04.11.2023

Sascha‘s Liebestod.


„Es fährt ein Zug nach nirgendwo“. Die Älteren unter euch kennen das noch als Schlager.

Hier ist es der Name für den Zug aus diesem Film. Natürlich geht es um Kunst und Sex. Man kann sagen was „Sex in the City“ war,  jetzt als „Sex im Museum“. Statt Manhatten ist es halt mein Leben. Der Film dazu ist schon zu sehen: Deep Gold, 2013/2014 | Julian Rosefeldt


https://www.julianrosefeldt.com/film-and-video-works/deep_gold/



Bitte, bitte schaue Dir erst den Film an. Und lese dann meinen Post. 




Wer genau hinsieht, weiss das der Name des Zuges Programm ist. Hauptdarsteller sind: Dali, Wagner, Babylon, Sex und ich. 


Kunst war schon immer eine Sirene die mich zur Wirklichkeit gezogen hat. Aber in der Kunst gibt es keine Wahrheit. Nur Wahrhaftigkeit. 


Sexualität ist für mich der Ort wo Realität, das Wissen um die Innere Dynamik und das eigene Unbewusste zusammen kommt. Daher glaube ich keinem Menschen, der seine Sexualität verleugnet. Und anders ausgedrückt: nur in der Sexualität kann ich mir sicher sein, wahrhaftig zu sein bzw. das der andere Wahrhaftig ist. 



Der Surrealismus und ich haben diese Definitionen gemeinsam und jeweils als Ausgangspunkt.


In Fall dieses Kunstfilms ist das mit der Sirene ernst gemeint. Ich war zur Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie in einer Ausstellung und hörte von weitem wie diese Worte lieblich gesungen wurden: „Mild und leise wie er lächelt“. Und die Musik vom Richard Warner’s Liebestod im Tristan zog mich unweigerlich in eine graue Kiste, die im Gegensatz zu dem Wändelosen Keller der Nationalgalerie eine Art Intimität vorgaukelt. Und da stehe ich dann wie eine kleiner Junge im Zuckerschock nach seinem ersten Nutella Brot, vor dem Vorhang dieser Box, aus der diese Worte und diese Musik kommt.





Mies van der Rohe hat als Architekt dieses Museums das Basements des Hauses als Hauptraum so gestaltet, das Licht und Ton durch das Basement geht, als wäre es ein Raum. Diese Transparenz und Helligkeit wird durchbrochen von einem Kunstfilm der halt nicht wie ein Gemälde an der Wand hängt. Hastig zusammengezimmerte Sperrholzwände mit einem Vorhang als Eingang geben einem die Illusion eines Kinos. 


Für all die anderen Besucher in dieser Kathedrale der Modernen Kunst war die Graue Box ein Art Scharm zu verdecken, eine Scham des Inhaltes des Kunstfilms der dort gezeigt wird. All die anderen Besucher waren ein Panoptikum aus Berlin Reisenden, Lehrerinnen und anderen Heterosexuellen Wesen.  Für sie brauchte es diese Graue Box um die Scharm zu verdecken, der dieser Kunstfilm zeigte. 





Ich trete mit grosser Verzückung durch diesen Vorhang und ich weiss bereits in diesem Moment, das mich hinter diesem Vorhang nicht die Schram erwartet, sondern die Intimität. Die Intimität zu mir selber. 



Zu meiner innern Wahrheit, also zur Wahrhaftigkeit. Das ist mein  ultimative Ausdruck für Intimität. Sex und Kunst kann man sagen sind meine Wahrhaftigkeit.




Was hat das mit Surrealismus zu tun? Sie ist nicht eine besondere Form der Fantasie, sondern ein besonderes ernst nehmen der Realität. Und zwar der inneren Realität. Bei den ersten surrealistischen Filmen geht es genau darum.



Die bedeutendsten surrealistischen Filme sind Ein andalusischer Hund(Un chien andalou) und Das goldene Zeitalter (L'Âge d'Or), die beide aus einer künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Salvador Dalí und Luis Buñuel entstanden.


