriemagneten an seinem Laptop vorbei.

In Phase IV wird der Ex-Verlobte vollständig ignoriert und geleugnet. Auf Parties reagiert mann auf Nachfragen der Freunde, nach dem Verbleib des Verlobten mit Unverständnis. Nur weil mann glaubt, IHN auf der anderen Straßenseite gesehen zu haben, schaut mann sich plötzlich die Auslage des spießigen Porzellansladens an. Dabei sah der junge Mann auf der Straße, dem Ex noch nicht mal annährend ähnlich.

In der Phase V wird einem klar, was mann alles machen kann, jetzt wo der Verlobte mit Sack und Pack das Haus verlassen hat.

"Erst nachdem wir alles verloren habe, haben wir die Freiheit, alles zu tun."

(Tyler Durden, in Fight Club)

Dann wird fleißig unter der Bettdecke gepupzt. Mann kauft sich morgens ohne schlechtes Gewissen die Express, anstatt die FAZ. Und wenn es schon um Frühstück geht, bleiben manche Herrn dann auch mal über Nacht. Und werden zum frühen Stück gemacht.

In Phase VI haben wir nach 314 Therapeuten-Einzelsitzungen und 523 Milchkaffees mit guten Freunden alles verstanden und sind nach 3 ½ Jahren Trennung in der Lage, eine ECHTE Freundschaft mit dem Ex-Verlobten einzugehen.

"Winter, Spring, Summer or Fall. All you got to do is call."

(Caroal King)

All das ist der Weg der Liebe. So lesen wir es. So sehen wir es. So wünschen wir es. So brauchen wir es.

Schade nur wenn Tim Fischer für meine Realität spricht:

"Er küsst wie kein anderer und doch ist er allein wie keiner."

Doch egal was unser Herz uns sagt. Egal ob der Bauch sich krümmt. Eins ist in jeder Phase wahr:

We are beautiful. No matter what they say. Words can’t bring us down. We are beautiful. In every single way. So don’t you bring me down today! (A.C.)

In Liebe an meine Freunde!

Köln, der 25.09.2004

04.06.2004

Die dunkle Seite der Macht. (Reisebeicht aus Berlin Juni '04)

Die dunkle Seite der Macht

Ich werde Euch nicht langweilen. Mit Geschichten aus der Hauptstadt. Kein Sex in the City. Keine sageumwogenden CSD Erlebnisse. Oder üppige Kultur-Berichte.

Ich will berichten von der dunklen Seite der Macht. Diese Macht die in dieser Stadt so wütet. Ich sehe wie Menschen sterben. Stück für Stück. Und wie der kleine Junge im Film, kann ich auch tote Menschen sehen. Sie gehen durch diese Stadt. Ich habe sie gesehen.

Es ist 7 Uhr morgens. Ich stehe im New Action. Eine Eckkneipe in Berlin. Eine Lederbar die 365 Tage im Jahr auf hat und morgens um 9 Uhr am vollsten ist. Dreckig und dunkel. Voller Männer - die tot sind. Trotzdem bewegen sie sich von der Bar nach hinten zum Darkroom. Zombies der Nacht. Blutleere Gesichter. Aschfaule Haut. Von Herpes vernarbte Lippen. Teilnahmelose Augen. Einer liegt auf dem Barhocker ist zusammengesackt und liegt mit dem Rücken auf dem Flipperautomat. Besoffen. Hoffe ich. Daneben stehen zwei ausgemergelte Gestallten und schauen leer, in den nie müde werdende Fernseher, der Pornobilder ihnen entgegenschmeißt.

Neben dem Geruch von Pisse, Poppers und Moder, riecht es vor allen Dingen nach Einsamkeit. Und wie ich noch weiter eindringe in das Schwarze Loch Berlins, das Raum und Zeit verschwinden lässt, gehe ich vorbei an den Männer die auf Barhockern sitzen und so eine Art Spalier bilden.

Das Blut voller Hormone, deren Gefangene sie sind. Ledermänner. Skinns. Die Gelb-Fraktion ist auch schon da. Selbst der obligatorische dicke lüsterne Opa hält sich verkrampft an einem Barhocker fest.

