22.05.2004

Maiglöckchen. (Kölner Nachtreisebericht)

Es sind nicht viele. Aber doch genug, das sie eine konstanten Klangteppich abgeben. In allen Räumlichkeiten klingelt es leise vor sich hin. Manchmal leise, mal werden sie lauter wenn sie näher kommen.

Der leise Ton eines einzelnen Glöckchen beruhigt mich sehr. Hier an diesem Ort allein zu sein, schein mir doch sehr ... beängstigend. Und so ganz kann ich mich auch nicht entscheiden. Sind die Maiglöckchen jetzt eher so etwas wie die Rum-Tonne um den Hals eines Lawinen-Bernerdieners oder doch eher so was wie die Signal-Glocke bei einer Heiligen Kuh.

Aber Eines nach dem Anderen. Ich betrat also die neue große Mai-Wiese Kölns. Und natürlich tummelten sich alle Archetypen. Das war das Maiglöckchen jung und unverbraucht. Mann hatte Angst das jeder Windzug zu stark für es ist. Und dar war auch schon das ältere Maiglöckchen. Meistens mit dickem Stängel und eher liegend, als wirklich aufrecht stehend. Und auch das unnahbare Maiglöckchen war da.

Ganz und gar nicht mag ich die Maiglöckchen, die sich regelmäßig im Herbst mit größtem TamTam von der Wiese in die Ehe verabschieden. Alle Brücken zu Wiese werden dabei theatralisch abgebrochen. Mann löscht alle Profile, nicht ohne sich vorher lauthals zu verabschieden. Schnell werden noch alle Versuchungen verdammt, die mann denn Sommer über noch so gefrönt hat. Ich lese dann immer die Texte im Profil: „Endlich habe ich IHN gefunden! Nach langem suchen, habe ich den idealen Mann an meiner Seite. Kommende Woche ziehen wie zusammen!“ Ich wünsche Euch genauso viel Glück.“

Da kotze ich!

Zum einen löschen diese Archetypen von Maiglöckchen nur eines Ihrer Profile. Und zwar das mit dem Facepic. Die anderen 27 bleiben mal sicherheitshalber noch in Petto. Und weil mann ja nicht unhöflich ist, kann mann die Fuck-Buddies in den ersten Monaten auch nicht sofort vor die Tür setzten.

Trifft mann diese Maiglöckchen in der Stadt und mann fragt sie wie es Ihnen denn so geht, schreien Sie einem entgegen, wie das Hässliche Entlein in dem Film „Muriels Hochzeit“: „MARRIED !!!“

Mir kommen dies Maiglöckchen immer wie Indische Frauen vor, die nach der Tod Ihres Mannes freiwillig und froh gelaunt mit auf den Scheiterhaufen gehen. Zu mindestens machen sie so eine Aufstand, wenn Sie im Herbst die Wiese verlassen.

Ich bin ja immer wieder gerne höflich. Ganz besonders gerne im Mai. Wenn diese Maiglöckchen auf die Wiese zurück kommen. Dann grüße ich ja überschwänglich. Erkundige mich intensivst nach dem verbleiben des Göttergatten. Und bin fürchterlich erschüttert über die Trennung.

Soziologisch-Stammesrituell versteh ich das Handeln dieser Maiglöckchen ja. Sie wollen das gleich haben, wie die Heten-Glöckchen. Eine Hochzeit ist das einzige Ritual, das so viel ungeteilte Aufmerksamkeit, Glück und Wohlwollen verheißt.
Von den vor Glück weinenden Mammis, über die bisher so verhassten Nachbarin, bis zur unbekannten Brötchen-Verkäuferin. Alle strahlen einen an und fragen verheißungsvoll: „ Wann ist denn der glückliche Tag?“ Selbst der Vater, um dessen Aufmerksamkeit und Liebe mann schon sein Leben lang gebuhlt hat, legt stolz den Arm auf die Schulter des Sohnes und strahlt einen mit den Worten an: „Gute Partie, mein Sohn!“

Wenn dann sogar die alten Saufkumpanen noch ankommen und sich umständlich dafür entschuldigen, dass sie einen nicht mehr zum Zug durch die Gemeinde einladen, weil mann ja jetzt Verantwortung trägt. Weiß jeder Bräutigam welchen Fehler er begannen hat.

Nichts desto trotz wird mann bei der Hochzeit vor Liebesbeweise von allen Seiten überschüttet und wird wohl nie mehr so ein starkes Gefühl haben. Ein Gefühl des am rechten Platz seins. Des Angekommen seins. Ein Gefühl das Richtige und weithin akzeptierte zu tun.

Kurz und gut: ein Ritual, das dem Paar, der Sippe und der Nachbarsippe deutlich macht: Lass die Finger von diesem Paar!

So viel gesellschaftliche Anerkennung will natürlich auch unser Maiglöckchen haben! Nur das funktioniert leider nicht.

