20.10.2007

Prisilla, Queen of the Markermeer ! (1. Reisebericht von der Bootstour durch die Niederlande)

Ich sitze hier auf den Stufen und weine. Mir hat keiner was getan. Ich habe allen Grund glücklich zu sein. Aber trotzdem bin ich traurig. Irgendwas in meinem Außen, hat in meinem Inneren was berührt. So das ich traurig wurde.

Es ist kein Schmerz, es ist keine Wunde und auch keine Verletzung. Es ist pure Traurigkeit. Und erschöpft vom Aushalten dieser Traurigkeit nutze ich dieses Weinen um mich von der Traurigkeit zu befreien. Wenn die Tränen fließen ist es für mich wie ein Akt der Reinigung und Befreiung.

Seltsam ist nur das mir das passiert, während ich hier sitze auf den 3 Stufen vor dem wunderschönen alten Haus mitten in Amsterdam. Von der höchsten Stufe aus habe ich einen idealen Blick auf das ganze Geschehen vor mir. Es ist Canal Pride Day. Die Amsterdamer Version des Christopher Street Day. Halt nur alles auf Schiffen und auf den Grachten.

Von meinem „Hochsitz“ aus kann ich schräg gegenüber das „Het Muziektheater“ am Waterlooplein sehen. Zwischen mir und dieser Oper liegt ein großer Platz. Nur hat dieser Platz nicht Steine und Asphalt, sondern Wasser. Denn von meiner rechten Seite fließt die Amstel als namensgebender Fluss in die Stadt und von links kommt eine der Grachten wo die Grand Hotels und leckern Cafés sind. Direkt vor meinen Füßen vereinen sie sich, um gemeinsam in einem dritten Wasserarm Richtung Hauptbahnhof und damit zu den Binnenmeeren Hollands zu fließen.

So sind wir auch nach Amsterdam gekommen. Per Boot von Leiden aus über die Binnenmeere und Wasserstraßen der Niederlande. „Wir“, das sind zwei identische Motorboote mit jeweils 15 Meter Länge und mit jeweils 12 Mann an Bord. Also 24 schwule Junx auf einer Entdeckungsreise durch Holland. Und es gilt irgendwas zu finden zwischen „Der Entdeckung der Langsamkeit“ und dem „Genießen der Freiheit der holländischen Rechtsprechung“.

Auf unserer Reise im August haben wir uns für das letzte Wochenende unserer Fahrt die Tage des Canal Pride ausgesucht. Eins von unseren Schiffen liegt strategisch optimal am Paradeweg, einem Brückenkopf gleich, am Rande des „Platzes aus Wasser“. Von meiner Treppe aus kann ich das ganze Treiben gut einsehen. Jede Brücke, jeder Teil der Promenade, jede Bootsanlegestelle ist überfüllt mit Menschen die feiern und eine Höllen Lärm machen. Das Wasser ist nicht mehr zu sehn, weil jedes Schiff, jede Barkasse und jeder Kahn diesen Tag feiert. Jedes Boot hat ein anderes Motto und einheitliche Kostüme oder zumindest Proviant für vier Karnevalstage an Bord. Die Menschen quetschen sich nicht nur auf die Boote, sondern füllen auch angrenzenden Straßen, Brücken und Ufer voll, wie Styropor ein Neckermann-Packet. Zwischen mir und dem Wasser liegt eine Straße, die ebenso überfüllt ist mit lauten Menschen, die nichts anderes machen, als sich in kleine Gruppen laut gestikulierend aneinander vorbei zu schieben.

Dieses Treiben wurde nur getobt von dem Show-Boot, das vor mir liegt. Turmhohe Boxen bilden die Bühne für die talentierten aber abgehalfterten Sänger, die mir ihren Sing-a-long-Songs, eine volle aber moderne Bierzelt-Atmosphäre schaffen. Sie können gut singen und geben uns den Robin Williams, Joe Cocker und sonstige Evergreens, die in diesen Ameisenhaufen von Menschen gut passen.

Aber sie haben nur den roten Teppich ausgelegt, auf dem jetzt die nächste „Künstlerin“ mich in den emotionalen „Himmel und Hölle“ führt. Die Sängerin kommt offensichtlich aus Surinam, der holländischen Kolonie, und hat ihr verwelktes Äußeres, mit dem plumpen Inneren aller Hollanderinnen gepaart. Gerade deswegen war sie der perfekte Resonanzkörper für meine Gefühle. Denn ihre Stimme und ihr Songauswahl ließ meine Tränen und damit meinen Reinigungsprozess erst richtig anspringen: Shirley Bassey hoch und runter. Also Drama-at-it’s-best. Nach 5 Shirley Songs war mein Karma durch Vor-, Haupt- und Schleudergang wieder rein gewaschen und ich hatte auch allen Weichspüler fleißig in mir aufgenommen.

Ich hatte jetzt wieder genug Kraft zum unserem Boot zurück zu gehen. Aber warum war es soweit gekommen? Was war dort in meinem Inneren berührt worden?

Die Zeichen standen doch ganz anderes. Denn eigentlich sah alles nach einer 5-Sterne Woche aus. Denn um mal die Metapher des Kochens aufzunehmen, war alles da, was eine Haute Cuisine Mahlzeit braucht.

Die Köche waren alle auf Ihre Weise, mit das Beste, was Köln im „late-20-something-Sortiment“ und „early-thirties“ zu bieten hat. Und das nicht nur visuell, sondern auch vom Kopf her. Gescheite Junx, die nicht nur weniger als 14 % Körperfett haben, sondern auch Abitur und Studium.

