28.05.2008

Schönheit minus 1. (1. Reisebeicht aus Israel)

XL. So heißt der Sitz am Notausgang auf dem ich sitze auf meinem Flug. Die Reihe hier am Notausstieg ist fast leer. Ich sitze am Gang. Links von mir ist ein Sitz frei. Dann ein orthodoxer Jude am Fenster. Auf der anderen Seite ist nur der Fensterplatz belegt. Mit einem verhaltensauffälligen Araber.

Mir ist nicht wirklich gut zumute.

Der Jude hat sein religiöses Buch auf den mittlern leeren Platz zwischen uns gelegt. Dort liegt es jetzt zusammen mit meinem Buch über das Leben und das Werk von Jesus. Diese beiden Bücher liegen dort vereint, wo sonst Touristen ihren Po deponieren.

Auf diesem meinem Flug nach Israel bin ich mir nicht mehr sicher was passiert: steinigen mich die 20 orthodoxen Juden an Bord, weil ich eine Buch über Jesus lesen? Oder lädt der verhaltensauffällige Araber die ganze Maschine nach Mogadischu ein?

Dieses Gefühl von mir auf meinem Flug mit der Boing 737, ist wohl symptomatisch für Menschen die noch nicht in Israel waren.

Mann denkt ständig das was passiert, aber in Wirklichkeit passiert gar nicht.

Zumindest hier in Tel Aviv wo ich jetzt bin. Eine Stadt am Mittelmeer. Eine Stadt die den Namen Flühlings Hügel trägt. Aber ansonsten hässlich ist.

Szenenwechsel:

Ich bin eingezwängt von Massen von Israelis die von hinten nachrücken und einem Absperrgitter vor mir. Mein Magen und meine Brust werden fast zerquetscht. Aber diese Schmerzen sind nichts verglichen mit dem Schmerz in meinem Ohr, der gespeist wird von dem wilden orientalischen Geschreie von 200 Junx, die hinter mir stehen und nach AVI schreien. A V I ! .

Avi ist der Prototyp einer übelgelaunten, übergewichtigen ungefickt zum Dienst erschiene Tucke, die die "Herrscherin der Nacht" ist. Denn "Sie" macht die Tür im "minus-1". Das "minus-1" ist nichts anderes als eine schwule Tanz-Bar. Ein großes Kellerloch in einem Wohnhaus im orientalischen Teil Tel Avivs.

Und kaum ein paar wenige Stunden in Israel sein, lerne ich gleich etwas über die Kultur. Körperlich Abstand, Rücksichtnahme, Vortritt lassen, das ist nicht das wichtigste hier im Land.

Und auch ganz neu für mich war es, zu beobachten, wie Menschen sie vor der "Herrscherin der Nacht" erniedrigen können, nur um in einen Tanzschuppen zu kommen.

Dieser Schuppen bestand aus zwei langgezogenen Theken. Eine erhöhte DJ-Baumhaus-Box. Mehr nicht. Aber 500 israelische und arabische Junx machten den Unterschied. Männer, wie aus meinen ganz persönlichen Lieblingsfilmen von Brunos.

Die Stimmung kocht. Kein tanzt nicht. Keiner ist nicht in Bewegung. Ich habe voll auf "CSD"-Modus umgestellt. Alle meine Sinne sind auf Alarm geschaltet. Ich erwische mich selber bei den Gedanken: "Der sofort. Der auch. Der später. Der für immer. Der … Der….. Der." Ich bin absolut visuelle überfordert. Hier sind die Männer wie ich sie mag. Diese sensationellen ausdrucksstarken Lippen. Schmale Hüften. Kleiner als ich. Ausgemergelte Gesichter. 7 Tage Bärte. Dunkles schwarzes Haar. In Deutschland würde ich diesem Typus nicht so lange hinterher sehen, vor Angst eine in die Fresse zu bekommen. Denke ich in Köln: "Ach, wäre doch nur einer davon…. " denke ich hier: "Ach, welcher denn zuerst…".