Das ist auch Jens. Ich kenne ihn noch aus meiner Zeit bei der Bank24. Er war wie eine Lachen am Morgen. Eine echter Sonnenschein. Dieser Sonneschein ist auch noch da, ganz versteckt hinter dem letzten Winkel der Netzhaut. Seine straffe Haut ist nun schwach. Er hat den Geruch, eines Dachbodens, denn mann zum ersten mal nach 10 Jahren öffnet. Nach 10 Jahren Berlin, nach 10 Jahren voller Drogen, Ostgut und regelmäßigem FF-Nachmittagen, ist nur noch im letzten Winkel der Netzhaut, der Sonnenschein zu sehen. In mir ringen die Gefühle des Eckels und des Mitleids.

Als ich die Toiletten rechts neben mir gelassen habe und wieder atmen konnte, erschlug mich eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit. Eine Abstellkammer voller Männer. Hier war der Kern des schwarzen Lochs. Ein Handgemenge, das sich auf das eine reduzierte hat. Sex. Bare Sex. Natürlich. Keiner Spricht. Einige Stöhnen.

Vielleicht sagst Du, wenn Du das ließt: "Tja, Sascha. Wenn Du auch zum Metzger gehst, darfst Du Dich nicht beschweren, das Du nur totes Fleisch siehst.“

Portionsweise siehe ich diese tote Menschen aber die ganze Zeit in Berlin. Und auch wieder nicht. Weil ich sie nicht wahrnehmen will.

Ich sehe schon lange nicht mehr die alte Frau, die IMMER im Rollstuhl am Nollendorfer U-Bahn Hof sitzt und die Motz-Opdachlosen-Zeitung verkauft. Mehr im Koma, als wach. Ich zähle nicht mehr die Obdachlosen die mich ansprechen, während ich im Berio den super leckern Vanille-Quark esse.

Ich wundere mich auch nicht mehr, wenn neben mir im GMF der eben noch so attraktive Herr zusammenbricht. Und wegen eine Drogenüberdosis abtransportiert wird.

Und wenn ich im GMF steh und dieser putzige 22 jährige Neuseeländer, der mit seiner College-Klasse zu Besuch in Berlin ist, mich anspricht, bin ich zur erst noch sehr geschmeichelt. Zumal er wunderhübsch ist. Marke Surfertyp. Und weil er in Berlin und sein Koffer im Flieger nach Neuseeland zurück ist, steht er in seiner Schuluniform vor mir. Putzig! Und putzig wie er ist, tanze ich mit ihm. Aber bevor meine Hormone im Blut die Kommandobrücke endgültig übernehmen, merke ich, dass er, wie die meisten Berlin-Wochenend-Reisende, seinen Unterkiffer gar nicht mehr kontrollieren kann. Er kaut zur Musik von Madonna.

Und nachdem ich dieses Kokskind in der Natascha-Bar des GMF stehen gelassen habe, sehe ich ihn an diesem Abend mit 8 Männern knutschen. Und er geht ausgerecht mit dem Mann nach Haus, der immer von Köln nach Berlin fährt, damit keiner mitbekommt, das er bare kleine Junx fickt. Pech gehabt kleiner putziger Neuseeländer.

Und als ich bei der Siegessäule stehe und den vielen Herrn die Herren lieben nachsehe, die alle den fleißig den CSD feiern, ist das Entsetzten nur noch klein. Denn ich sehe viele Tote, die ich noch vor einem Jahr in Köln lebten und jetzt aussehen wie ein verwelkter Blumenstrauß.

Versteht mich nicht falsch. Ich weiß was ich an dieser Stadt mag. Ich habe kein Plan, keinen Termin. Ich gebe dem Zufall das Kommando. Erlaub dem Zufall mal richtig durchzuatmen und mal wieder wach zu werden. In Köln hat er strenges Stubenarrest.

Hier existiert Zeit nicht für mich und Regelmäßigkeit findet nicht statt. Ich habe Geld in der Tasche und Hormone im Blut. Bin neugierig und gut informiert.

Natürlich kann ich da Berlin lieben und Berlin liebt dann auch mich.

Nur die dunkle Seite der Macht macht mir Angst.

30.05.2004

Zauberberg. (Reisebeicht zum Mountain-Cup in Villard de Lands)

Ganz ruhig. Ich bin nicht größenwahnsinnig geworden. Nur weil ich ab und zu eine Email mit Reiseberichten sende, fühle ich mich nicht gleich als Thomas Mann. Ob wohl mir gerade auffällt, dass größenwahnsinnig eine sehr schöne deutsche Übersetzung für Size-Queen ist.