  • Der Schwarz-Weiß-Film „Deep Gold" , den die National Galerie als Kunstfilm in der Grauen Box zeigt, ist eine Hommage an eine Szene aus Luis Buñuels surrealistischem Klassiker „L'Âge d'Or" (1930). Julian Rosefeldt versetzt das Geschehen in einen Nachtclub im Berlin der 1920er Jahre, in dessen großstädtischem Umfeld verschiedene Parallelwelten zusammenwirken.“ Wikipedia 
  • „Damit ist der Film eine Erweiterung dessen, was in der schonungslosen filmischen Gesellschafts- und Religionskritik des spanischen Surrealisten bereits anklingt: die Herausforderung einer repressiven Sexualmoral, die Auflösung der gegebenen Geschlechterordnung und der Appell an eine Emanzipation, die nie die Kraft der weiblichen Sexualität ausschließt. Rosefeldt zieht Parallelen zwischen der wirtschaftlichen Situation der 20er und heute.“Wikipedia



In dem Drehbuch von dem „Goldenen Zeitalter“ wird zum Beispiel angedeutet das Jesus der letzte einer Orgie ist. (Sic!)


Julian Rosefeldt versucht mit dem Film die wirtschaftlichen Situation der 20er und heute zu vergleichen. Ich sehe dagegen hinter diesem einen Vorhang einen Film, der mir zeigt was 35 Jahre meiner Sexualität mit meinem Ich von heute mit mir zu tun hat.  


Dieser Suchender, aber nicht Dazugehörenden, die Hauptfigur dieses Kunstfilms, stellt mein Verhalten in den letzten 35 Jahren nahezu perfekt nach. 



Mit einundzwanzig hatte ich meinen Fenstersturz.  Ich hatte nicht nur meinen ersten Sex mit einem Mann sondern stürzte auch in eine andere Welt.


Das nicht Ankommen der Hauptfigur, das Suchen als Weg, das wichtiger wird als als erreichen des Ziels in diesem Film findet seine Entsprechung in der begleitenden „Arie“ aus dem Tristan und Isolde: „Mild und leise wie er lächelt“. 


Und die Musik vom Richard Warner’s Liebestod im Tristan zog mich unweigerlich in eine graue Kiste die im Gegensatz zu dem Wändelosen Keller der Nationalgalerie eine Art Intimität vorgaukelt. Und da stehe ich dann wie eine kleiner Junge im Zuckerschock nach seinem ersten Nutella Brot, vor dem Vorhang dieser Box aus der diese Worte und diese Musik kommt.


Die einen sagen ja das diese Oper „Tristan und Isolde“ ein auskomponierter Orgasmus ist. Die anderen Beschäftigen sich mit der Idee des Libretto’s das es Liebe nur in Verbindung mit dem Tod gibt. Wieder andere fragen sich, wofür der Tod eine Metapher sein könnte. 



Für mich ist hier der Tod eine Metapher. In der Oper wie in diesem Film.  Sex ohne Intimität ist jedes mal ein „kleiner Tod“. Im Gegensatz zu den Franzosen die nur den  Orgasmus als kleinen Tod bezeichnen. 


Die Worte diese Arie sind sind Philosophie meiner Sexualität. Das vergötterten ohne das erreichen. Das sehen eines Schatzes, den andere nicht sehn. 

 

Mild und leise
wie er lächelt,
wie das Auge
hold er öffnet ---
seht ihr's Freunde?
Seht ihr's nicht?
Immer lichter
wie er leuchtet,
stern-umstrahlet
hoch sich hebt?
Seht ihr's nicht?
Wie das Herz ihm
mutig schwillt,
voll und hehr
im Busen ihm quillt?
Wie den Lippen,
wonnig mild,
süsser Atem
sanft entweht ---
Freunde! Seht!
Fühlt und seht ihr's nicht?
Hör ich nur
diese Weise,
die so wunder-
voll und leise,
Wonne klagend,
alles sagend,
mild versöhnend
aus ihm tönend,
in mich dringet,
auf sich schwinget,
hold erhallend
um mich klinget?
Heller schallend,
mich umwallend,
sind es Wellen
sanfter Lüfte?
Sind es Wogeno
wonniger Düfte?
Wie sie schwellen,
mich umrauschen,
soll ich atmen,
soll ich lauschen?
Soll ich schlürfen,
untertauchen?
Süss in Düften
mich verhauchen?
In dem wogenden Schwall,
in dem tönenden Schall,
in des Welt-Atems
wehendem All ---
ertrinken,
versinken ---
unbewusst ---
höchste Lust!





Tristan stürzt in ihre Arme und beide versichern sich ihrer grenzenlosen Liebe, die selbst der Tod nicht beenden könne. Sie ersehnen die ewige Aufnahme in das „Wunderreich der Nacht“. Die Nacht symbolisiert dabei die innerliche Welt der wahren, uneingeschränkten Liebe, der Tag steht im Gegensatz dazu für die äußerliche Welt der (Selbst-)Täuschung durch gesellschaftliche Zwänge wie dem Streben nach Ruhm und Ehre, welche Tristan beherrscht und zum Konflikt geführt hatten.


