04.06.2004

Die dunkle Seite der Macht. (Reisebeicht aus Berlin Juni '04)

Die dunkle Seite der Macht

Ich werde Euch nicht langweilen. Mit Geschichten aus der Hauptstadt. Kein Sex in the City. Keine sageumwogenden CSD Erlebnisse. Oder üppige Kultur-Berichte.

Ich will berichten von der dunklen Seite der Macht. Diese Macht die in dieser Stadt so wütet. Ich sehe wie Menschen sterben. Stück für Stück. Und wie der kleine Junge im Film, kann ich auch tote Menschen sehen. Sie gehen durch diese Stadt. Ich habe sie gesehen.

Es ist 7 Uhr morgens. Ich stehe im New Action. Eine Eckkneipe in Berlin. Eine Lederbar die 365 Tage im Jahr auf hat und morgens um 9 Uhr am vollsten ist. Dreckig und dunkel. Voller Männer - die tot sind. Trotzdem bewegen sie sich von der Bar nach hinten zum Darkroom. Zombies der Nacht. Blutleere Gesichter. Aschfaule Haut. Von Herpes vernarbte Lippen. Teilnahmelose Augen. Einer liegt auf dem Barhocker ist zusammengesackt und liegt mit dem Rücken auf dem Flipperautomat. Besoffen. Hoffe ich. Daneben stehen zwei ausgemergelte Gestallten und schauen leer, in den nie müde werdende Fernseher, der Pornobilder ihnen entgegenschmeißt.

Neben dem Geruch von Pisse, Poppers und Moder, riecht es vor allen Dingen nach Einsamkeit. Und wie ich noch weiter eindringe in das Schwarze Loch Berlins, das Raum und Zeit verschwinden lässt, gehe ich vorbei an den Männer die auf Barhockern sitzen und so eine Art Spalier bilden.

Das Blut voller Hormone, deren Gefangene sie sind. Ledermänner. Skinns. Die Gelb-Fraktion ist auch schon da. Selbst der obligatorische dicke lüsterne Opa hält sich verkrampft an einem Barhocker fest.

Das ist auch Jens. Ich kenne ihn noch aus meiner Zeit bei der Bank24. Er war wie eine Lachen am Morgen. Eine echter Sonnenschein. Dieser Sonneschein ist auch noch da, ganz versteckt hinter dem letzten Winkel der Netzhaut. Seine straffe Haut ist nun schwach. Er hat den Geruch, eines Dachbodens, denn mann zum ersten mal nach 10 Jahren öffnet. Nach 10 Jahren Berlin, nach 10 Jahren voller Drogen, Ostgut und regelmäßigem FF-Nachmittagen, ist nur noch im letzten Winkel der Netzhaut, der Sonnenschein zu sehen. In mir ringen die Gefühle des Eckels und des Mitleids.

Als ich die Toiletten rechts neben mir gelassen habe und wieder atmen konnte, erschlug mich eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit. Eine Abstellkammer voller Männer. Hier war der Kern des schwarzen Lochs. Ein Handgemenge, das sich auf das eine reduzierte hat. Sex. Bare Sex. Natürlich. Keiner Spricht. Einige Stöhnen.

Vielleicht sagst Du, wenn Du das ließt: "Tja, Sascha. Wenn Du auch zum Metzger gehst, darfst Du Dich nicht beschweren, das Du nur totes Fleisch siehst.“

Portionsweise siehe ich diese tote Menschen aber die ganze Zeit in Berlin. Und auch wieder nicht. Weil ich sie nicht wahrnehmen will.

Ich sehe schon lange nicht mehr die alte Frau, die IMMER im Rollstuhl am Nollendorfer U-Bahn Hof sitzt und die Motz-Opdachlosen-Zeitung verkauft. Mehr im Koma, als wach. Ich zähle nicht mehr die Obdachlosen die mich ansprechen, während ich im Berio den super leckern Vanille-Quark esse.

Ich wundere mich auch nicht mehr, wenn neben mir im GMF der eben noch so attraktive Herr zusammenbricht. Und wegen eine Drogenüberdosis abtransportiert wird.

Und wenn ich im GMF steh und dieser putzige 22 jährige Neuseeländer, der mit seiner College-Klasse zu Besuch in Berlin ist, mich anspricht, bin ich zur erst noch sehr geschmeichelt. Zumal er wunderhübsch ist. Marke Surfertyp. Und weil er in Berlin und sein Koffer im Flieger nach Neuseeland zurück ist, steht er in seiner Schuluniform vor mir. Putzig! Und putzig wie er ist, tanze ich mit ihm. Aber bevor meine Hormone im Blut die Kommandobrücke endgültig übernehmen, merke ich, dass er, wie die meisten Berlin-Wochenend-Reisende, seinen Unterkiffer gar nicht mehr kontrollieren kann. Er kaut zur Musik von Madonna.

Und nachdem ich dieses Kokskind in der Natascha-Bar des GMF stehen gelassen habe, sehe ich ihn an diesem Abend mit 8 Männern knutschen. Und er geht ausgerecht mit dem Mann nach Haus, der immer von Köln nach Berlin fährt, damit keiner mitbekommt, das er bare kleine Junx fickt. Pech gehabt kleiner putziger Neuseeländer.

Und als ich bei der Siegessäule stehe und den vielen Herrn die Herren lieben nachsehe, die alle den fleißig den CSD feiern, ist das Entsetzten nur noch klein. Denn ich sehe viele Tote, die ich noch vor einem Jahr in Köln lebten und jetzt aussehen wie ein verwelkter Blumenstrauß.

Versteht mich nicht falsch. Ich weiß was ich an dieser Stadt mag. Ich habe kein Plan, keinen Termin. Ich gebe dem Zufall das Kommando. Erlaub dem Zufall mal richtig durchzuatmen und mal wieder wach zu werden. In Köln hat er strenges Stubenarrest.

Hier existiert Zeit nicht für mich und Regelmäßigkeit findet nicht statt. Ich habe Geld in der Tasche und Hormone im Blut. Bin neugierig und gut informiert.

Natürlich kann ich da Berlin lieben und Berlin liebt dann auch mich.

Nur die dunkle Seite der Macht macht mir Angst.