Villard de Lands ist ein Ort der vieles hinter sich hat und das Neue wenig schätzt. 1500 Meter über dem entfernt, was so an die Küsten Europas plätschert. Am Beginn der Französischen Alpen. Ein Wintersport-Dorf 80 km von Grenoble entfernt. Mitt in in einem anderen Leben, so um 1968, als Teil der damaligen Olympischen Spiele. Dieses Dorf ist für 5 Tage das, was bei Asterix und Obelix, das Dorf der Verrückten heißt. Über 140 Eisläufer- und tänzer, aus mehr als 14 Staaten. Von sehr bemüht bis sehr talentiert. Alles Erwachsene, die bescheuert genug sind für einen Sport, wo jeder sagt: „Du bist zu alt; Du bist zu dick; Du bist zu...“, ihren Urlaub, viel Geld, manche Träne und einige ihre Gesundheit zu investieren.

Die Grenze zwischen Talent und großem Mut ist hier sehr fließend.

Ein großen Hallo und die wildesten Reunion-Situationen gab es für die, die sich von den Gay Games Eiskunstlauf-Wettbewerben in Amsterdam und Sydney kannten. Und übertriebenes Cruising für die anderen: „Ist jemand hier, den ich lecker finde? Oder sogar jemand, der mich toll findet?“

Der Mountain-Cup, oder auch Cup de la Montaigne, ist zwar ein Heten–Turnier. Aber mein Trainer Phil hat mir erklärt, dass das nur heißt, dass die Frauen nicht lesbisch sind. Obwohl... Tina und Laura sind ja auch...

Aber egal WAS im Schlafzimmer so passiert, es gibt hier eine klare Hackordnung. Als erstes ist zu sagen, dass zu wenig bei fast allen Läufern und sicherlich bei all allen Läuferin im Schlafzimmer passiert. Aber neben dieser Feldstudie der Sublimierung, ist zu sagen, das hier von dem 22-jährigen-Segelohr-Littauer-still-in-the-closet bis zur 62-jährigen-Eis-Oma alles auf dem Eis läuft.

Die Hackordnung orientiert sich eindeutig an den Läuferischen-Fähigkeiten. Je besser mann läuft, desto eher wird mann gegrüßt. Je schlechter mann ist, desto eher muss mann sich mit einem „Oh, you are skating TOO“ zufrieden geben. Aber ich will nicht zu viel Lästern, denn zu dem Dorf der Verrückten gehöre ich ja auch.

Aber kommen wir mal zum Zauberberg. Nach 10 Stunden Autofahrt von Köln nach Grenoble, gingen die letzten 85 Kilometer, über gefährlichste Serpetienen, mit Kurven die enger und gefährlicher sind als die kantigsten Bewegungen von Richard Gere in American Gigolo. Und nicht genug das die strenge Dunkelheit der Alpen den „Aufstieg“ noch gefährlicher machte, begrüßte uns auch noch eine weitere Naturgewalt, das Gewitter. Und das, wo wir auch als Gefahrenguttransport durchgegangen wären. Neben dem Übergepäck, war alleine schon die Sammlung an Haarpflegeprodukten von Phil Grundwasser bedenklich. Zusätzlich hatten wir als Requisite für meine Eisshow, auch noch eine 1,5 große indische Göttin „Shiva“ auf dem Rücksitz. So das wir uns bei diesem starken Regen, bei unserer großen Erschöpfung und der kargen Landschaft der Berge (die nur im Lichtkegel von unserem betagtem Ford Passat zu sehen war) fühlten, wie eine Mischung aus Grabräubern und Mördern aus einem Argatha-Christe-Krimi.

Wir fuhren in das verlasse Dorf Villard de Lands und begannen sehnsüchtig mit der Suche nach unserem Hotel in diesem verwaisten Phantasialand. Phil hat es ausschließlich nach dem Namen ausgesucht: „Grand Hotel de Paris“ Und dann sahen wir auch zum ersten mal den Namen auf einem baufälligem Western-Salon, auf einem dreckigen Parkplatz. In Phil und mir brach eine Welt zusammen. Weder Grand, noch Paris! Nach dieser Schrecksekunde viel uns aber auf, dass dies nur der Wegweiser zum Hotel war.

