18.09.2003

Connections. (Reisebeicht aus Berlin Sept '03)

Manchmal steht mann neben sich und denkt sich so: „Was war da denn jetzt?“

Erst vor kurzem saß ich im Hotel des „Art Hotels Connection“ in Berlin. Im 3. Stock eines Jugendstilhauses kommt mann über einen Aufzug mit gusseisernem Käfig zu diesem Etagen-Hotel. Ich hatte mich sowieso auf einiges eingestellt. Nicht nur weil es ein schwules Hotel ist, sondern auch, weil im Erdgeschoss dieses Hauses die Disco Connection ist.

Meine ersten 3 bis 4 Besuche dort in den 80’ern waren sehr enttäuschend gewesen. Eine kleine nichtsagende Disco. Dessen legendären Ruf ich mir weiß Gott nicht erklären konnte. Bis ich beim drauffolgenden Besuch den Keller entdeckte.

Katakomben und Gewölbe. Labyrinth und Kanäle. Darkrooms und Kabinen. Eine unterirdische Welt, größer als die der Christen im alten Rom.

Und das mir, wo ich doch zwanghaft mir sofortigen Überblick über die Location verschaffen muss. Direkt wissen will: wo ist was und wo ist wer? Wo ist die Ecke mit denen die Tanzen können? Wo stehen die Muscle-guys? Wo die apathischen Spanner? Wo wird gefickt? Wo geflirtet?

Kurz: wo laufen die soziografischen Längen- und Breitengrade?

Und als ob das noch nicht genug wäre, laufe ich diese Längen- und Breitengrade den ganzen Abend gespannt ab. Wie ein Grenzer an der Deutsch-Deutschen Grenze.

Gut, die Katakombenwelt war mir also bisher entgangen. Deswegen untersuchte ich sie damals um so genauer. Dieses Großreich der Möglichkeiten und potentieller Versprechungen hieß es ja zu in Quadraten aufzuteilen, zu entdecken und in beschriftet kleine Schubladen in meinem Gehirn abzulegen.

Gut gefällt mir dabei die Geschichte des jungen Mannes, der leicht angetrunken seinen Traummann im Keller entdeckte. Daher nahm er sich einen Barhocker und positionierte sich in sicherer Entfernung und bei maximaler Scan-Möglichkeit.

Dieser Traummann war sehr groß, muskulös, schweigsam und bewegte sich auch nicht unnötig. Daher strahlte er Ruhe und Übersicht aus.

Mein junger Freund flirtete nun über Stunden aufs intensivste mit diesem Traummann. Zum Teil durch den Alkohol, zum Teil durch die Überlegenheit des Traummannes, war der junge Freund wie gefesselt auf seinem Barhocker.

Bis mein junger Freund von seinem Reisebegleiter gefragt wurde, warum er denn schon seit Stunden die Tom-of-Finnland-Ersatz-Freske an der Toiletten-Tür anstarre?

Im 3. Stock dieses Hauses in Berlin ist also das Hotel. Und wie das so bei alten Häusern in Berlin nun mal ist, gab es einen 30 Meter langen Flur. Von dem gehen die Hotelzimmer ab. Tritt mann in dieses Etagen-Hotel ist mann gleich in diesem Flur. 15 Meter geht er gerade aus und die anderen 15 Meter gehen in einer scharfen L-Kurve rechts ab. Genau auf der Ecke ist der hoteleigene PC/Internetplatz.

Selbst nachdem ich schon 15 Jahren massiv mein Schwul sein praktiziert habe, saß ich immer noch verschämt dort und chattet in Gaydar, Gayromeo, Sixpackparty und und und.

Jedes mal, wenn die Tür auf ging, wechselte ich geistesgegenwärtig auf die unverfängliche Web-Mail-Seite.

Und jedes Mal als sich eine Tür öffnete, trat ein anderer Alien in den Flur. Alle waren getarnt als Menschen, ausnahmslos als Schwule jenseits des 340’ten Geburtstages. Oder die 340’te Wiedergeburt?

In Kleidung und Habitus einer Schwulen Generation, die es gewohnt war erst zu klingeln, bevor sie in eine schwule Bar gehen konnte. Sie hatten Verstecken und Andeutungen zur hohen Schule perfektioniert. Das gesamtgesellschaftliche schlechte Gewissen ließ sie gebeugt laufen.

Nach dem ich auf diesem intergalaktischem Flughafen, der dem aus dem Film MIB nicht unähnlich war, so etwa 10 Aliens gesehen hatte, fragte ich mich schon gar nicht mehr, wer denn wohl noch so aus den Zimmern treten würde.

Aus einem Zimmer aus dem Teil des Flurs der in meinem Rücken lag, hörte ich immer jemanden laut von 1 bis 10 zählt. Eins, zwei, drei, ....

Dann war eine Pause und wieder setzte die Stimme ein. Die Stimme setzte die Zahlen so wie vielleicht der Moderator der Lottozahlen: exakt, präzise, und mit einem leeren Lächeln.

Und plötzlich ging die Tür, von dem Zimmer mit der Stimme, auf. Verschämt klickte ich wieder schnell auf die Web-Mail-Seite.

Und schon war der Alien aus dem Stimmen-Zimmer in das letzte Zimmer am Gang wieder verschwunden. Aber ich hatte gar keine Zeit wieder auf Gayromeo zurück zu klicken, weil die Tür des letzten Zimmers wieder auf ging.

Diesmal schaute ich hin.

Ein junger Alien, quasi aus der Nachwuchsklasse, von knappen 150 Jahren, war gänzlich nackt im Flur. Mit kaum 1,65 war er sehr klein. Auch sehr schmächtig. ET war im Vergleich fett. Aber sie hatten wohl die gleiche runzlige Haut.

Und dieser kleingewachsene, schmächtige Alien schob nackt wie es war, ein Sport-Bock vor sich her.

So ein Sport-Bock haben die meisten von uns ja schon im Schulsport gehasst. Dort wo mann mit Hilfe eines Trampolins und einer Beingrätsche über solch einen Bock fliegen musste.

Der Bock auf dem Flur war auf die höchste Stufe gestellt, so das ich vornehmlich den Bock sah und nur wenig von dem Alien. So schmal und klein wie der Alien war, sah ich nur seine Stirn und sein angespannte Augen. Der Scheiß rannte über seine Stirn, denn der Bock war mindestens doppelt so schwer wie er.

Das Leder und das Holz des Bocks war offensichtlich neu. Es war auf der 3. Etage des Hauses auch keine Sporthalle. So das der Bock wohl zum Reisegepäck des Alien gehörte. Der schob nun diesen Bock aus dem letzten Zimmer, in das Zimmer mit der Stimme.

Und diese Verschiebe-Aktion dauerte nur wenige Sekunden. Fort an kämpften mein Unter- und mein Bewusstsein. Nimm ich das nun wahr oder nicht?

Aber was ich nur aus dem Augenwinkel sah, schon sich endgültig in mein Bewusstsein, als ich wieder die Zahlen hörte. Eins, zwei, drei, ....

Diesmal nur unterbrochen von einem leisen, wonnegefüllten: „Aua“.

Berlin, 18. September 2003

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