27.07.2003

Da ist Sie ja. (3. Reisebericht aus Barcelona)

Da ist sie ja: die Melancholie! Habe ich ja lang genug dran gearbeitet. Vier Nächte lang. Habe bis zur Erschöpfung meinen Körper, meine Seele, mein Gehirn und meine Sinne überreizt. Habe meine Luxus-Apartment kaum gesehen und mir die Nacht in Barcelona zum Tag gemacht. Und dann ist mann halt mal am Ende der Kraft. Am Ende der Energie, am Ende der Synapsen-Endköpfchen. Alle Farben, Menschen, Sex, Stadtviertel, Bauten, Baustile, Strände, Aufmerksamkeit hatten ich wie ein Schwamm verzehrt. Und gab sie nicht wieder her. Ach doch. Jetzt... Wie auch immer.

Der Samstag war also traurig. Ein Blau das nicht weh tat und doch der Blues war. Ohne Frühstück und ohne Kraft in die Stadt. Ok ich hätte es wissen müssen: in dieser Verfassung finde ich selbst in drei Zara Läden nichts. Selbst der Strand von Barcelona war zu viel für mich. 39 Grad und keine Kraft zu haben ist kein gutes Gespann. So habe ich mich dann zurück in die Stadt gequält. Und meiner Stimmung entsprechend ging ich durch das alte gotische Viertel. Dessen Wände und Türme, dessen Mauern und Gassen, dessen Schmutz und Geschichten sehr gut zu meinem Blues passten. Diese runtergekommenen Gassen die nur noch schön sind, weil die Sonne ihnen Farbe gibt, waren auf Anhieb meine Freunde geworden. Durch Sie schleppte ich mich voller Sand, Schweiß und Sonnencreme von außen. Und voller Trauigkeit, süßer Erschöpfung und angenehmer Schwäche von innen. (Huch, ich schreibe was von SCHWÄCHE!!!???) Ich schleppte mich ins: Schilling. Ein altes Grand Cafe. Mitten im alten Nuttenviertel. Gleich neben dem Place de Real. Dieser alter Habsburger Platz war schön und runtergekommen. Oder schön, weil runtergekommen? Und so war auch das Schilling. Eine Mischung aus Schönem, aus Vergangenem, aus stehen gebliebenen und voller Typen die jeden Fellini Film zu Ehre gereicht hätten.

Und da sass ich und lass mein Buch. Draußen waren es inzwischen 40 Grad und ich war noch außen und wie innen "schmutzig". Es war kühl durch die Air Condi. Ich bestellte eine Cafe und ein Bier. Captain Todesmischung bei 40 Grad!

Und als ich mein Buch so lass, ist es dann passiert... Denn es gibt zwei Arten von Büchern die uns berühren können. Das Buch das von dem Leben zeugt was wir gerne leben würden. Und das Buch das von dem Leben berichtet, das wir führen. Das erste ist für junge Menschen. Das zweite ist fuer nicht mehr junge Menschen. Das ersten ist für die Zukunft, das zweite ist für die Vergangenheit.

Meine Körper war in einem Wellenbad. Gerade noch die Hitze, jetzt die Air Condi. Erst der Cafe, jetzt das Bier. Die Müdigkeit und Erschöpfung. Und dann das! BJORK ! Sie spielen in diesem Kaffee Bjork! Stand es mir etwa ins Gesicht geschrieben ,das ich nicht mehr konnte? Das war ja wie in einer Urschrei-Therapie. Keine Musik passt besser zu dieser Stimmung von Kopf und Körper, als diese schwere Trauer von Bjork!

Ich lass "Die Wilden Jahre" von Allan Gurganus. Ich war auf den letzten Seiten. Zwei waren schon gestorben. Die Dritte sagte gerade das sie bald sterben würde. Und der Ich-Erzähler benutze Meine Woerter, Meine Sprache, Meine Erfahrungen, Meine Gedanken. Und dann ist es halt passiert. Die Trauigkeit, die süße Erschöpfung und die angenehme Schwäche bildeten zusammen mit dem Buch und Bjork eine Band und spielten mich zum WEINEN.

In kaum einem Moment ist mann der Antwort näher auf die Frage : "WER BIN ICH?", als im Zustand der Erschöpfung, weinend in einem Cafe. Nur was fängt mann mit der Antwort an? Ist die Antwort nicht gefährlich? Wir mann dann vom Suchenden, zum Wissenden? Also im aristotelischem Sinnen TOD!?