Das Dorf lag zwar selbst zum fuße eine 2000’ners, hatte aber noch einen kleinen vorgelagerten Hügel. Und dort lag in der verregneten und rabenschwarzen Nacht unser Hotel. Eine Mischung aus Norman Bates Estate aus Psycho und dem glorreichen Charme des besten Hauses am Platz zur Olympiade 1968. Es verweigerte sich geschickt allen bekannten Architekturstilen und hat doch Charakter. Es war viel zu schön um als simples Berghotel durchzugehen und doch zu klein für ein Chalet. Und es war ganz wunderbar. Mit einer gewagten Eingangstreppe die ganz unfassbar, frühes Denver-Clan mit spätem Luis IV verband.

Und um diesen Hügel war etwas das ich schon Jahre nicht mehr kannte. ABSOLUTE Stille. Weder bedrohlich, noch voller Spannung. Einfache Stille.

Und so machten wir uns dran, unser Hutschachteln, Schlittschuhe und 32.000 T-Shirts auszuladen. Der Bell-Boy des Hotels (na ja, er ist mehr Rentner, als Boy) war ja sicherlich einiges gewöhnt. Aber als ich in dieser Gewitternacht meine 1,5 m große indische Göttin, die Denver-Clan Treppe hoch getragen habe, hat ihn wahrscheinlich nicht viel zurückgehalten die Polizei anzurufen.

Am nächsten Morgen wollten Phil und ich sofort erblinden, weil wir aus unseren Betten und durch das Fester die schönste Berglandschaft sahen und nie wieder was anders auf unsere Netzhaut lassen wollten. Außer vielleicht knackige Eisläufer...

Bald machten wir uns auf ins Dorf und trafen auf den entsprechenden Kaffeeterrassen viele der schon angereisten Eisdivas. Und ein Deja vu erfasste mich. Denn überall bildeten sich kleine Grüppchen und tuschelten. Vor Jahren hatte ich das schon mal bei dem Tod von Lady Diana beobachtet. Damals weinten alle fürchterlich und kollektiv. Diesmal zupfen jeder für sich an seinem/ihren T-Shirt legte die Haare zurecht und überprüfte den Batteriestand bei der Digicam. „Hast Du schon gehört? Richard Gere soll in hier sein!“

Aber im Verlauf der 5 Tage konnten sowieso Wünsche waren werden. So wie früher, als junger heranwachsender Homosexueller. Als mann aus dem Quellekatalog oder der Neuen Revue, aus dem Lesezirkel der Eltern, die Herren-Unterwäsche-Anzeigen ausgeschnitten und gesammelt hat.

In Villard de Lans war an einem Wochenende ein Schwimm-, Rad- und Eiskunstlauf-Wettbewerb, sowie ein Car-Oldtimer-Treffen. Mann brauchte sich also nur die Brust, die Beine, den Po und das Geld zusammensetzten und mann hatten sich den perfekten Mann gebastelt....

Ach ja, neben meinem 2. Platz, tollen Eisküren, viel Drama und viel Trash, gab es auch fantastische Gespräche über Analsex bei Lesben und wunderbare Gesichten, wie zum Beispiel die über ein Regenbogen-Eislauf-Kleidchen, das es bis zum lesbische Museum für Sport geschafft hat.

Es lebe die Sublimierung!

Entschuldigung, ich meinte: Es lebe der Sport!




Villard de Lands 30. Mai 2004

22.05.2004

Maiglöckchen. (Kölner Nachtreisebericht)

Es sind nicht viele. Aber doch genug, das sie eine konstanten Klangteppich abgeben. In allen Räumlichkeiten klingelt es leise vor sich hin. Manchmal leise, mal werden sie lauter wenn sie näher kommen.

Der leise Ton eines einzelnen Glöckchen beruhigt mich sehr. Hier an diesem Ort allein zu sein, schein mir doch sehr ... beängstigend. Und so ganz kann ich mich auch nicht entscheiden. Sind die Maiglöckchen jetzt eher so etwas wie die Rum-Tonne um den Hals eines Lawinen-Bernerdieners oder doch eher so was wie die Signal-Glocke bei einer Heiligen Kuh.

Aber Eines nach dem Anderen. Ich betrat also die neue große Mai-Wiese Kölns. Und natürlich tummelten sich alle Archetypen. Das war das Maiglöckchen jung und unverbraucht. Mann hatte Angst das jeder Windzug zu stark für es ist. Und dar war auch schon das ältere Maiglöckchen. Meistens mit dickem Stängel und eher liegend, als wirklich aufrecht stehend. Und auch das unnahbare Maiglöckchen war da.

