01.09.2003

Museums - Toiletten. (3. Reisebeicht aus Wien)

Eine gute Ausstellung, weckt eine Sehnsucht.

Oder eröffnet eine neue Perspektive.

Die Albertina in Wien hat meine Sehnsucht nach Paris erneut entfacht.

Sie zeigt, Monsieur Brassai. Fotografien aus dem Buch „Paris de Nuit“. Fotografien aus den 30’ern. Fotografien nur mit Magnesium-Blitze „gemalt“.

Jenseits des Kitsches und der Romantik eines Robert Doisneau.

Brassai hat in Paris nur bei Nacht gelebt. Und nur nachts fotografiert.

Und so sind seine Bilder voller Menschen der Nacht: Nutten, Halunken, Clochards, Nachteulen, Verliebte.

Eine große Freude in diese Bilder zu tauchen, ja abzusteigen.




Die Ausstellung ist im Keller der Albertina. Modern. Sachlich. Funktionell. Doch trotzdem warm.

Man erreicht sie nur durch eine sehr lange und steile Rolltreppe. Die durch eine Röhre geht. Die Wände der Röhre, könnten auch die Wände des Hallodecks der Enterprise sein. Graues Glas, von hinten beleuchtet. Und so wird das Absteigen in die Bilder wörtlich. Wie ein Grubenbauer „fahre ich ein“, in die Kunst der modernen Fotografie.

Die Albertina ist hinter der Hofburg. Im ersten Bezirk. Dem Heiligtum, Wiens. Wo jeder Pflasterstein als Zeitgeschichte vehement verteidigt wird. So ist der erste Bezirk ein gigantisches Freilichtmuseum. Um in diesem Bezirk, was Modernes an Architektur zu sehen, muss man schon in den Untergrund.

Der 1. und 2. Stock der Albertina ist das große Gegenteil zum Keller. Eine Bastei, als vorspringender Teil der Hofburg. Mit fast nur Gängen und Stiegenhäusern. Wunderschöne, schnörkellose Säulengänge. Voller warmer Klassizismus.

Die gezeigten Zeichnungen von Dürrer bis Schiele sind ... nett.

Aber das Parkett der Prachträume ist atemberaubend. Jeder Raum hat sein eigenes Parket, sein eigenes Muster. Grafik. Ornament. Geometrisch. Alles kommt vor. Alles hat seinen eigenen Raum.




Als ich meine Augen vom Boden wand und zur Toilette schritt, musste ich wieder in den Keller. Und als Majestät auf dem Thron, viel mir auf, das die modernsten und schönsten Toiletten in Museen sind.

Das Albertina spiel mit automatischen Türen.

Das Guggenheim in Berlin mit Chrom.

Der Erweiterungsbau des Van Gogh in Amsterdam mit der Dunkelheit.

Freude, entsteht ja durch Erleichterung. Als „Partykeller“ der Hofburg, diente die Albertina ausschließlich der Freude, dem Tanz und dem Vergnügen der Ersten Gesellschaft Wiens. Diese Erleichterung folgend, ist der Bau perfekter Schein und diente Franz-Josef gut.

Zufällig treffe ich ihn im Foyer: Tim.

Er ist aus Köln. Wohnt keine 100 Meter von mir. Wir sehen uns aber vornehmlich in anderen Städten. Hamburg. Berlin. Oder jetzt halt Wien.

Wir essen zusammen im Restaurant der Albertina.

Perfekte Moderne, im warmen Licht. Eine 20 Meter Bar aus schwarzem Granit mit feinen, weißen Farbfäden gesprenkelt. Braun-rote Kirchholz-Vertäfelungen an den Wänden. In den ersten Metern, 3 Ufo-förmige, riesige Lampen. Im hinteren Teil ist die Decke mit gelben Glasquadraten bedeckt. Ihr Licht lassen mich aussehen, wie keine Make-up-Artist der Welt es schaffen könnte. Oder Chirurg. Ich werde öfters hier essen gehen.

Von meinem Platz sehe ich durch große Spiegel an der Wand, staunend auf Reproduktionen von Zeichnungen von Schiele. Eine Nackter Mann. Eine nackte Frau. Beide Zeichnung sind zwischen den Zeiten. Wie das Restaurant. Zwischen der Vergangenheit des 1. und des 2. Stocks. Und der Modernen im Keller.

Wie auch Wien.

Vielleicht hätte ich mich mit ihm zum Abschied verabreden sollen? In Paris? Bei Nacht? In einem Museum? Auf einer Toilette?

Nein. Zufälle sind immer noch besser.

Wien. 1.September 2003

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