21.07.2007

Heilige Hallen. (1. Reisebericht aus Madrid)

Eigentlich war es ein ganz normaler Fuß. Ich schätze mal so 36er oder 37er Größe. Weder hässlich, noch schön. Er lag gut in meinen Händen und damit auch in meinem Schoß. Er war verschwitzt und hatte an einigen Stellen billige Farbe von den Schuhen. Die Hitze der Nacht hatte die Farbe abblättern lassen. Und so waren ihr Fuß und meinen Hände schwarz, denn ich massierte diesen Fuß. Fest, intensiv und doch respektvoll.

Ich sitze in einem alten Drehstuhl aus Holz. Mir direkt gegenüber sitzt sie: die Fürstin der Nacht. Entspannt, liegt sie mehr, als das sie sitzt, auf einem alten angeranzten Stoffsessel. Ihr Gesicht ist über und über mit Piercings übersät. Aber ich kann es nicht sehen, denn sie hat ihren Kopf nach hinten gelegt und genießt meine Massage. Nur ein leichtes Schnurren ist von ihr zu hören. Die Fürstin hat ein enges knielanges, rein schwarzes, Kleid an. Die Konturen sind klar und es liegt eng an. Es unterstreicht ihr strenges Aussehen. So sahen sicherlich die Schwester Oberinnen in den Feldlazaretten im ersten Weltkrieg aus, halt nur in weiß. Neben ihrem blass-weiß-geschminkten Gesicht, blieb sie auch im Make-up der Farbe Schwarz treu. Ihr Haar war ein besonders Kunstwerk. Das ansonsten sicherlich Po-lange, raben-schwarze Haar, war kunstvoll zusammengesteckt von einem traditionell spanischen und tiefschwarzen Flamenco-Haarnetz. Das Haupthaar war eine Hommage an den Museumsbau in Bilbao und Mr. Getty: ein wahres Konstruktionswunder.

Wir beide sitzen allein in den Heiligen Hallen des „Cool“. Eine Großraum-Diskothek in Madrid. Ein Platz in dem Grenzen wie Homo- oder Hetero, hässlich oder Mega-Trendy nicht gelten. Die Musik ist eine Mischung aus Electro, Acid und Dark. Heute ist hier alles Richtung New Age, Dark und Punk unterwegs. Die Heiligen Hallen sind der Backstage-Bereich des „Cools“.

Die Fürstin gehört einem Berufsstand an, der viel über den Party-Level einer Stadt verrät. Sie ist eine professionelle und hauptberufliche Party-Promotorin. Etwas was in Ibiza, Barcelona oder Madrid normal ist, aber sich bei uns nicht wirklich durchsetzt. Keine Wunder, denn dazu braucht es auch eine komplexere und ausdifferenzierte Szene als die, die es sie in Deutschland gibt. Ich weiß nicht, ob es eine entsprechende Berufsvereinigung der Promotoren gibt. Wenn ja, ist die Fürstin sicherlich die Vorsitzende der Ortsgruppe Madrid.

Ihre „Freundschaft“ hat Vorteile. Neben der Kostenersparnis des Einritts, hat sie auch einen sehr großen Block mit Freedrinks-Tickets. Und diese Drinks werden auch nur als Dreifache ausgeschüttet.

Die Heiligen Hallen des „Cool“ sind der Backstage-Bereich der Promotoren und Gogo’s, oder sollte ich besser Aktionskünstler sagen? Ganz typisch für so einen genutzten Raum, ist das ein toter Raum, der nach Schweiß und blanker Realität richt. Mann sieht vor den Spiegeln die vielen Make-up Utensilien, die Assccessores der Aktions-Künstler. Die Möbel sind aus mindestens 7 verschieden Richtungen zusammen gewürfelt und die Wände könnten Vorlage für jedes Stundenhotel sein. Wirr und ungeordnet liegen die Outfitts für die weitern Performences des Abends auf den Kleiderstangen verteilt. Ich höre wie sich die Songs der unterschiedlichen Tanzfläschen einen Kampf liefern, hier in die Hinterräume der Disco die Vorherschaft zu bekommen.

In diesem Raum sitze ich immer noch alleine mit der Fürstin der Nacht. Nachwievor liegt sie mehr, als das sie sitz. Plötzlich unterbricht sie ihr leichtes Schnurren und erhebt Ihren Kopf. Mit einem kecken Blick schaut Sie mich an und fordert mich mit der Frage heraus, ob ich wissen würde, dass sie Masochisten wäre. Weder ihr gebrochenes Englisch mit starkem spanischem Akzent, noch der Inhalt der Frage überrascht mich. Vielleicht weil ihre Kollegen gerade auf der Bühne eine Kreuzigung einer Jungfrau „nachspielten“.

Ganz selbstverständlich antwortete ich, dass das abzusehen gewesen wäre. Und wie selbstverständlich erweiterte ich meine Massage auf den Nacken und den Kopf und die Schulternbuchten und die Beckenknochen. Also auf die Stellen, die auch ohne Kraft und nur mit wenig Technik, extrem schmerzhaft sind, wenn mann sie massiert.

Das Schnurren kehrte zurück und wurden jetzt von einem leichten Gurgeln begleitet. In dem Moment als ich bemerkte, wie sich ihr schwarzes feines Haar auf ihren Unterarmen in die Richtung der Decke streckten und Ihre Gänzehaut Form annahm, kammen Ihre Kollegen von der “Kreuzigung” zurück und machten sich fertig für die Henker- und Köpfigungs-Nummer.

Diskret zog ich mich zurück und ließ die Fürstin der Nacht ermattet in dem Sessel liegen.

Als ich aus den Heiligen Hallen zurück in die Disco kam, stieß ich schnell zurück zu Kley und seiner Truppe. Er ist es, den ich hier in Madrid besuche. Er ist es dem meine Herz und mein Schwanz hier gehört. Zuminestens so lange ich in Madrid bin.

Mitten auf der Tanzfläsche stand ich nun und versuchte zu tanzen. Was nicht wirklich funktioniert, auf Acid. Zuminestens bei mir nicht. Alle Gäste hier waren schon erheblich angetörnt. Alles “normale” Discogänger. Modisch zum Äußersten entschlossen und konsequnt in dessen Umsetztung. Aber halt nicht SM-mäßig unterwegs. Verwirrt bewegt ich mich zur Musik und bemerkte langsam und nacheinander, dass ich noch schwarze Farbe von den Schuhe der Fürstin an meinen Händen hatte. Und das ihre Kollegen wieder auf der Bühne waren und die Köpfung vorspielten.

Aber viel grausamer wahr es zu bemerken, dass ich selber wohl heute Maso gewesen bin. Denn ich hatte einen ganzen langen Abend mit dem großen brazilianischen Freundeskreis, von Kley verbracht. Wo Keiner meiner Sprache spricht. Ich nichts getrunken habe und auch die 7.456 Joints nicht mit gemacht habe. Und dieses untätige, ungezielte und sinnleere Abhängen, mir körperliche Schmerzen bereitet hat. All das war schon Maso pur.

Aber viel schlimmer war es, das ich mich als Gast fühlte. Denn so wurde ich von Kley vorgestellt und so wurde ich auch behandelt. Sehr führsorglich, sehr aufmerksam und sehr freundlich. Aber halt nicht in der Rolle in der ich wahr, als Kley und ich zusammen in Köln waren. Distanz kann also auch eine Spielart von SM sein. Zuminestens für mich.

Madrid, Cafe „Mama Ines”, 21. Juli 2007

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