Ganz und gar nicht mag ich die Maiglöckchen, die sich regelmäßig im Herbst mit größtem TamTam von der Wiese in die Ehe verabschieden. Alle Brücken zu Wiese werden dabei theatralisch abgebrochen. Mann löscht alle Profile, nicht ohne sich vorher lauthals zu verabschieden. Schnell werden noch alle Versuchungen verdammt, die mann denn Sommer über noch so gefrönt hat. Ich lese dann immer die Texte im Profil: „Endlich habe ich IHN gefunden! Nach langem suchen, habe ich den idealen Mann an meiner Seite. Kommende Woche ziehen wie zusammen!“ Ich wünsche Euch genauso viel Glück.“

Da kotze ich!

Zum einen löschen diese Archetypen von Maiglöckchen nur eines Ihrer Profile. Und zwar das mit dem Facepic. Die anderen 27 bleiben mal sicherheitshalber noch in Petto. Und weil mann ja nicht unhöflich ist, kann mann die Fuck-Buddies in den ersten Monaten auch nicht sofort vor die Tür setzten.

Trifft mann diese Maiglöckchen in der Stadt und mann fragt sie wie es Ihnen denn so geht, schreien Sie einem entgegen, wie das Hässliche Entlein in dem Film „Muriels Hochzeit“: „MARRIED !!!“

Mir kommen dies Maiglöckchen immer wie Indische Frauen vor, die nach der Tod Ihres Mannes freiwillig und froh gelaunt mit auf den Scheiterhaufen gehen. Zu mindestens machen sie so eine Aufstand, wenn Sie im Herbst die Wiese verlassen.

Ich bin ja immer wieder gerne höflich. Ganz besonders gerne im Mai. Wenn diese Maiglöckchen auf die Wiese zurück kommen. Dann grüße ich ja überschwänglich. Erkundige mich intensivst nach dem verbleiben des Göttergatten. Und bin fürchterlich erschüttert über die Trennung.

Soziologisch-Stammesrituell versteh ich das Handeln dieser Maiglöckchen ja. Sie wollen das gleich haben, wie die Heten-Glöckchen. Eine Hochzeit ist das einzige Ritual, das so viel ungeteilte Aufmerksamkeit, Glück und Wohlwollen verheißt.
Von den vor Glück weinenden Mammis, über die bisher so verhassten Nachbarin, bis zur unbekannten Brötchen-Verkäuferin. Alle strahlen einen an und fragen verheißungsvoll: „ Wann ist denn der glückliche Tag?“ Selbst der Vater, um dessen Aufmerksamkeit und Liebe mann schon sein Leben lang gebuhlt hat, legt stolz den Arm auf die Schulter des Sohnes und strahlt einen mit den Worten an: „Gute Partie, mein Sohn!“

Wenn dann sogar die alten Saufkumpanen noch ankommen und sich umständlich dafür entschuldigen, dass sie einen nicht mehr zum Zug durch die Gemeinde einladen, weil mann ja jetzt Verantwortung trägt. Weiß jeder Bräutigam welchen Fehler er begannen hat.

Nichts desto trotz wird mann bei der Hochzeit vor Liebesbeweise von allen Seiten überschüttet und wird wohl nie mehr so ein starkes Gefühl haben. Ein Gefühl des am rechten Platz seins. Des Angekommen seins. Ein Gefühl das Richtige und weithin akzeptierte zu tun.

Kurz und gut: ein Ritual, das dem Paar, der Sippe und der Nachbarsippe deutlich macht: Lass die Finger von diesem Paar!

So viel gesellschaftliche Anerkennung will natürlich auch unser Maiglöckchen haben! Nur das funktioniert leider nicht.

Soziologisch-Stammesrituell hat unser Maiglöckchen nämlich vergessen das dieses Ritual der Arterhaltung dient. Und egal wie sehr es sich um die Historische Aufarbeitung der aktuellen „Dolce & Gabbana Kollektion“ verdient gemacht hat, neue kleine Maiglöckchen werden daraus nicht.

Und die Mammis weinen zwar, aber Ihr Blick sagt eher so was wie: „Was werden die Nachbarn sagen?“ Und die Brötchen-Verkäuferin wird jeden Morgen einen ansehen und einen Gesichtsausdruck haben, wie „Ich habe es ja gleich gewusst. Wer jeden morgen Vollkornbrötchen und Orangenmarmelade kauft, der muss ja...“

Normalerweise wird ja auch die Sippe im Umkreis von den nächsten drei Blocks mit allen nötigen und unnötigen Informationen versorgt. Was trägt die Braut drunter? Mit wem hatte Sie vorher schon was? Wie viel Geld kostet die Hochzeit? Wie viel zahlen davon die Schwiegereltern? Diese Informationen diffundieren schnell möglichst durch die Sippe, indem die Bräutigam-Mutter dies unter dem Siegel der Verschwiegenheit der besten Freundin erzählt. So geht es am schnellste.

