30.07.2007

Der letzte Tanz gehört Ignacio. (3. Reisebericht aus Madrid)


Bei meinem ersten Mal war ich noch schüchtern und zurückhaltend. Ich wusste nicht genau wie meine Gegenüber reagieren würden. Ich war überrascht, wie viel Spaß es machte und wie viel Energie es mir gab.

Mein erstes Mal war in der Bundeskunsthalle in Bonn. Nach vielen Museumsbesuchen, wunderte ich mich immer wieder, warum ich nach toller Kunst und kurzer Zeit immer so müde wurde im Museum. Zum Schluss der Ausstellungen war ich wie eine leere Batterie.

Dabei ist die Lösung so einfach: Tanzen. Tanzen im Museum! MP3-Player an und abtauchen in die eigene Lieblingsmusik. Langsam die Ausstellung einer Bühne gleich betreten. Genau hinhören, welcher Tanz das Haus einem vorgibt. Und dann geschwind an den Aufsehern, den anderen Besuchern und sonstigen Menschen vorbei tanzen.

Gleich am ersten Tag meines Aufenthalts in Madrid habe ich den Stolz, die Würde und den Patriotismus dieser Stadt gespürt. Und zwar im Museo Reina Sofia - eine Sammlung von Spanischer Kunst des 20. Jahrhundert. Das Haus strömt in seinem Haupthaus aus dem 18. Jahrhundert und auch in seinem 2005 zugefügtem Neubau von Jean Nouvel, den Flamenco aus. Seine Spanische Kunst gebietet und durchdringt einen quasi mit Flamenco. Zu mindestens für mich. Und so fange ich dort das Tanzen an, durch alle Stockwerke, an allen Werken vorbei, auf meine Art Flamenco zu tanzen. Ich laufe, springe, wechsele die Richtung, komme wieder, werde schneller, werde langsamer, verharre und nehme wieder Fahrt auf. Laufe in Bilder rein und wieder raus. Wechsel die Perspektiven. Lasse den Zufall die Reihenfolge bestimmen. Komme oft zu Bildern wieder. Wie ein Tiger im Käfig tanze ich alles ab. Meine Angst Details zu verpassen: war unnötig. Meine Vorbehalte der Kunst nicht gerecht zu werden: waren überflüssig. Meine Beharren auf die traditionelle Art Kunst zu betrachten: waren überholt.

Vielmehr habe ich so mein Denken und Fühlen zusammen gebracht. Ich kann quasi so direkt in die Alpha-Phase mit meinem Gehirn kommen und kann so viel mehr wahrnehmen. Mehr Details aufnehmen. Und noch wichtiger: viel mehr mit bereits Erfahrenem und Erlebten verbinden.

Bei meinem zweiten Museum in Madrid, dem Museo Thyssen-Bornemisza, war der Tanz ein ganz anderer. Auch wenn diese Sammlung die Europäische Kunst der letzten 800 Jahre repräsentiert, ist hier das Haus und seine Werke modern und schnell und prägnant. Und so tanze ich hier den Foxtrott. Oder so was Ähnliches. Mein MP3-Player versorgt mich mit schneller und entsprechender Musik. Die Aufseher werden schon ganz hektisch. Griffen oft zum Mikro und versuchten mir nachzulaufen. Natürlich ganz unauffällig. Besucher schauen irritiert. Wenn ich mich früher noch darüber geärgert habe, dass vor „meinem nächsten Bild“, zu viele Leute standen, tanze ich heut freudig dran vorbei und komme dann irgendwann wieder.

Mein drittes Museum in Madrid und nicht zu unrecht eines der Berühmtesten, ist das Museo del Prado. Seine Größe und seine Meisterwerke sind beeindruckend. Velázquez, Goya, El Greco und und und. Aber auch italienische und flamische Meister. Bis zu den Deutschen im 18. Jahrhundert.

Nur an diesem Tag war ich traurig. Und einsam. Und ich fühlte mich verlassen. Es war emotionell bei mir angekommen, das meine Zeit vorbei war, als Junkie für die Droge der Nähe, dem Joint der Zärtlichkeit und des „Ecstasy’s” des gemeinsamen Einschlafens. Die zwei langen und wunderschönen Wochenenden in Köln mit Kley waren wie ein Rausch und ich war jetzt abhängig davon. Und wie jeder Abhängige bekam ich bei einem kalten Entzug, einen Cold Turkey. Und das machte ja Kley mit mir: einen kalten Entzug. Er schaffte Distanz, dort wo vorher Nähe war. Er lebte jetzt das Normale, wo ich doch das Besondere von ihm gewöhnt war.

