31.08.2003

Die Gräfin. (1. Reisebericht aus Wien)

Das Kaiserbründel in Wien ist eine Sauna.

Es war einmal die türkische Gesandtschaft. Als Prinz Eugen die Türken vor Wien geschlagen hatte, bekamm er dieses Haus geschenkt. Die Dankbarkeit des Kaisers kam dem Prinzen zu pass. Nicht nur war die Gesandtschaft ein schmuckes Stadthaus, unweit vom Stephans Dom. Ein Steinwurf vom Graben weg, Wiens erster Adresse. Nein, als türkisches Haus hatte es auch eine Sauna. Und als schwuler Mann, ließ sich so was ja gut nutzen.

Dem Prinzen gehört schon das Oberer und Untere Belvedere. Das viele schönere Stadtschloss. Jenseits des Protzes der Hofburg und viel geschmackvoller als Schönbrunn. Geschmacks sicher als Hausherr, siegreich als Feldherr und aufopfernd als Herr seiner Soldaten. Dazu noch vermögend. Das nennt mann wohl erfolgreich.

Wie auch immer. Heute ist die Sauna schwul und unweit vom größten H&M Ladens Wiens. Wer es betritt... Nein .. als ich es betreten habe, fühlte ich mich wie der Novize aus dem Film „Der Name der Rose“ als er zum ersten mal die Abtei in den kargen Bergen des Nordens Italiens betrat.

Ein Panoptikum der verschobensten Menschen und Gesichter umspült mich. „Wer es betritt...“, habe ich geschrieben, weil ich hier schon seit mehr als 10 Jahren hinkomme. Immer wenn ich nach Wien komme. Ich glaube daher, was ich schreibe, gilt für alle.

Aber das Panoptikum ist nicht der einzige Schock. In Sekundenbruchteilen ist mann Mitten in der KuK-Zeit. Ein langer Cat-Walk begrenzt aus kleinen Tisch-Kabinen mit vielen Sultan-Säulen und sonstigem Kitsch später, komme ich dann in das „Stiegenhaus“.

Hier im Ausland heißen die Umkleidekabinen „Kastel“. Das Schild hierfür führte mich aber auch an einem Gemälde vorbei. Darunter stand: „Unsere Gräfin“. Darauf war keine entfernte Verwandte des Prinzen zu sehen. Sondern der älteste Gast der Sauna. Und das „älteste“ kann mann ruhig wörtlich nehmen. Dem Maler ist es gelungen einen Augenblick festzuhalten, wo der alte, sympathische Herr mit verrutschtem Handtuch auf einem alten Sofa voller Stolz den Betrachter wohlwollend fixiert. Und er erfreute sich ganz nebenbei an einer 2 Meter langen Perlenkette, die auf seinem sonst nacktem, hängenden Körper und um den Hals baumelte.

Als ich mich umgezogen hatte, passierte ich die Gräfin noch mal – die saß immer noch huldvoll da auf Ihrem Gemälde- und ging das Stiegenhaus hinab. Eine majestätische Treppe führte in den Keller. Und alle Möbel, Wände und Gerüche müssen wohl noch original sein.

In der ersten Etage vom Keller ist mann sich dann sicher, das die Sauna und das Schwimmbecken original ist. Nicht nur wegen den Gerüchen.

Aber vor dem Schwimmbecken muss mann durch die „Hall of Athen“. Ein Saal von 70 m2 mit Wandbemalungen á ler Troja. Nur halte auf schwul. Schon was sehr besonderes... Geht mann weiter, kommen die Kabinen.Die zwar viel junger als das türkische Mobiliar sind, aber auch viel hässlicher.

Die Enttäuschung wuchs auch immer mehr, je mehr ich von dem Panoptikum sah. Alte. Dicke. Hässliche. Aufdringliche. Einsame. Mutlose Menschen. Ehemals Männer.

Doch kommt mann irgendwie auf verschlungenen Pfaden in die 2. Etage des Kellers. Und findet das Gewölbe der Gesandtschaft. Im Stil fast gotisch. Original. Mosaike im wunderschönen maurischen Stil an den Wänden. Acht Säulen halten die Decke und schenken den Besuchern Nischen und Höhlen. Zwischen den Säulen hingen Leuchten aus dem Jungendstil. Überhaupt das Licht. Es lässt die Sauna, Sauna sein.

Zeit. Raum. Sorgen. Aufgaben. Sind nicht mehr hier. Alles steht still. Und nun beginnt langsam meine Zeitreise ins Ich.

Begleitet von Musik die jedem Chill-Out auf Ibiza vergessen lässt. Ein Labyrinth zum verlieben ist auch da. Und er der Ostblock findet sich in den Gesichtern. Slowenen, Tschechen, Österreicher, Stricher, Wiener All-Stars. Alles Eben.

Und ich ließ mich ein.

Auf den Cocktail aus Musik zum fliegen, warmer Dunkelheit zum fühlen und einer Grotte der Langsamkeit. Das Gemäuer hilft so sehr Ruhe zu finden. Entspannende, wohltuende Ruhe!

Unter der 2. Ebene ist die Hausquelle. Mann sieht durch zwei in den Boden eingelassene Scheiben die Stufen zur Quelle. Vielleicht beruhigt ja das Wasser so sehr.

Und nach all den Schocks und auf und ab’s, habe ich alle Zickigkeit, Vorlieben, Verhaltensregeln im Kastel gelassen.

Und werde ganz KuK: im hier uns jetzt sein; Langsamkeit; Vergangene Pracht.

Das Labyrinth ruft.

Wien ich komme.




Wien, 31.08.2003

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