Bei unserem Maiglöckchen wir die Mutter aber schweigen, die beste Freundin der Mutter bekommt keine Siegel zu sehen und auch sonst ist es sehr ruhig in der Sippe.

Der Vater nimmt das Maiglöckchen zu Seite und sagt “Hättest Du damit nicht warten können, bis Deine Mutter und ich unter der Erde liegen?“

Und die lieben Saufkumpanen sprechen einen diskret darauf an, ob mann dem Bräutigam nicht die restlichen Eintritte der Zehnerkarte der Phoenix abkaufen kann.

Und weder die Nachbarn, noch die Sippe und erst recht nicht die Nachbarsippe, geben nur ein Funken Respekt auf dieses Paar. Im Gegenteil. Einen schwul-verheirater Mann fehlt noch in vielen Sammlerkollektionen!

Und aufgrund dieser schlechten Startbedingungen, treffe ich dann diese Maiglöckchen immer und immer wieder an diesem Ort. Das Profil ist stillschweigend wieder online gestellt. Der Profiltext trägt in jeder Zeile und in jedem Wort eine Trauerband. „Und das war sowieso nicht der Richtige.“ (Vielleicht klappt es ja mit dem Ritual einer Witwe?)

Dieser Ort, das ist die Richard-Wagner-Str. 12. Voll mit Maiglöckchen. Die neue Wiese ist hier seit vielleicht drei Monaten auf. Und als zweit Sauna der Phoenix-Gruppe in Köln, eine willkommene Abwechslung in der hiesigen Saunalandschaft.

Voller Neugier gehen die Maiglöckchen hier hin und entdecken die zwei Ebenen. Die großen, langen Gänge sind recht dunkel und viele Abzweigungen sorgen für ein verwirrendes Ambiente. Eine freie Fläche ist ja auch recht ernüchternd und weniger vielversprechend.

Berühmtheit hat die Sauna bereits jetzt für seine erfischende Political INcorrectness. Die Dampfsauna ist als Tempel der Lust nicht nur die größte in Köln, sondern auch mit einer Diskriminierungsspalte versehen. Das Labyrinth geht zwar klassisch im Kreis, aber am weitesten vom Eingang entfernten Punkt steht ein Mauervorsprung sehr nahe an der Wand. So das mann nur weitergehen kann, wenn mann unter 100 Kilo hat. Gerade mal 30 Zentimeter ist diese Spalte breit. Und es macht einen heiden Spaß zu sehen, wer und wie, sich dort alles durchzwängt. Böse Zungen behaupten das gehört zum Artenschutz der Maiglöckchen. So das junge schlanke Maiglöckchen sich schützen können, vor den großen fetten Maiglöckchen.

Neue Sauna, neue Rituale. Jeder Gast bekommt am Eingang seinen Schlüssel. Nicht wie sonst an einem gewöhnlichen Schwimmbadband, sondern an einem schmalen Gummiband befestigt. Wahrscheinlich bei Gummi-Grün am Neumarkt engros eingekauft. So das der Schlüssel, beim Gehen in diesem schönen Wonnemonat Mai, immer wie ein kleines Glöckchen klingelt!

Und wie verwirrend das Ambiente auch immer sein mag, der liebliche Ton der Maiglöckchen weißt einem immer den Weg. Der Ton kommt mal näher, mal wird er wieder schwächer. Mal ist er aufdringlich, mal rhythmisch. Nur wenn auf der Wiese Stille ist, mag mann das so gar nicht als Maiglöckchen.


Köln, 22.05.04

10.01.2004

In-Between Mood. (Reisebeicht aus Berlin Jan'04)

Es war nicht mehr 2003 und noch nicht 2004. Die Berliner U-Bahnstation Weinmeisterstraße war leer. Menschen und Seelenleer. Ich war der einzige dort. Und die dicken Wände und vielen Steine der Station schützen mich vor den Enttäuschungen des vergangen Jahres und den Hoffnung für das Neue. Und diese Steine schützen mich auch vor den Menschen auf der Oberfläche. Denn sie hatten beschlossen, das sie das, was sie ein Jahr lang in Bagdad gesehen hatten, jetzt auch mal in Berlin nachspielen wollten. Sie schossen: auf Autos, auf Menschen, auf Häuser, ja sogar auf den Himmel.