Dieser Zustand finden andere nur durch Meditation, Arbeit oder Drogen oder was weiß ich wie. Wir Schwule machen es durch Ausgehen und SEX. Feuerbach war einer der ersten, der die Behauptung aufgestellt hat, das die katholische Dreifaltigkeit ihren Ursprung in dem Freudschen Dreiklang : ES, ICH, und ÜBER-Ich hat. Wenn das Stimmt, haben wir Schwule unser rosa Dreieck in Küssen, Zärtlichkeit und Geilheit gefunden.

Das rosa Dreieck macht uns zu Getriebenen. Denn wir sind immer an einer Ecke des Dreieckes, aber nie in der Mitte. Haben wir das eine, fehlt das andere. Genießen wir das eine, vermissen wir das andere. Deswegen nennen sie uns die Zerrissenen.

Richte in einer Ecke Dein Zuhause ein und du wirst selig. Richte in zwei dein Zuhause ein und Du wirst glücklich. Richte Dein Zuhause in drei ein und Du wirst ERLEUCHTET sein. Schade das das Lichte dann immer nur ein Tag brennt.

Ein Tag voller Emotionen. Ich sass also in dem Schilling und weinte über...ja was eigentlich? Und schon sah mich der Gott des rosa Dreieckes und schenkte mir einen Nachmittag im vollem Licht...der Erleuchtung.

(Von den großen Händen:) Ich verließe mit diesem Menschen aus Lyon das Schilling. Und als David, der schwarze Koenig der Zärtlichkeit, meine Hand in die seinen nahm, brachen mir die Knie weg. Mitten auf den Ramblas, unter 1 Millionen Touris, mahm diese Hand, die groß wie eine ganze Bergkette war, meine Hand in die seine. Diese Gefühl war mehr als Sex. Warum bloß? Weil mann sich wieder wie 4 Jahre fühlt und der Vater einen mit nimmt auf einen Spaziergang. Er nimmt einen an die Hand und mann weiß als Sohn, das einem nichts, aber auch gar NICHT passieren kann, in dieser Welt. Solange diese Hände einen fassen. Mehr Urvertrauen geht nicht.. Oder ist es doch nur gay intuition, das mit solchen Händen mann sich in gute, in g r o ß e Hände begibt?

Immer meine ich, das ich der der sein muss der alles regelt, der alles managent, der die Dinge tut. In diesem Sinne quasi Zwanghaft. So auch im Schwulen Small Talk, dem FICKEN. Oft leide ich darunter. Ok Ok Leiden auf sehr hohem Niveau-. Ich kann mich von diesem Zwang nur frei machen, wenn ich eine bestimmt Art Männer treffe. Diese Männer sind sehr sehr zärtlich, aufmerksam, intensiv, gebend. Haben einen Körper, der keine Fragen offen lässt. Haben Küsse , die nur Antworten sind. Einen Schwanz der Stille gibt. Sie sahen aus wie David. Sie waren immer schwarz. Warum muss ich immer erschöpft sein, um sie zu sehen???

So wurde die Melancholie an einem Nachmittag vertrieben. Vertieben vom Licht der Erleuchtung.

Am Abend. Am Samstag Abend! Sass ich mit Bertie im Restaurant. Eine 11-köpfige katalanische Familie betrieb es. Wir hatten jeder 5 Gänge. Und eine Gespräch viel tiefer als das Mittelmeer und viel wärmer als das grösste Karl-May-Lagerfeuer. So das ihr euch vorstellen könnt, das ich voll im Magen mit den leckersten Speisen, voll im Blut mit den schönsten Hormonen, voll im Kopf mit den schönsten Gedanken, den Samstag Abend , habe Samstag Abend sein lassen und den schoensten und tiefsten Schlaf dieses Jahres zu hause gefunden habe.

So es ist Sonntag 13:26. Die anderen Gäste des Guesthouese Tony&Alex kommen von Ihrer Nacht zurück. Wer sich erinnert...gerade kommt die Belgische Praline rein. Mein Gott, warum bleibt das Licht der Erleuctug nur einen Tag. Mein Zwang ist wieder da. Diesen belgischen marzipan-nougart Mund will ich gerne noch mal Kussen. Scheiße. Es ist schon 13.30. Frank, der Richter wartet im ....Schilling!

PS: Bekomme ich jetzt in Köln alle Drinks frei, wo mir doch Jean-Paul Gaut.... am Arsch gepackt hat?

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