09.05.2007

Luxus. (5. Reisebericht aus Marseille)

Langsam wird mein Körper vom köstlichen Nass des Swimming Pools umschlossen. Wir, also der Pool und mein Körper, befinden uns auf dem Dach des SAS Radisson von Nizza. Direkt vor dem 7-stöckigen Hotelbau befindet sich das Meer und die Promenade des Anglais. Dahinter ist die Stadt, die einst von sich behauptete, die einzig mögliche Stadt für Europäer, im Winter zu sein.

Je mehr ich im Pool zur Mitte des Viereckes schwamm, merkte ich, wie sich die Realität des Hoteldaches verabschiedete und ich zu einem Lamm wurde, das in einem Nebenarm des Amazonas schwamm. Ebenso langsam wie ich mich im Wasser bewegt, schlängelten sich riesige und nach Aufmerksamkeit ausgehungerte Alligatoren zu mir in den Flussarm. Entgegen ihren natürlichen Schwestern, jagten sie mich im Rudel. Da waren die drei übergewichtigen, amerikanischen Alligatoren. Ihre Schönheit und Elleganz würde ich eher in Bruttoregistertonnen angeben wollen. Und da waren die 2 knackigen, jungen Italienerinnen, die ich auch standesgemäß zuerst gehört hatte, bevor ich sie gesehen habe. Nicht zu vergessen die 4 Russinnen, mit den knappsten aller Bikinis. Die Stofffetzen zeigten nicht nur die Schönheit der Landschaft hinter dem Ural, sondern verbergen ebenso wenig, die kleinen Narben ihrer Brust-OP’s. Bisher hatte ich mich ja erfolgreich in 4 Kontinenten der Erde mit dem Thema Cruising beschäftigt. Aber die Vehemenz dieses Flussarms/Dachpools war ungeschlagen. Nur durch einen beherzten Sprung aus dem Wasser konnte ich mein „Lammleben“ vor den Alligatoren retten. Schnell legte ich mich auf einer der abgelegenen Liegen, Rund um den Pool, und tat körpersprachig mein Desinteresse kund, indem ich ein Handtuch über mein Gesicht legte.

Das war der Moment in dem ich lernt, das Luxus was ganz individuelles ist. Das Privileg alleine in diesem Pool als Mann zu sein und mir all diese Frauen aussuchen zu können, hatte nichts mit meinem Wünschen und Sehnsüchten zu tun.

Vielmehr war der Moment des Hinlegens auf die Pool-Liege und das Verdunkeln, durch das Handtuch auf meinem Gesicht, der Moment in dem der schmerzliche Karter einsetzte. Der Schmerz des Aufwachens nach zwei Tagen des Rausches, des Fest der Sinne und der gelebten Sehnsüchte. Nach 2 Tagen mit dem Gärtner Laurent, auf Achse durch die Provence und an der Cote d’Azur entlang.

Dieser Reisebericht ist dem Luxus dieser Reise gewidmet, den ich mit Laurent erfahren durfte.

Wikipedia bezeichnet „Luxus (v. lat.: luxus = Verschwendung, Liederlichkeit, (eigentlich) „üppige Fruchtbarkeit“) als Verhaltensweisen, Aufwendungen oder Ausstattungen, welche über das übliche Maß (den üblichen Standard) hinausgehen bzw. über das in einer Gesellschaft als notwendig und - zum Teil auch - für sinnvoll erachtete Maß.“

Luxus fasst damit Phänomene zusammen, die für einen großen Teil der Bezugsgruppe zwar erstrebenswert sind, aber nicht erreichbar. Volkswirte sprechen über Luxus, indem sie die Verfügungsgewalt über knappe Güter, sowie deren verschwenderischer und unmäßiger Gebrauch und Verbrauch, aufzeigen.

Das Luxus individuell ist, haben wir eben schon im Wasser spielerisch gelernt. Und der Trip mit Laurent fängt auch im Wasser an. Er ist Montag. Noch bin ich in Marseille. Alleine liege ich auf der Dachterrasse des dortigen SAS Radisson. Da das Haus erst vor wenigen Monaten geöffnet hat, ist alles modern und großzügig. Neben dem sensationellen Blick auf die Hafeneinfahrt, genieße ich die Sonne, den aufmerksamen Blick des Bar-Boys, dessen einziger Gast ich bin und die Geräusche des fleißigen Gärtner des Hotels, der die wenigen Meter Grün um den Pool herum pflegt.