Und nach meiner Flucht in die Station, stürzte ich auf die Bank und setzte mich. Ich schaute auf die Uhr. Es war Mitternacht. Und ich liebte die Steine noch mehr. Weil ich die Menschen auf der Oberfläche jetzt so ekelhaft gespielt romantisch und verliebt empfand. So saß ich in dieser U-Bahnstation wie Neo in Matrix III. Nicht in der Matrix; nicht in der Realität. Irgendwo dazwischen. In-Between. Und so war auch meine Stimmung. A in-between Mood.

Und ich liebte diese U-Bahnstation, denn die größte aller meine Lieben war bei mir: meine Musik.

Ein Sylvester 2004 wie es ehrlicher nicht sein könnte.

04.01.2004

Bare 2004. (Reisebeicht aus Berlin Jan '04)


Bare ist laut dem Ponds, ein englisches Wort für:

nackt, bloß, kahl, ohne, entblößt, ärmlich, ungeschützt.

Und um das gleich am Anfang klar zu stellen: es geht hier nicht um die sensationelle neue CD von Annie Lennox. Nein, in 2004 geht es um „Bare“, als schwuler Slang für Sex ohne Kondom, um Abspritzen in den Mund. Also, um Unsafe-Sex.

Sind die Heten noch am lesen?

Seit `83 geht Ficken ohne Kondom nicht mehr. Zu mindestens nicht ohne schlechtes Gewissen. Und seit `84 geben sie uns rationale Argumente, warum Safer Sex der bessere Weg ist.

Der moderne Mensch als Home Sapiens ist zirka vor 100.000 zur Welt gekommen. Und die Lust war IMMER der Sieger. Kein Krieg, keine Religion, keine Pest, keine Syphilis, konnte sie besiegen.

Die Emotionen haben immer gewonnen. Die neue Hirnforschung weiß auch warum. Denn wir Menschen denken auf zwei Wegen. Einen schnellen und ungenauen. Und einem langsamen exakten Weg.

Der erste Weg wird über dem Mandelkern im Gehirn gesteuert. Er kennt nur Flucht oder Kampf. Freude oder Angst. Und der zweite Weg, geht über die Präfrontal-Lappen zum Neokortex. Hier können logische und mathematische Zusammenhänge gedacht werden. Den ersten Weg gab es von Anfang an. Der zweite Weg gibt es erst ein Zehntel der Menschheitsgeschichte.

Das Neue ist, das wir jetzt wissen, das der Mandelkern IMMER die Hoheit über den Neokortex hat (das, was wir umgangssprachlich als Großhirn bezeichnen). Der Lappen ist quasi ein Lagerwart vom „Speicherplatz“ Neokortex. Dessen Chef ist der Mandelkern. Da der Kern alle Wahrnehmungen und Gedanken mit Emotionen belegt, haben Emotionen IMMER die Oberhand.

Sex als Lust, wird heute erlebt - nicht nur von der schwulen Gesellschaft – als Sehnsucht, als Verlangen nach fehlendem Abenteuer, als Überwinden von Langweile, als Selbstbestätigung oder einfach nur als ein hautstraffendes Mittel. Also, sozial-psychisch und nicht biologisch.

Und wenn es nun mal nichts stärkeres als Gefühle gibt. Wenn Geilheit und Liebe doch immer gewinnen. Und die meisten Positiven und Negativen heute meinen zu wissen, das eine HIV-Therapie nicht mehr bedarf, als die für einen Diabetiker.

Warum sollten wir dann noch Safer Sex machen?

Jeder Mann weiß, auf die ein oder andere Art, dass eine Penetration ohne Kondom immer gefühlsechter ist. Egal ob vom Kopf her oder tatsächlich am Schwanz gefühlt. Seit 20 Jahren also rauben wir uns das existentiellste aller Gefühle, die Lust.

Überrascht es da, das in dem Moment wo in der HIV-Medikation Land in Sicht scheint, die Gegenbewegung zu Safer Sex Fahrt aufnimmt?

Haben wir Verständnis, das in der Geilheit der Liebe, in der Hitze des gemeinsamen Zweikampfs, uns das rationale Argument: „Kreuzresistenz kann tödlich sein“, nicht präsent ist? Beim normal guten Sex verlieren wir ja bereits 85 % unseres Geruchssinns. Da soll die Ratio noch voll intakt sein?