Soziologisch-Stammesrituell hat unser Maiglöckchen nämlich vergessen das dieses Ritual der Arterhaltung dient. Und egal wie sehr es sich um die Historische Aufarbeitung der aktuellen „Dolce & Gabbana Kollektion“ verdient gemacht hat, neue kleine Maiglöckchen werden daraus nicht.

Und die Mammis weinen zwar, aber Ihr Blick sagt eher so was wie: „Was werden die Nachbarn sagen?“ Und die Brötchen-Verkäuferin wird jeden Morgen einen ansehen und einen Gesichtsausdruck haben, wie „Ich habe es ja gleich gewusst. Wer jeden morgen Vollkornbrötchen und Orangenmarmelade kauft, der muss ja...“

Normalerweise wird ja auch die Sippe im Umkreis von den nächsten drei Blocks mit allen nötigen und unnötigen Informationen versorgt. Was trägt die Braut drunter? Mit wem hatte Sie vorher schon was? Wie viel Geld kostet die Hochzeit? Wie viel zahlen davon die Schwiegereltern? Diese Informationen diffundieren schnell möglichst durch die Sippe, indem die Bräutigam-Mutter dies unter dem Siegel der Verschwiegenheit der besten Freundin erzählt. So geht es am schnellste.

Bei unserem Maiglöckchen wir die Mutter aber schweigen, die beste Freundin der Mutter bekommt keine Siegel zu sehen und auch sonst ist es sehr ruhig in der Sippe.

Der Vater nimmt das Maiglöckchen zu Seite und sagt “Hättest Du damit nicht warten können, bis Deine Mutter und ich unter der Erde liegen?“

Und die lieben Saufkumpanen sprechen einen diskret darauf an, ob mann dem Bräutigam nicht die restlichen Eintritte der Zehnerkarte der Phoenix abkaufen kann.

Und weder die Nachbarn, noch die Sippe und erst recht nicht die Nachbarsippe, geben nur ein Funken Respekt auf dieses Paar. Im Gegenteil. Einen schwul-verheirater Mann fehlt noch in vielen Sammlerkollektionen!

Und aufgrund dieser schlechten Startbedingungen, treffe ich dann diese Maiglöckchen immer und immer wieder an diesem Ort. Das Profil ist stillschweigend wieder online gestellt. Der Profiltext trägt in jeder Zeile und in jedem Wort eine Trauerband. „Und das war sowieso nicht der Richtige.“ (Vielleicht klappt es ja mit dem Ritual einer Witwe?)

Dieser Ort, das ist die Richard-Wagner-Str. 12. Voll mit Maiglöckchen. Die neue Wiese ist hier seit vielleicht drei Monaten auf. Und als zweit Sauna der Phoenix-Gruppe in Köln, eine willkommene Abwechslung in der hiesigen Saunalandschaft.

Voller Neugier gehen die Maiglöckchen hier hin und entdecken die zwei Ebenen. Die großen, langen Gänge sind recht dunkel und viele Abzweigungen sorgen für ein verwirrendes Ambiente. Eine freie Fläche ist ja auch recht ernüchternd und weniger vielversprechend.

Berühmtheit hat die Sauna bereits jetzt für seine erfischende Political INcorrectness. Die Dampfsauna ist als Tempel der Lust nicht nur die größte in Köln, sondern auch mit einer Diskriminierungsspalte versehen. Das Labyrinth geht zwar klassisch im Kreis, aber am weitesten vom Eingang entfernten Punkt steht ein Mauervorsprung sehr nahe an der Wand. So das mann nur weitergehen kann, wenn mann unter 100 Kilo hat. Gerade mal 30 Zentimeter ist diese Spalte breit. Und es macht einen heiden Spaß zu sehen, wer und wie, sich dort alles durchzwängt. Böse Zungen behaupten das gehört zum Artenschutz der Maiglöckchen. So das junge schlanke Maiglöckchen sich schützen können, vor den großen fetten Maiglöckchen.

Neue Sauna, neue Rituale. Jeder Gast bekommt am Eingang seinen Schlüssel. Nicht wie sonst an einem gewöhnlichen Schwimmbadband, sondern an einem schmalen Gummiband befestigt. Wahrscheinlich bei Gummi-Grün am Neumarkt engros eingekauft. So das der Schlüssel, beim Gehen in diesem schönen Wonnemonat Mai, immer wie ein kleines Glöckchen klingelt!

Und wie verwirrend das Ambiente auch immer sein mag, der liebliche Ton der Maiglöckchen weißt einem immer den Weg. Der Ton kommt mal näher, mal wird er wieder schwächer. Mal ist er aufdringlich, mal rhythmisch. Nur wenn auf der Wiese Stille ist, mag mann das so gar nicht als Maiglöckchen.


Köln, 22.05.04

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.