Ich vergleiche meine Gefühl die ich gerade in dieser Keller-Bar habe, mit den Erinnerungen an mein Lieblingsgericht von meiner Oma: Bratkartoffeln. Nur sie konnte sie SO machen. Nur mit IHRER Pfanne und mit Gas gekocht, nur mit IHREN Gewürzen, schmeckte es so unvergleichlich.

Und jetzt bekomm ich hier nicht nur mein "Lieblingsgericht", sondern ich war auch noch mit allen Kartoffeln zusammen in der Pfanne.

Neben der tollen Stimmung und den sensationellen Junx gab es noch echtes Entertainment Programm. Während mann sich in Deutschland in einer Bar dafür entschuldigen muss, dass mann etwas bestellt und dann dafür dann noch mit langer Wartezeit belohnt wird, ist es hier ein wenig anderes.

Hinter den zwei langgezogenen Theken (oder sollte ich Bühnen sagen?) arbeiteten das, was wir aus dem Film "Studio 54" kennen: echte Profis. Junx, die nicht nur schnell, kompetent und liebreizend ihren Job machen, sondern auch noch für das Entertainment sorgen. Hier eine Bier verteilt und ein Lächeln zum Niederknien geschenkt, dort auf die Theke gesprungen und schnell mal zur Musik getanzt. Dort ein Wodka verteilt, hier eine Feuer-Linie mit Whiskey auf der Theke gelegt. Dort ein Red Bull serviert, dann aber schnell zur Kuß-Show-Einlage mit dem Kollegen.

Und jeder Besteller wird mit einem Lächeln und einem vertrauten Anfassen an der Schulter bedient, als wäre mann das Wichtigste der ganzen Nacht.

Unnötig zu erwähnen, dass die Herren hinter dem 1-Meter-hohen-Schutzwall, der sich Bar nennt, eine Mischung aus dem Körper von König David und einem Surferboy hatten. Gut trainiert, ohne die Proportionen zu verlieren. Anabolikafrei und deswegen noch mit meinem Gesichtsausdruck gesegnet. Und von einer Würde umgeben, die Menschen haben die, die das was sie tun, lieben.

Ich verlasse das "minus-1" mit einem Gefühl der inneren Genugtuung. Ich freute mich einfach dran einen Abend zu haben, der meine Musik, meinem Geschmack von Männer und meine Vorstellung von Spaß beinhaltet. Die ist keine Selbstverständlichkeit.

Als ich zum Ausgang ging, sah ich noch im Augenwinkel Avi. Jetzt war er nur noch Gast und nahm die unaufrichtigen Küsschen der anderen Gäste entgegen, die auch noch in der nächsten Woche ins "minus-1" wollten. Jetzt, wo er hier unter den anderen Stand und ohne den Glanz des Titels der "Herrscherin der Nacht" auskommen musste, da sah ich erst das ganze Ausmaß seine Tragödie. Aber nicht seine bunt bedruckte D&G-Hosen-Kopie entstellten ihm am meisten. Auch nicht das zu kleine und zu enge Samtoberteil mit Strass, aus dem sich der Bauch vorwitzig heraus schob macht ihn zur Witzfigur.

Nicht das Zuviel war es an ihm, dass ihn so dramatisch aussehen lässt, sondern das ZUWENIG. Das zuwenig an Würde. Er liebt nicht, das was er tat und ist. Denn nach 2 Stunden "Herrscherin der Nacht"-sein, war er wieder alleine. Auch unter den ganzen "Bekannten" hier. Und Einsamkeit tut weh.

Ich verließ das "minus-1" und war schon wieder auf den Straßen von Tel Aviv. Es war noch Nacht und ich ging allein durch das arabische Viertel, das Menschen leer war. Ich hatte den Gestank der Bar noch in der Nase und den lieblichen Tinitus der tollen Musik noch in meinem Ohr. Auf meiner Haut verdunstet der Schweiß vom Tanzen langsam in die warme Nacht hinein.