Warum ist die Aufklärungskampagne nach 2 Jahrzehnten nahezu stumpf?

Ja, wir haben in Deutschland angeblich stabile Neuinfektionszahlen. Trotzdem ist die Neuinfektion überproportional bei den Youngstern. Sie haben Karposi nie gesehen. Waren nie bei Freunden im Krankenhaus. Haben bei Ihren Geburtstagsfeiern immer die Sicherheit, das dort mehr Menschen kommen, also noch vor 2 Jahren.

HIV-Kampagnen haben mit rationalen Argumenten so lange funktioniert, wie es das stärkste aller Emotionen gab: die Todesfurcht. Ob wir wollen oder nicht! Ob es wahr ist oder nicht!

Diese Todesfurcht vor AIDS gibt es in Europa im Jahr 2004 nicht mehr.

Deswegen versagen die Kampagnen. Deswegen ist mir in 2003 in Berlin, in Barcelona, in Wien, in Paris und in Amsterdam ununterbrochen Unsafe-Sex entgegengeschlagen. Es ist Standard geworden und nicht mehr Ausnahme.

Die Youngsters haben die Bilder nicht mehr als Emotion. Als Angst-Katalysator. Die Older-ones haben die Erfahrung gemacht, das bei einmaligen Unsafe-Sex nicht der Belzebub durch die Tür kommt. Kein Gauweiler einen ins Lager steckt. Das kein Reichsgerichts-Freisler einen aburteilt.

Und am überraschensten: es macht spaß.

Deswegen müssen alle Kampagnen weg von Argumenten und hinzu Emotionen. Wir müssen fühlen und nicht verstehen, was wir durch Unsafe-Sex verlieren.

Wir müssen es lieben einen Urlaub zu machen. Sagen wir in Berlin. Begeistert sein von Kunst und Freunden.

Spielerisch entdecken, das die Sammlung Berggruen - eine private Gemäldesammlung der klassischen Modernen - einen Wintertag erhellen kann. Herr Berggruen ist von den Nazis nach Frankreich geflüchtet und nach dem Krieg zurück gekommen. Der Schwerpunkt seiner Sammlung in Charlottenburg sind Picasso und Henry Matisse. Aber im dritten Stock des rechten Palais ist auch Paul Klee eine tolle Entdeckung. Wenn mann noch die Kraft hat, dort oben hinzugelangen.

Vielleicht will mann auch - Nebenwirkungsbedingt – nicht auf eine hervorragende Ausstellung im Martin-Grupius-Bau verzichten: „August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts.“ Einer DER Portrait-Künstler der Fotographie. Ein Mensch der mit nur vier Jahren Schulbildung, Menschen, soziale Schichten und Landschaften emotional so verstanden hat, das noch 100 Jahre später die Kraft der Bilder uns packt.

Aber hat mann noch genug Kraft als Positiver den ganzen ehemaligen Kunstgewerbebau zu besichtigen? Ist mann noch in der Lage zu erfassen, das Sander die Fotografie von „Schön-Malerei“, hin zu Kunst des Verewigen des Charakteristischen des Menschen, geändert hat?

Hat mann nach einer Stunde Ausstellung noch genug Energie? Um zum Beispiel denn Zusammenhang zu verstehen, das die Kunst von Sander nicht nur darf beruht, die Menschen und ihre Gesichter des frühen 20. Jahrhunderts zu portraitieren. Sondern auch darin, das er bei sonst rein statischen Portraits, durch die geschickte Inzinierung der Hände, die Persönlichkeiten festhalten kann.

Durch Störung des Gleichgewichtes aufgrund von Medikamenten, muss mann auch schon mal zu hause beleiben Und kann nicht die Fülle des Berliner Nachlebens ausschöpfen. Kann sich nicht fallen lassen in eine Stadt. Nicht den schwulen Reichtum Berlins auskosten, indem mann in kürzester Zeit von Schwuppen-Bar, zu Lederschuppen und High-Energy-Party wechselt.

Mann ist sehr einsam, wenn mann die Einnahme von Tabletten vergessen hat und die harten Bedingungen eines Medikamenten-Regimes einen nach Hause zwingen. Und das gerade in dem Moment, wo mann sich jung gefüllt hat, attraktiv und begehrt.

Das sind Emotionen.

Das verlieren wir,

wenn Bare gewinnt.

Berlin, 04.01.2004