19.04.2020

Der Baum und Don Quichotte

Erst habe ich es gar nicht gehört.  Es war ja auch kein Geräusch. Ganz im Gegenteil. Es war eine fühlbare Stille. 

Er lag unbeweglich und weit verzweigt queer über dem Weg. 

Ich hatte einen anderen Weg als sonst genommen. Bei meiner üblichen Jogging Strecke strebe ich immer nur den Scheitelpunkt an. Ein gut funktionierender Trick um mich für eine viel weitere Strecken zu motivieren.





Auch diesmal bin ich bis zum Scheitelpunkt gelaufen, also der Stelle wo sich zurücklaufen nicht mehr lohnt. Ich hatte aber schon die ganze Zeit Musik in meinem Ohr und Gefühle in meinem Bauch, die wie eine Vorahnung waren. 



Und jetzt stehe ich am See, um den ich so gerne laufe. Ich nenne ihn Otto. Den See. Ich rede viel mit ihm. Meistens schreie ich in an. Manchmal sagt er mir die Dinge, die ich nicht hören will. Manchmal die Dinge die ich übersehen habe. Manchmal zickt er und schweigt. Aber er ist immer eine Quelle der Wahrheit. 


https://drive.google.com/uc?export=view&id=1h2_-4s5Jj0DI-k20PCK7cR81F02FkND-




Um ihn herum gibt es zwei unterschiedliche Wege. Direkt unten am Wasser entlang. Oder ganz oben herum. Den dieser See ist ein freundliches Überbleibsel der Braunkohle Gewinnung. 


https://drive.google.com/uc?export=view&id=1V12dxa8_99-_mLE_XK3dhpwZWKPfdCFH

Aber anstatt dem untern Weg um um den See herum weiter zu laufen, bleibe ich stehen. Schaue auf die volle Länge des Sees und folge meinem spontanen Impuls den Weg rauf zu laufen. Ich wendete mich von Otto ab. Diese obere Strecke hatte ich mir bisher noch nie erlaufen geschweige den gesehen. 

Und kaum war ich oben, hatte auch das letzte Geräusch gestoppt. Mein Atmen. 

Ich stehe nun vor dem Baum. Und diese Sekunde ist wie Blitzschlag der mich trifft. Weder darum. Noch darüber. Geschweige dann drunter. Ich war unfähig der Baum hinter mir zu lassen. Mitten in einem Park war mein Weg wie ein Gefängnis, einer Zelle gleich. 

Es gab für mich nur einen Ausweg aus dieser Stille und dieser Zelle. Ich musst „in“ den Baum. 

Stille war bisher etwas was, das Aussen betraf. Ich hatte schon lange die Musik abgestellt. Vögel oder Spaziergänger waren weder zu hören noch zu sehn.  Und diese unnatürlich Stille war die Voraussetzung. 

Nur so war es mir möglich den Wind zu hören, der sich in den Ästen des Baums verspielt vergnügte. Nur so konnte ich das Echo dieses Windes, schon seit dem ich losgelaufen war spüren. Nur so konnte ich diesen Sirenen genüge tun und ihrem Lied folgen. Deren ewiges Lied nur in meinem Inneren zu hören war. 

Und jetzt geht es ganz schnell. Geschickt ignoriere ich die kleineren Äste  und stürze mich direkt auf einen der größeren Äste. Und ja. Ich fange an mit einem toten Baum zu kämpfen. Ich reiße wie ein Berserker einen Ast ab. Er ist morsch und meine unbändige Kraft läuft ins Leere und ich falle schmerzhaft auf den Arsch. 

Und einem gewissen Spanischem Ritter nicht unähnlich, nehme ich mir gleich den nächsten Ast vor. Wieder lege ich meine ganze Kraft rein. Diesmal ist der Ast alles andere als morsch. Ich schaffe es nicht ihn abzubrechen. Und deswegen reisst mir der Baum den Ast wieder aus der Hand und schlägt mir den Ast wie eine Peitsche auf einer meiner Rippen. 

Keine Frage, ich kämpfe mit dem toten Baum und ich verliere.  Aber warum kämpfe ich? Weder gibt es eine Dulcinea von Toboso für die es sich lohnt. Noch einen sexy Sancho Pansa. 

Die Antwort auf diese Frage schein mir nicht so wichtig zu sein. Ich ziehe es vor auch von dem dritten Ast und dem Baum gedemütigt zu werden. 



Dieser Baum liegt wie unüberwindbarer Zauberbaum vor mir. Und scheint mir immer überlegen. 

Jetzt war ich bereit. Jetzt wusste ich, das ich mit Kraft nicht weiter kam. Ich war entwaffnet. Stand nackt gleich in diesem Zauberbaum. Und vielleicht kommt gedemütigt sein, ja tatsächlich von Demut. 

Und da höheren die Windmühlen auf sich zu drehen. Das geben die Äste den Weg frei. Und voller Demut senke ich meinen Kopf und gehe durch die Lücke, die mir der Baum jetzt zeigt. Zögernd, zitternd und weinend schlüpfe ich durch die Lücke unter dem Hauptast des Baumes. Verängstigt harre ich der Dinge die der Baum jetzt mit mir machen wird. Der Dinge die hinter dem Baum auf mich warten. 

Nichts. Rein gar nichts passiert. 

Der Baum ist wieder einfach ein Baum. Ein grosses Stück Holz auf meinem Weg.

Ich berühr den Baum das letzte mal und fange an zu laufen. 

Schnell zu laufen. Sehr schnell. Schneller als meine Tränen. 

Sie höhen nicht auf. Den sie wissen, was ich fühle: „ich werde den Baum nie wiedersehen.“

Keine zwei Tage später traue ich mich wieder die Strecke zu laufen. Ich suche verzweifelt die Stelle wo der Baum liegt. Weder liegt er auf dem Bauch. Noch kann ich ihn unter den anderen gefällten Bäumen identifizieren oder finden. 

Der Zauberbaum ist weg. Für immer. 

Ich nenne ihn Amfortas. Seine Schmerzen waren meine Schmerzen gewesen. Seine Tod ist aber nicht meiner. 



In schreibe diesen Text an Ostern 2020. 

In Liebe zu meinem Vater. 


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