Und wieder eine Lektion über Luxus. Luxus bedingt eine „Bezugsgruppe“, der man vorschwärmen, vorenthalten oder mit der man den Luxus teilen kann.

Am Nachmittag hohl mich Laurent ab. Wir treffen uns an der Rue de République. Der runtergekommenen Vorzeigestraße Marseilles. Hier zeigt Marseille seinen ehemaligen Reichtum, den es aus der Öffnung des Suez Kanals bezogen hatte. Dadurch wurde Marseille zu DEM Hafen der Welt. Das hatte der Stadt Geld gebracht. Jetzt wird die Straße gerade renoviert und ist mit ihrer geschlossenen und einheitlichen Fassade, die einzige Straße, die wie Paris anmutet.

Wir machen uns auf den Weg nach Aix-en-Provence. Der schwule Mann an für sich und im besondern, geht nämlich nicht in Marseille aus, sondern möglichst in anderen Städten. Das Inkognito muss ja gewahrt werden. Der Abend nördlich von Marseille und nur 30 Autominuten entfernt, demonstrierte, dass was man sicherlich oft mit Provence verbindet: gutes Essen und guten Wein. Auch die kleinen - und im Vergleich zu Marseille, nahezu peinlich saubern - Gassen verleihen dem Abend einen Glanz.

Aber erst der Luxus oder sollte ich sagen der Überfluss, des gemeinsamen Humors, der kleinen Zärtlichkeiten, der geteilten Neugier auf die Stadt und auf die Menschen (oder soll ich ehrlich sein und Männer schreiben), machten diesen Abend erst besonders. Das ausgesprochene und unausgesprochene Gemeinsame bildeten den Zauber, den Ariadne von Schirach in Ihrem Buch „Der Tanz um die Lust“, das „Wunder einen echten Begegnung“ nennt. Oder kurz auch: Liebe.

An diesem Abend lernte ich, das Luxus auch sein kann, etwas nicht zu tun, etwas weg zu lassen. Der ganz große schwule Verzicht auf Sex, zu Gunsten von Nähe und Zärtlichkeit, als Akt des Reichtums.

Nach dieser letzten Nacht in Marseille und dem großen Luxusschuppen SAS, machten wir uns zu der großen Cote-d’Azur-Tour auf.

Cassis hatten wir ja schon gut abgearbeitet, so dass wir uns erst mal Bandol ansahen. Damit waren dann auch erst mal alle Vorurteile bestätigt, über widerlich touristisch überlaufene und todgebaute, ehemalige Fischerdorfe.

Fluchtartig verließen wir das Dorf und tuckerten fleißig an der 559 an der Küste entlang. Wie immer sind ja die Umwege, der Weg, den einen zum Erfolg führt. Daher hatten wir uns zwar verfahren, dafür aber einen versteckten Jachthafen gefunden, der seltsamerweise um 16 Uhr, wie ausgestorben war. In dieser Hafen-Bucht genossen Laurent und ich, diese Ruhe, indem wir die vorbereiteten Sandwichs picknickten. Dabei saßen wir auf dem Dorfplatz - und um genau zu sein - unter dem Pavillondach, das für die Dorfkapelle vorgesehen war. Die Ruhe war in und um uns. In uns war diese Ruhe, weil wir nach langer Fahrt und viel rumgealbere, einfach ein Moment der Stille mit einander genossen und schlichtweg aßen. Keine peinliche Pause in der Konversation, sondern Zufriedenheit mit dem Moment.

Die Ruhe außen war da, weil keine Menschen da waren und es wie ausgestorben war. Trotzdem war es sehr laut. Die Dorfkapelle spielte zwar nicht, aber der Mistral gab zusammen mit den hundert Segelbooten im Hafen ein maritimes Konzert. Im Rhythmus des Windes, schlugen die Taue und Ketten der Boote an die Masten. Nie hat mir eine Sandwich und eine solche Melodie der Stille, so gut geschmeckt. Das war der Luxus des Moments.