Die Zutaten zum Mahl wahren zwei Boote wie sie perfekter nicht sein konnten. Je 15 Meter lang, 2er Kabinen, großer Essraum, voll ausgestattete Kombüse und großes Sonnendeck. Da einige die Reise schon mal gemacht haben, war auch die Zusatzausstattung perfekt: Sonnenschirme mit Discokugeln dran, Luftmatratzen, Kisten mit Wein und jedes Boot hatte eine CSD-Paraden-Wagen-taugliche Musikanlage und Boxen, plus Hängematten.

Die Zubereitung dieser Zutaten war ebenso perfekt. Über Binnenmeere, Wasserstraßen und Grachten entdeckten wir in Langsamkeit das Land und hatten dabei einen Rotwein in der Hand, Madonna auf Stufe Maximum in den Boxen und staunende Holländer am Ufer, die unser Disco-Kugel, anstatt einer Landesflagge begafften.

Das Auge isst ja bekanntlich mit und deswegen war auch die Dekoration mehr als nur ansprechend. Denn wir haben auf dieser Reise die abwechselnden Bilder von Landschaften und Städten nicht nur genießen können, weil wir langsam waren. Sondern wir blieben auch einfach mit dem Boot dort, wo wir uns die Natur gefallen hat: auf einem Acker, umgeben von Kühen, aber trotzdem auf dem Wasser. Oder auf einem großen Binnenmeer einfach ankern und die Sonne ausnutzen indem mann mit den Luftmatratzen und mit 20 Junx ins Wasser springt. So das dies eigentlich ein eigenes Pornolabel wert ist.

Die einzelnen Gänge des Mahls waren wohl komponiert. Jeden Abend kochte eine andere Kabine. Es gab eine „German Next Top Model – Male Version“, mit Drag und Contest.

Und das Entertainment-Programm war auch super. Denn als wir an einem Abend auf einem Acker ankerten, grillten und bei Sonnenuntergang eine kleines Feuerwerk zündeten, flohen 100 Kühe panisch vor uns. Dieses Jogging der Tiere wäre auch ohne Folgen geblieben, wenn die umliegenden Bauern diese Angst der Tiere und das laute Schreien diesmal von Mika aus den Boxen, nicht zum Anlass genommen hätte, uns Stadtkinder mal zu zeigen, wo der Hammer und die Mistgabel hängt.

In zwei Autos kamen sie durch die Nacht angefahren und alle Körpersprache von ihnen, sollte zeigen, dass sie mindestens schon mal ein Leben als Kirmes-Boxer hatten. Aggressiv fragten Sie nach dem Skipper. Als dann 24 Sportstudio-gestählte Herren von den Booten kamen, wurden sie etwas rühriger. Sie ahnten ja nicht, dass sich keiner der Junx je geschlagen hatte und sie eher Angst hatten sich eine Nagel zu brechen oder ihr hübsches Gesicht zu verunstalten.

Aber wir packten unser Zeug und verließen den Acker.

Traumurlaub? Einmaliges Erlebnis? Großes Abenteuer?

Nein. Denn bei aller Perfektion und bei aller optimaler Zusammenstellung, blieb es für mich kalt und es entstand nicht Neues. Als Gourmet-Kritiker würde ich hier die Sterne aberkennen.

Aber warum? Vielleicht hilft eine andere Metapher, um die dies zu erklären. Der Film „Prisilla, Queen of the Desert!“ ist ein Road movie. Das funktioniert klassischer Weise so, dass Menschen die sich nicht kennen und am Anfang auch nicht mögen oder gemein haben, aus einer Begebenheit heraus gezwungen sind eine längere Zeit zusammen eine Reise zu machen. Während dieser Abhängigkeit erleben sie gemeinsame Abenteuer und verändern so ihre Sicht auf sich selbst und den Anderen. Um somit dann Freunde zu werden. Das eigentlich Ziel ist nicht mehr bedeuten und der Weg war das Wichtige.

In dem Film „Prisilla“ tanzt eine Drag-Queen als Maria Callas verkleidet auf dem Bus, der durch die Wüste Australiens fährt und sie „singt“ eine Arie dieser Sängerin. Dieses Gefühl auf diesem Bus, ist die Kraft des Inneren, dieser Filmfigur. Und weil alle anderen beiden Hauptfiguren auch diese Kraft suchen und spüren, werden diese Männer Freunde.

Auf meiner Odyssee durch Holland war ich zwar nicht im Fummel, aber oft an Deck tanzend und singend zu Madonna, Mia, Mika und Co. Aber in der ganzen Woche habe ich nie eine gemeinsame Kraft der Junx gespürt. Jeder wollte das perfekte Dinner. Bekommen haben wir nur überschaubare Teller mit wenig drauf. Aber weil alles so perfekt schien, hat sich keiner getraut es zu sagen, dass es nicht schmeckt. Und so blieben wir von einander getrennt und damit nicht wirklich im Kontakt.

Und das heißt Distanz. Und das heißt Enttäuschung und Traurigkeit.

Aber mein Karma war jetzt wieder im Klaren und ich konnte mich in die dunklen Seiten des Amsterdamer Nachlebens stürzen. Um zu lernen, dass „Küsse, lügen nicht.“ Aber das ist dann im nächsten Reisebericht.

Für die Visuellen unter Euch:

PS I : Internet-Seite mit den Bootsinsassen und den Booten :

http://www.ms-laziness.de/

PS II : Internet-Seite mit Pix von der Fahrt :

http://www.flickr.com/photos/queerstreetriot/sets/72157601328119046/

PS III : Internet-Seite mit Pix von Canal Pride 2007:

http://www.flickr.com/photos/queerstreetriot/sets/72157601309928974/

PS IV : Geschnittenes und Gesamt-Video