Isolde ertrinkt „in des Welt-Atems wehendem All“ – „ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ sind ihre letzte Worte. (Die Schlussmusik, die heute meist fälschlich als „Isoldes Liebestod“ bezeichnet wird, nannte Wagner selbst „Isoldes Verklärung“.)




Wenn der Sprung aus dem Fenster in diesem Film der Start meiner Sexualität darstellt, dann ist das harte Aufschlagen auf den Asphalt, der Eintritt in die Welt der Wirklichkeit.  Hier ist die Wirklichkeit als Sexualität zu sehen, wie sie ist und von Menschen gelebt und noch viel wichtiger wie von Menschen ersehnt. 


Schwul zu sein habe ich nie nur als Freiheit empfunden den Sex zu haben, den ich wirklich will, sondern immer auch als Pflicht Konventionen nur zu Akzeptieren, wo sie Sinn machen und als  Privileg Konventionen zu hinterfragen wo sie andere oder mich Behindern, zu dem zu Wachsen wer wir sind. WERDE WAS DU BIST.  Für mich war dieser Weg immer der Weg seine eigene Sexualität ernst zu nehmen und sich selber zu entdecken. Also seine inner Wirklichkeit zu erkunden und damit im Innen und Aussen Wahrhaftig zu werden.




Der größte Teil des Filmes ist der Protagonist ein nicht Teilnehmender Beobachter. So wie ich. Die Teilhabe ist so lange nicht möglich, solange Konventionen eine Wahrhaftige Begegnung verhindert. Ja ich habe und hatte viel Sex. Trotzdem stimmt der Satz. 


Und wenn eines mir der Film gezeigt hat, ist es das ich an einer Stelle meines Lebens bin, wo mein Ich von Heute mit meinem Sexuellen Ich zum ersten mal zusammen stehen, und gemeinsam in ein Schaufenster schauen, das nichts anderes ist als mein Leben.  Und als jemand der nicht mehr im Schaufenster ist, sondern auf das Fenster schaut, bleibt mir nur zu akzeptieren das …. 


LUST IS A FORCE. 





Und damit nie eine Ort den man erreicht und nie ein Zeitpunkt den man fest halten kann. Oder ein Orgamus. Oder ein Kunstwerk. Es ist wie Siegmund Freud sagt, das Gegenteil vom Todestrieb. Damit eine Gott der/die/das uns ständig antreibt zu kreieren, gebären oder zu gestalten. Er nennt es Eros.


Freud erklärt alles aus dem Sextrieb heraus. Damit ist für ihn Kunst Sublimierung. Ich könnte nicht mehr zustimmen. Nicht alles in der Welt ist Sex. Aber wer Sex in all seinen Form  ignoriert ist nicht Wahrhaftig zu sich und anderen. Damit ist Sex die Macht, die Energie, die FORCE.


Dieser Gott kennt keine Gnade, er verlangt sein Recht von einem, egal ob jung oder alt. Es ist ihr/ihm egal, ob wir diese FORCE nutzen zu entdecken der Inneren Wahrhaftigkeit durch Sex oder durch Kunst. Nicht wenn wir Sex aufgeben. Auch nicht wenn wir Kunst aufgeben. Erst wenn wir beides Aufgeben, sind wir Tod. 


Tod hat hier nichts mit dem physischen Körper zu tun. Sondern mit unserm Geist.  


Und damit hat Isolde recht, nicht in dem sie stirbt für oder wegen ihrem Geliebten. Isoldes Verklärung ist das versinken in die Wirklichkeit mit sich selbst. Errungen durch das Spiegeln des eigenen Ichs, durch die wahrhaftige, sexuelle Begegnungen mit anderen.


Mein Lebensziel war es in ZÄRTLICHKEIT ZU ERTRINKEN, als Höchste Form der Wahrhaftigkeit.


Und von daher ist das letzte Abenteuer die LUST IS A FORCE alleine zu leben. Alleine. Einsam. Erfüllt. Von dem Moment an wo man sich umfassend kennt. 


Von da an steht man alleine vor dem Schaufenster. In der Kälte. Bei sich. 


Ich verlasse die graue Box und die Nationalgalerie im Sommer 2022 als Mensch, der durch Kunst mehr Antworten versucht zu finden, aber jetzt  im Winter 2023, wo ich diesen Text beende, nur noch mehr Fragen findet. 


Das ist wohl dann wirklich surreal. Ich dachte mein Text wäre auch surreal, aber er scheint nur wahrhaftig zu sein. Wenn ich mit allem recht habe, stimmt beides.