Wir verließen La Seyne-sur-Mer und fuhren einfach wie in einem Roadmovie nur von der Neugier getrieben, durch die Industrie- und Marinestadt Toulon. Durch das wunderbare Dörfchen Hyeres. Es gab selbstverständlich, wie in jedem Roadmovie, auch ein vermeintliches Ziel. Bei uns war es Ramatuelle. Ein kleines Dorf, das ganz im mittelalterlichen Stil geblieben ist. Es liegt auf der Halbinsel, auf der auch die verrufende Schwester St. Tropez liegt. Ich wollte hier hin, weil meine Vater vor der Ehe hier mal gelebt hatte und nach der Hochzeit, dies das Ziel unserer ersten Urlaubsreisen waren. Gute Gründe, aber natürlich gehorchten wir einfach nur einem weiterem Gesetz der Roadmovies: es geht um den Weg und nicht um das Ziel.

Schon lange vor Rayol-Canadel hatte sich die Landschaft stark geändert gehabt. Die Kieferbäume wichen Sträuchern und Laubbestand. Die Vegetation war dichter und üppiger. Das Blau des Meeres kämpfte immer mehr mit dem Grün der Küste.

Ohne das Laurent oder ich etwas sagten, stoppt er vorsichtig den Wagen und wir fuhren rechts ran. Zwei schmale aber hohe Langzungen lagen hier dicht beieinander, so dass eine weit gezogene Bucht entstand. Und mit großem Seltenheitswert, an diesem Teil der Küste, war hier mehr Küste zu sehen, als Architektur. Auf dem höchsten Punkt der zweiten Langzunge kam der Wagen zum stehen. In den leichten Sonnenuntergang hinein, hörte ich mich die Sätze sagen: „Das ist der einzige Platz, wo ich mal bauen werde. Für Dich, für mich und meine Freunde. Ein Platz des Atmens, des Sehens und Seins.“ Ich weiß wie kitschig das klingt. Aber so war der Moment. So war mein Gefühl. Und Laurent antwortet einfach nur mit einer festen und innigen Umarmung. Dieser Luxus eines Traumes, ist kostbarer als jeder Diamant oder Pelz. Und der Luxus eines Gästezimmers für Freunde, im Küstentraumhaus, ist ja kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Die Sonne hatte nur noch die aller letzten Strahlen, um uns die einmalige Schönheit der Halbinsel rund um Ramatuelle zu zeigen. So sahen wir das Meer und seine Brandung. Die Weinstöcke und die Dünen. (So dort ziemlich abgehen, wie alle einschlägigen Führer bestätigen.) Auf dem höchsten Punkt dieser Halbinsel lag Ramatuelle und wurde in der Dämmerung perfekt durch Flutlicht ausgeleuchtet. Die Burgmauern und die Altstadt waren in ein gelbes Meer von Licht getränkt.

Wir waren angekommen. Aber das war uns gar nicht recht. Denn jetzt war die Reise zu Ende und die Zeit der Trennung da. Laurent musste am nächsten Tag arbeiten, ich hatte in Nizza das Hotel gebucht. So sahen wir in der Nacht Ramatuelle und stellten uns dem Abschied. Kein Rosamund-Pichler-Film ist mehr kitschig und dramatischer als unser Abschied auf dem nächstgelegen den Bahnhof von St. Raphael. So fuhren Laurent zurück nach Marseille und ich nach Nizza.

Ich saß in der Bahn und meine Gefühle waren wild durcheinander. Große Dankbarkeit für die beiden sensationellen Tage. Schmerzen wegen dem Abschied. Freude für die zärtlichen Momente des Zusammenseins.

Ich genoss den Luxus, dass ich mich so gegeben habe, wie ich bin und jemand mich dafür toll fand. Ich betrank mich in dem Luxus, diese Sehnsucht und Hoffnung hiernach, nie vergraben zuhaben.

Verglichen mit dem gerade erlebten, empfand ich im Taxi durch das nächtliche Nizza und dann allein im Hotelzimmer, selbst den Nobelort der Französischen Riviera als fad und öde.

Und so komme ich zu meiner ganz eigenen Definition von Luxus. Ich schreibe diesen Reisebericht am Tag nach meiner Ankunft, hier im 7. Stock des SAS Radisson in Nizza, direkt neben dem Dachpool und verzichte auf das Abenteuer, einer neuen Stadt die sprichwörtlich zu meinen Füßen liegt. Und gebe mich der Erinnerung, der erlebten Sehnsucht hin.

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