Am Nachmittag hatte ich mir hier den Markt angesehen. Und wie alle arabischen Märkte war das eine Feuerwerk an Farben, Gerüchen und Lautstärke. Hier ein abgehackter Ziegenkopf, dort bedruckte T-Shirts, dann wieder Gemüse und dann wieder CD's. Erst steigt einem Zitronenduft in die Nase, dann stinkender Fisch, dann wieder alles Gemüse des Mittelmeers.

Ein gefundenes Fressen für erlebnishungrige Augen von Fotografen. Aber wer am Abend, wenn der Markt vorbei ist und die Menschenmassen aus den schmalen Gassen verschwunden sind und auch die Händler schon zu Hause sind, über diesen Markt geht, weiß was Einsamkeit, Schmutz und Verwahrlosung ist.

Innerhalb von 12 Stunden sah ich jetzt bei Nacht den Markt ein drittes Mal. Und wieder in einem andern Licht. Jetzt hatte er was von Waffenruhe, von Ruhe vor dem Sturm.

Jetzt war es mir erst möglich in Israel anzukommen. Meine Seele war einfach nicht so schnell wie das Flugzeug gewesen. Sie braucht auch länger als meine Augen die schon tagsüber die Stadt erkundet hatten.

Jetzt war sie wieder bei mir, meine Seele. Und jetzt konnte sie auch die vielen anderen Kleinigkeiten meines ersten Tages in Tel Aviv bemerken. Die Einsamkeit und Ruhe meines nächtlichen Sparziergangs durch Tel Aviv und den arabischen Markt, erlaubtes es mir jetzt die Details meines Tages aufzunehmen.

Jetzt konnte ich mich freuen über das Konzert der Band, die am Nachmittag am Eingang des Marktes auf einem Balkon im 2. Stock spielten und mit ihren E-Gitarren auf die orthodoxen Juden unter ihnen lachten. Konnte sehen wie der Rock&Roll der Band mich fast verleitete die Einschusslöscher auf dem Haus, von dem der Balkon war, nicht zu sehen.

Mit einem Lachen ging ich in der Dunkelheit an der Stelle vorbei, wo mich am Nachmittag noch ein orthodoxer-Teenager-Jude, der bei Leibe nicht unsüß war, durch Flirten zu einem religiösen Gespräch verleiten wollte.

Am Ende des Marktes stoße ich auf einer der Hauptverkehrsadern Tel Avivs, die Straße "Allenby". Und um 4 Uhr Morgens war auch hier Niemand auf den Straßen und kaum ein Auto. Er trennte den arabischen Markt von der "Weißen Stadt".

Das ist der älteste Teil der Stadt die erst 1909 gegründet wurde. Er besteht nur aus Häusern in Weiß, die alle im Bauhaus Stil gebaut wurden und zum Weltkultur-Erbe gehören.

Hier war es schön. Hier war es malerisch. Hier atmete das ästhetische geschulte Auge durch. Und das Gerade und das Schmale wisch hier dem Runden und Geschwungenem.

Und hier ist auch die Straße, die mir am Nachmittag so viel Spaß gemacht hat: "Sheinkin". Das was die Ehrenstraße für Köln ist, ist die Sheinkin für Tel Aviv: jung, hünsch, trendy, modern, frisches Lebensgefühl.

Jetzt war es 4 Uhr und ich war allein. Ich dachte an den wunderschönen schwulen Film "The Bubble" der hier spielt und freute mich über den grandiosen Start meines ersten Tages in Tel Aviv und auf noch mehr Abenteuer in Israel.

Dieser Tag, die schwulen Versprechen aus dem Film und meine Hoffnung, ließ mich Großes für meinen Israel Urlaub hoffen.

Aber jetzt war erst mal Nacht und es war Sabatt. Und da geht ja angeblich GAR NICHTS in Israel. Oder doch?

- to be continued -