Nach Tränen unter Palmen im Parque del Retiro direkt vor dem Prado, war ich in dieser Stimmung ins Museum gegangen. Dies an einem Sonntag zu tun, war nicht besonders schlau. Die Menschenmassen erschlugen die Kunst. Und trotz meiner Museums-Tanz-Technik und sehr guter Musik auf dem MP3, war ich zur Langsamkeit gezwungen. Und so tanzte ich wie Richard Gere in American Gigolo zu Carpenters und sonstigen 60ties Songs: halb gehend, halb tanzend.

Bis ER vor mir stand: Ignacio. Das ist die spanische Kurzform des lateinischen Ignatius und bedeutet: „der Feurige“. Sein Aufseheranzug saß auffallend perfekt und war an den wichtigen Stellen vielversprechend. Sein Äußeres war ganz und gar das eines Madrilenen. Hell weißes Gesicht, dunkel schwarze Haare, eher hager und groß. Um es mal ganz genau zu nehmen, sah er aus wie Philipp von Spanien (Felipe Juan Pablo y Alfonso de Todos los Santos de Borbón y Grecia), der spanischer Thronfolger, Fürst von Asturien und Fürst von Girona, Sohn von König Juan Carlos I. von Spanien und dessen Gemahlin Sophia.

Plötzlich stand er fast 2 Meter groß vor mir im Saal 9, direkt vor dem Peter Paul Rubens Gemälde „die drei Grazien“. Erhaben und respekteinflößend fordert er mich wortlos auf ihm zu folgen. Er geht durch die Säle des Pardos, als währe das sein Museum. In Verwaltungstrakt konnte ich vor dem Eintritt in sein Büro seinen Vornamen auf der Tür lesen: Ignacio. Nun saßen wir uns streng gegenüber und sprachen erst mal kein Wort miteinander. Eine gespenstische und Nerven-zerreibende Ruhe trat ein. Wie in einem Film von Pedro Almodóvars war in diesem Aufseherbüro etwas greifbar. Ein sexuelle Energie, die sich nicht Bahn brechen durfte, aber auch nicht ignoriert werden konnte. Ich nutzte die Zeit um all die Details zu bemerken, die mir den Atem raubten: seine vollen Lippen, seine durchdringenden Augen und seine nicht mehr ganz locker sitzende Hose.

Endlich brachen wir die quälende Stille, indem wir bemerkten, dass wir keine gemeinsame Sprache haben. Mit viel gutem Willen, und Händen und Füßen, konnte ich aber gleichwohl von meiner Museums-Tanz-Technik berichten und Ignacio zeigte mir seine 6 Bildschirme. Von wo aus er meinen Richard-Gere-Auftritt verfolgt hatte.

Trotz Sprachbarriere machte Ignacio mir klar, dass dieses Tanzen sehr ungewöhnlich sein und er als Sicherheitschef mal nach dem Rechten sehen wollte. Also nicht nach seinem oder meinem Rechten, sondern nach der Sicherheit.

Aber er entzog sich dann der Energie des Moments, indem er mich wieder zu den Ausstellungsräumen zurück brachte. Es fiel mir auf, obwohl ich jetzt ganz und gar mit dem Wahrnehmen der Rückseite seiner Hose beschäftigt war, das er absichtlich nicht den kürzesten Weg zurück nahm.

Kaum war ich wieder ohne ihn in den Räumen für die Deutsche Kunst des 18. Jahrhunderts, spielte mein MP3-Player den Georgette Dee Song „Der letzte Tanz gehört mir!“

Und da wurde schlagartig einiges klar. Kommunikation braucht hautsächlich nicht eine gemeinsame Sprache, sondern erst mal einen gemeinsamen Wunsch sich zu verstehen. Und so beschloss ich Kley zu danken für das „LSD“ und das „Heroin“ für meine Gefühle. Der Entzug hat ja bis heute ganz gut geklappt. Und Kley ist ja weiß Gott nicht der einzige Dealer hierfür.

Und so gehörte mein letzter Tanz im Prado nur Ignacio. Ich tanzte nur für ihn entlang der wunderschönen Bilder Albrecht Dürers. Georgette Dee sang, ich spürte fast Ignacio’s Blick auf meinem Körper und stellte ihn mir vor seinen Bildschirmen in seinem Büro vor.

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